Nichts bringt in kurzer Zeit mehr Druck in den Marketingkanal als eine gelungene TikTok-Kampagne - zumindest, wenn es um die Ansprache einer jungen Zielgruppe geht. Ob das daran liegt, dass dort weite Teile des Werbeökosystems noch unerobert sind, oder weil das Medium durch seine perfekt orchestrierte Nutzeransprache selbst so stark ist, bleibt letztlich unerheblich. Fest steht: Weder laute Sicherheitswarnungen ("spioniert die Nutzer aus") noch ernste Gesundheitsbedenken ("macht süchtig wie Heroin", "reduziert die Aufmerksamkeitsspanne auf Goldfisch-Niveau") konnten der Popularität des Dienstes bislang etwas anhaben. TikTok trifft den Geschmack der GenZ wie MTV den Zeitgeist der 80er.
Nur: Wie erreicht man die Lebenswelt der Jugendlichen? Nichts ist leichter, als sich in einem neuen Medium gleich zu Beginn einmal fulminant zu blamieren - Beispiele für missglückte Anbiederungen via unlustig-staksiger Tanzvideos gibt es zuhauf. Welche Regeln herrschen also wirklich im GenZ-Kosmos? Wie findet man die richtige Tonalität und den richtigen Stil? Wie muss der Kanal im Marketing-Mix gewichtet werden?
"Der Wettbewerb um die Aufmerksamkeit ist enorm. Um gesehen zu werden, braucht es eine authentische, persönliche Ansprache"
Bild: gkk DialogGroup GmbH
Auf TikTok entscheidet nicht der Kanal, sondern das große Bild
Zunächst einmal ist es ein guter Rat, dem Kanal viel, aber auch nicht zu viel zuzutrauen. "Auf TikTok kann man schöne Kampagnen machen, aber die Regeln des Marketings werden nicht auf den Kopf gestellt, auch wenn TikTok seine eigenen Regeln hat", sagt Tina Herrchen. Sie ist Director Strategy bei der
gkk DialogGroup
in Frankfurt am Main und berät und begleitet die Kunden der Agentur strategisch und operativ bei der (Weiter-)Entwicklung und Transformation ihrer Customer Experience. "TikTok ist letztlich nur ein weiterer Kanal, um mit einer bestimmten Zielgruppe in Dialog zu treten." Für den Unternehmenserfolg ist eine gelungene Customer Experience entscheidender als die Performance eines einzelnen Kanals.
Zunächst lohnt es sich also, einen Schritt zurückzutreten und das große Ganze zu betrachten. Die GenZ hat nicht nur ihren eigenen Stil, ihre eigene Sprache und ihren eigenen Humor (den man vielleicht oberflächlich kopieren könnte). Viel wichtiger aber ist es, die Werte dahinter zu verstehen.
Der wesentliche Unterschied ist, dass die heute 12- bis 27-Jährigen mit Smartphones, Streaming Media und sozialen Netzwerken aufgewachsen sind. Die GenZ ist an eine viel größere Reizflut gewöhnt als jede Generation davor - und damit auch an sehr viel stärkere Reize.
Letzteres ist entscheidend. Denn der stärkste Reiz eines Inhalts liegt darin, die persönliche Ebene, die Emotionen des Zuschauers zu erreichen. "Egal ob Netflix, Youtube oder Amazon - die GenZ ist es gewohnt, dass Inhalte auf sie zugeschnitten sind", erklärt Marketingexpertin Herrchen. Eines der Erfolgsrezepte von TikTok liegt in der harten Arbeit, mit der das Unternehmen seinen Vorschlagsalgorithmus perfektioniert hat. Die GenZ erwartet einfach eine persönliche Ansprache.
ONEtoONE 3/2024 - Dialogmarketing
Das gilt im Professionellen wie im Privaten. Denn auch das ist ein wichtiger Unterschied zu früheren Generationen: Durch Social Media verschwinden die Mediengrenzen. "Familie und Freunde, die engsten Peergroups, kommunizieren auf den gleichen Kanälen wie Youtuber, Influencer und Marken. Insofern ist der Wettbewerb um Aufmerksamkeit enorm", erklärt Herrchen. Medien konkurrieren nicht mehr nur mit Medien, sondern mit dem persönlichen Umfeld.
Mit traditioneller Markenführung allein ist da kein Blumentopf mehr zu gewinnen. "Dafür braucht es eine authentische Ansprache, die sich vertraut anfühlt", weiß Herrchen, die vor ihrer Zeit bei der gkk DialogGroup als Beraterin und Strategin auf Agentur- und Unternehmensseite sowie im Consulting tätig war. Für eine TikTok-Kampagne bedeutet das: Die richtige Frequenz, die richtigen Inhalte, der richtige Zeitpunkt - das sind wichtige Parameter. Entscheidend ist aber vor allem eine Tonalität, die den Adressaten persönlich anspricht und sich wie von Mensch zu Mensch anfühlt. Das ist der Grund, warum das Unperfekte perfekt funktionieren kann. Auch die professionellste Produktion muss am Ende den Menschen durchscheinen lassen, damit sie funktioniert.
Die GenZ hat ihren eigenen Mikro-kosmos - hier entsteht die Relevanz
Das richtige Maß zu finden, ist oft gar nicht so einfach. Der Grat zwischen persönlich und anbiedernd, unperfekt und peinlich, witzig und unfreiwillig komisch ist oft schmal. "Die Möglichkeit, sich zu blamieren, ist naheliegend", warnt Herrchen. "Es bringt nichts, sich zwanghaft jugendlich zu geben oder um jeden Preis Aufmerksamkeit erregen zu wollen." Im Zweifelsfall gilt deswegen: Lieber nichts machen als schlecht machen! Denn ein angekratztes Image zu reparieren, ist insbesondere bei kurzfristigen Zielen - etwa einer Rekrutierungskampagne - sehr aufwendig bis unmöglich.
Ein scheinbar sicherer Weg ist die Zusammenarbeit mit InfluencerInnen. Sie wissen, wie sie ihre Zielgruppe ansprechen und treffen den richtigen Ton. Doch hier gilt auch: Nicht jede Marke und nicht jeder Influencer passen zusammen. Zudem müssen Reichweite, Zielgruppe und Image berücksichtigt werden - und auch dafür muss das Wesen der GenZ verstanden werden. Denn neben wenigen großen Social Media Stars gibt es eine Vielzahl kleinerer Content Creators, die ebenfalls einen großen Hebel bieten können. Und immer gilt: Verproben, ob die angebotene Reichweite auch tatsächlich in der gesuchten Zielgruppe vorhanden ist.
Wenn dieser Auswahlprozess professionell begleitet wird, Influencer und Marke zusammenpassen und ein stimmiges Konzept entwickelt wird, kann ein Influencer etwas sehr Wertvolles bieten: Den Zugang zur erweiterten Peergroup, die sich jeder GenZ-Nutzer persönlich und höchst individuell auf seinem Smartphone zusammenstellt. Zugang zum persönlichen Mikrokosmos, in dem Relevanz entsteht.
Herrchen schränkt aber auch ein: "Der Einsatz von Influencern kann ein funktionierender Weg sein, ist aber bei weitem nicht der einzige." Stabiler, nachhaltiger und langfristig günstiger dürfte die selbst generierte Reichweite sein. Gute Beispiele, die mit eigenständigen Social-Media-Kampagnen für ordentlich Buzz gesorgt haben, sind etwa die Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) oder die Deutsche Bahn - beides Unternehmen, denen man auf den ersten Blick keinen direkten Zugang zur GenZ zutrauen würde. "Die spielen dann auch mit Social Roasting und treffen damit die Tonalität und den Humor der GenZ", so Herrchen.
Tiktok schreibt alle Marketing-Regeln neu - oder nicht?
Die GenZ bringt ihre eigenen Werte mit und unterscheidet sich in ihrer Mediennutzung grundlegend von früheren Generationen. Das macht es nicht immer leicht, die Jugendlichen zu erreichen. Bedeutet das aber auch, dass für die GenZ grundsätzlich neue Marketingrezepte entwickelt werden müssen? Oder gelten noch die gelernten Regeln?
"Am Ende ist alles Dialog, auch wenn wir es heute eher Customer Experience Management nennen", erklärt Herrchen. Insofern: Nein - es gelten die gleichen Regeln. Aber zugleich: Ja - die Kommunikation hat sich weiter entwickelt. Kanäle, Plattformen und somit Touchpoints sind hinzugekommen, die ihre eigenen Regeln haben und die spezifische Zielgruppen ansprechen.
"CX-Management bedeutet, den Kunden in seinem Entscheidungsprozess zu begleiten. Vom latenten zum konkreten Interesse, von der Informationssuche über die Kontaktaufnahme bis hin zum Kauf und darüber hinaus zum Support. Dieser Prozess verläuft nicht einseitig, sondern in einem Dialog", so Herrchen. Die Customer Journey des Kunden besteht also aus einer Abfolge von Aktion und Reaktion zwischen Kunde und Unternehmen.
Im Kern geht es darum, den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen. Die ihn umgebenden Touchpoints sind Kommunikationsangebote, die er nutzen kann. Wie in einem echten Gespräch bauen Aktion und Reaktion aufeinander auf, die vorangegangenen Kundensignale werden immer berücksichtigt. So kann die Kommunikation beispielsweise mit einer Social-Media-Ansprache beginnen, per E-Mail oder klassischer Werbung fortgesetzt werden und bis zur Anmeldung für eine Probefahrt führen, die nach einem abschließenden Finanzierungsangebot endlich im Autokauf mündet.
Letztlich werden im Customer Experience Management die klassischen Tugenden des Dialogmarketings genutzt - insofern schreibt die GenZ die Marketingregeln nicht neu. Und doch gibt es eine neue Qualität: "Die GenZ ist diese individuelle und persönliche Ansprache einfach von Grund auf gewohnt: Sei es der TikTok-Algorithmus, die Netflix-Empfehlung, der eigene Social-Media-Stream - überall sind die Botschaften genau auf eine Person zugeschnitten."
Dabei müsse der persönliche Nutzen sofort ins Auge springen. "Niemand liest mehr lange Texte oder Erklärungen. Die Aufmerksamkeitsspanne ist viel niedriger geworden. Der persönliche Nutzen muss schnell transportiert werden", sagt Herrchen. Gleichzeitig ist die GenZ äußerst skeptisch gegenüber klassischen Werbebotschaften. Sie haben ein feines Gespür dafür, wann sie umworben werden und reagieren negativ auf unehrliche oder zu werbliche Inhalte. Authentizität und Transparenz sind daher zentrale Werte, die Marken vermitteln müssen. Es ist nun viel wichtiger, dass der persönliche Nutzen und das Storytelling stimmen.
GenZ - Chaos in der Customer Journey
Allgegenwärtige Reizflut, Medienfragmentierung, starke Personalisierung und kurze Aufmerksamkeitsspannen - die Aufgaben für Marketer sind ohnehin schon gewaltig. Doch die GenZ kennt noch mindestens eine weitere Herausforderung: Der Konsument wechselt inzwischen so souverän zwischen den Kanälen, dass allein das Management der CX zu einer überkomplexen Aufgabe werden kann. Eine Customer Journey lässt sich längst nicht mehr linear planen - mit festen Start- und Endpunkten sowie definierten Zwischenstationen.
Manchmal entwickelt sich der Handlungsfaden nicht nur über mehrere Kanäle, sondern auch zeitlich parallel. Zum Beispiel, wenn ein Kunde während seines Anrufs im Support-Center einen Verkaufsvorgang im Online-Shop auslöst. Die Steuerung wird dadurch zwar schwieriger - das Ergebnis aber besser. "Die Kanäle intelligent und datenbasiert zu verknüpfen und so an unterschiedlichen Touchpoints für die Menschen da zu sein, macht eine gelungene Customer Experience aus", weiß Herrchen.
Je weniger strukturiert, je organischer und natürlicher das Kommunikationsangebot ist, desto eher wird es genutzt. Der Preis dafür sind allerdings vielfältige und schwer vorhersehbare Kundendialoge, die nicht aus dem Ruder laufen dürfen. Damit das gelingt, rät Herrchen, den Blick nicht zu eng auf einzelne Kennzahlen zu richten, sondern den Kunden selbst in den Mittelpunkt zu stellen.
Bei einer linearen CX lässt sich der Conversion-Beitrag eines einzelnen Touchpoints recht klar bestimmen. Dieser direkte Zusammenhang geht aber verloren, wenn die Journeys vielfältiger werden. Ein Beispiel: Im Zuge der Mobilitätswende drängen gerade viele neue Anbieter auf den Markt und können - wie etwa Tesla - durchaus beachtliche Marketing- und Vertriebserfolge vorweisen.
Wer sich nun jedoch dazu verleiten lässt, die Kennziffern "Markenbekanntheit" und "Absatz" zum Maß aller Dinge zu erheben, kann schnell enttäuscht werden. Nach dem Autokauf entscheiden auch die Erfahrungen in Sachen Service, Wartung, Garantieabwicklung, Produkthaltbarkeit und nicht zuletzt auch Wiederverkaufswert über die Zufriedenheit der Kunden. Spätestens jetzt erweitert sich die Customer Journey um weitere Touchpoints. Wer nur auf kurzfristige Ziele hin optimiert, verpasst die Chance auf eine zufriedenstellende Experience. Mehr noch: Die hinzugekommenen Touchpoints werden zu Einstiegspunkten in die Markenkommunikation für die nächste neue Käufergeneration, die sich an Erfahrungen, Testberichten und Gebrauchtwagenpreisen orientiert.
Insofern gilt das auch für die Generation TikTok: Mit ihr ins Gespräch zu kommen, ist das eine. Das andere ist, sie für eine langfristige Markenkommunikation zu gewinnen. Beides muss gelingen.
TikTok - es ist nicht alles Gold, was glänzt
Auch wenn es äußerst hip ist, auf TikTok zu publizieren und eine gut gemachte Kampagne dort viel bewegen kann, darf man die Erwartungen nicht überziehen. Auch diese Plattform kennt Herausforderungen und Schwierigkeiten.
1. Kurzlebigkeit der Inhalte: Inhalte auf TikTok sind oft sehr kurzlebig und haben eine begrenzte Sichtbarkeitsdauer, da der Algorithmus ständig neue Inhalte bevorzugt.
2. Algorithmus und Sichtbarkeit: Der Erfolg auf TikTok hängt stark vom Algorithmus ab, der bestimmt, welche Inhalte viral gehen. Dies kann unvorhersehbar und schwer kontrollierbar sein. Andere Medien bieten eine höhere Planungssicherheit und sind weniger volatil.
3. Kreativer Aufwand: Kurzvideos erfordern kontinuierlich kreative und ansprechende Inhalte, um die Aufmerksamkeit der Nutzer zu gewinnen und zu halten. Die Produktion solcher Inhalte kann zeitaufwändig und ressourcenintensiv sein.
4. Messbarkeit und Analyse: TikTok bietet detaillierte Analysen und Metriken in Echtzeit, aber die Interpretation und Nutzung dieser Daten kann komplex sein. Erfahrung und Knowhow sind bei der Analyse nötig.
5. Zielgruppenansprache: Nicht immer ist TikTok überhaupt geeignet. So lässt sich dort tendenziell ein jüngeres Publikum erreichen. Nicht für jede Marke ist das auschließlich von Vorteil
6. Interaktivität und Engagement: Der Kanal erfordert ein hohes Maß an Interaktivität und Engagement, was die Markenbindung stärken kann, aber auch die Erwartungen der Nutzer an ständige Reaktionen und Aktualisierungen erhöht.
7. Kosten und Ressourcen: Die Produktion und Pflege von Inhalten kann kostspielig sein, insbesondere, wenn man professionelle Influencer einbezieht oder aufwändige Videos produziert.