Immer komplexere Produkte steigern den Bedarf an exzellentem Kundenservice. Dieser findet allerdings zunehmend weniger durch die klassische, persönliche Kundenberatung statt - so das Ergebnis der Global Service Studie 2023
der Beratungsgesellschaft PwC Deutschland. Stattdessen rücken zunehmend kanalübergreifend arbeitende Contactcenter in den Fokus.
Das geschätzte Volumen von 353 Milliarden US-Dollar für den globalen CRM- und Contactcenter-Markt legt nahe, dass die Kundenerfahrung für Unternehmen längst genauso relevant ist wie ihre Produkte und Dienstleistungen. Darüber hinaus zeigt der Markt auch für die Zukunft ein starkes Potenzial. PwC erwartet, dass die Branche bis 2025 jährlich durchschnittlich um 3,7 Prozent wachsen wird. Predictive Analytics, KI-Tools, Chatbots und Robotic Process Automation (RPA) verändern die Service-Bereitstellung grundlegend. Dabei liegt der Schlüssel zum Wettbewerbsvorteil in der intelligenten Verknüpfung von Künstlicher Intelligenz und menschlichem Potenzial. So müssen Kundenservice-Dienstleister Technologie und Personalentwicklung entsprechend planen.
2023 war das Jahr der Übernahmen, Konsolidierungen und Akquisitionen
Die beschleunigte digitale Transformation treibt viele Anbieter zu Fusionen und Übernahmen an, um technologische Fähigkeiten und digitale Ressourcen auszubauen und global zu expandieren. Weltweit kam es in den letzten fünf Jahren zu 175 solcher Übernahmen. Das hat Auswirkungen auch auf den deutschen Markt. Der Medienkonzern
Bertelsmann
beispielsweise hat im Frühjahr 2023 seine Callcenter-Tochter
Majorel
(selbst entstanden aus der Fusion von Arvato CRM mit dem marokkanischen Partner Saham) verkauft an den Marktführer
Teleperformance
aus Frankreich. Die Dessauer Sitel-Gruppe benennt sich nach ihrer Übernahme von US-Anbieter Sykes Enterprises fast zur selben Zeit in
Foundever
um. Und die US-amerikanische
Concentrix Corporation
geht mit
Webhelp
zusammen, die in den Jahren davor unter anderem Sellbytel und das H&M-Kundenservicecenter übernommen hatte.
Viel Veränderungen im Ranking
Contactcenter sind die Dienstleister der Wahl, wenn es um Kundenservice für Website, Crosschannel-Angebot, Marktplatz oder Onlineshop geht. Vor allem, wenn sie kanalübergreifend ihre Dienstleistung anbieten, wie das Multichannel-Contactcenter tun. Unser aktuelles Ranking in Zusammenarbeit mit dem Kundenservice-Beratungsunternehmen
Schacht Consulting
listet die größten Anbieter in Deutschland für E-Mail und Social Media, für Briefpost, Telefon und Chat nach Anzahl der jeweils vorhandenen Seats.
Teleperformance/Majorel, Foundever, Concentrix+Webhelp sowie
Capita Europe
und
Stroer X
sind nach Seats die größten Multichannel-Contactcenter in Deutschland. Das geht aus einer Erhebung der Redaktion hervor, die wir im November unter den in Deutschland aktiven Anbietern durchgeführt haben. Durch Neueinsteiger sowie Expansionen wurde das diesjährige Ranking im Vergleich zum Vorjahr sowohl erweitert als auch ziemlich durcheinandergewirbelt:
Bei der Zahl der Seats sehen wir Foundever bei den Kommunikationskanälen Telefon und Social Media vorn. Bei Post/Brief, Chat und Messenger-Kommunikation hat Capita (wie auch schon im Vorjahr) die Nase vorne. Concentrix + Webhelp sehen wir wie im Vorjahr als Marktführer bei den EMail-Seats in Deutschland.
Verschiebung bei den digitalen Kanälen
Waren der Chat- und der EMail-Kanal die großen Gewinner bei der Kundenkommunikation im Corona-Jahr 2020, so haben sich die Anteile der digitalen Kanäle gegenüber der Auswertung des Vorjahresrankings kontinuierlich verschoben. Chat-Seats werden von den Multichannel-Contactcentern inzwischen weniger vorgehalten - hier scheinen sich technische Innovationen wie Chatbots auszuzahlen. Der Anteil stabilisiert sich mit leicht sinkender Tendenz bei rund sechs Prozent der Seats.
Gestiegen ist der Anteil der Seats, die der EMail-Kommunikation vorbehalten sind, während der (menschliche) Arbeitsaufwand für Social-Media-Kommunikation und Conversational Marketing via Messengerdienste offensichtlich gleich bleibt: Beide Kanäle haben ebenfalls stabile Marktanteile.
Telefon verliert, E-Mail gewinnt: Kumulierte Seats nach Medium bei den führenden deutschsprachigen Multichannel-Contactcentern 2020-2023.
Grafik: iBusiness
Nach wie vor den Löwenanteil der Seats melden die Multichannel-Contactcenter für den Kanal Telefon. Allerdings nimmt der Anteil von Jahr zu Jahr ab. Lag er im Jahr 2020 noch bei 65 Prozent der Seats, so rechnen wir inzwischen mit einem um ein Zehntel reduzierten Anteil. Die digitalen Kanäle Messenger, Social Media und Chat werden von den Multichannel-Contactcentern nicht mit mehr Seats ausgestattet - der Anteil bleibt gegenüber dem Vorjahr konstant. Hier scheinen (wie schon im Vorjahr) KI-gestützte Lösungen das wachsende Kommunikationsbedürfnis der Kundschaft zumindest zum Teil auffangen zu können.
Mehr Seats und Personal wird in den Kanal E-Mail gesteckt. Hier kann die wachsende Nachfrage offenbar nicht ausschließlich über Technik aufgefangen werden. Die wachsende Nachfrage nach dem Servicekanal hatte auch im Frühsommer 2023 unsere repräsentative Verbraucher-Kommunikationsstudie belegt (iBusiness:
E-Mail wird wieder beliebter
). Danach ist zwar das Telefon der bevorzugte Kommunikationskanal der Menschen mit Unternehmen, der Kanal E-Mail ist aber durch alle Nutzungsarten hinweg mindestens der mit Abstand wichtigste Zweitkanal.
Studie belegt die hohe Fragmentierung des deutschsprachigen Markts
Unser diesjähriges Ranking der größten deutschsprachigen Multichannel-Contactcenter weist für die 38 gelisteten Dienstleister insgesamt knapp 63.000 Seats aus. Eine der Redaktion exklusiv vorliegende aktuelle Studie von Schacht Consulting kommt hingegen zu dem Ergebnis, dass der deutsche Customer-Service-Markt deutlich größer ist und rund 700.000 Mitarbeitende bei Dienstleistern und in Inhouse-Einheiten beschäftigt.
Der rein statistisch erfasste Dienstleistermarkt in Deutschland des
Statistischen Bundesamts
umfasst 1.296 Unternehmen mit 138.346 Mitarbeitenden. Das bedeutet, dass die im Ranking gelisteten Unternehmen mehr als die Hälfte des Multichannel-Dienstleistermarkts beherrschen. Dieser Anteil wird umso größer, wenn man reine (Telefon-)Callcenter herausrechnet, die unser Ranking nicht mit umschließt.
Schacht Consulting geht beim Kundenservice deutschlandweit von einem Outsourcing-Anteil aus, der zwischen 16 und 20 Prozent in Deutschland liegt. Das bedeutet, dass etwa 691.000 Menschen in Deutschland in Kundenservices arbeiten - vom Onlineshop bis zum lokalen Energieanbieter. Legt man andere Berechnungen zugrunde - beispielsweise den Vergleich mit anderen europäischen Märkten oder Expertenbefragungen, liegt laut der Studie die Bandbreite von Kundenservice-Mitarbeitenden in Deutschland zwischen 602.000 und 922.000 Menschen.
Allein für die Branche Handel und Onlineshops kalkuliert Schacht Consulting mit 100.500 Menschen, die im Kundenservice arbeiten. Das ist bei elf untersuchten Branchen die größte Einzelbranche, noch vor Reise und Tourismus mit 92.400 Mitarbeitenden und Versicherungen (80.300).
Weitere Erkenntnisse der Studie:
- Die Forderung nach Flexibilität und Resilienz in der Folge der Pandemie führte in den vergangenen Jahren zu einer massiven Verlagerung zu fortschrittlichen Technologien und Veränderungen bei den Mitarbeitenden. Wirtschaftliche Faktoren, wie die Erreichbarkeit der
Auftraggeber im Krisenfall spielen ebenfalls eine Rolle bei der zukünftigen Gestaltung der Customer-Service-Angebote.
- Die Konsolidierung vor allem in Richtung großer, global auftretender Anbieter nimmt zu. Zugleich wüchsen kleinere Customer-Service- Anbieter stark aus sich selbst heraus.
- Kundenservice wird ein immer wichtiger werdender Bestandteil der Kundenkommunikationsstrategien und der Kundenbindung von Unternehmen. Sie werden Teil der ganzheitlichen Unternehmensstrategie, in der der Kunde im Mittelpunkt des Handelns steht und können selber betrieben oder an Multichannel-Contactcenter ausgelagert werden. Die Nachfrage nach Customer-Service-Dienstleistungen steigt, obwohl interne Callcenter immer noch deutlich dominieren.
- In der Branche werden zunehmend immer mehr Technologien eingesetzt, um die Effizienz und die Servicequalität zu verbessern. Herausforderungen seien vor allem, dafür geeignete Mitarbeitende zu finden und diese auszubilden und langfristig an sich zu binden. Auch Near- und Offshore-Einheiten trügen zum Wachstum der Branche bei.
Das Ranking und die aktuellen Daten basieren auf einer Umfrage der Redaktion und den daraus resultierenden Selbstauskünften der Unternehmen sowie aus Hochrechnungen der Redaktion in Zusammenarbeit mit Schacht Consulting. Stand der Seats: 1.10.2023.