Wenn Dienstleister in einem Betrieb irgendeine Form Künstlicher Intelligenz installieren sollen, gehen nahezu immer die gleichen Sachen schief, weil sich die Verantwortlichen auf Kundenseiten immer dieselben Fragen nicht gestellt haben. Man kann sogar relativ einfach mit einer dreiteiligen Checkliste herausfinden, ob ein Betrieb nicht ausreichend auf den Start eines KI-Projekts vorbereitet ist.
Der Projektverantwortliche sollte drei Dinge wissen:
- Weiß er, wie sich Machine Learning, Deep Learning und Künstliche Intelligenz unterscheiden und beziehungstechnisch zueinander verhalten?
- Hat er eine grobe Vorstellung davon, was entweder Natural Language Processing bedeutet oder wahlweise, was ein neuronales Netz ist?
- Ist ihm bewusst, dass Künstliche Intelligenz keine ganzen Texte als Einheiten analysiert, sondern sich nur stückweise von einem Textteil zum anderen hangelt?
- Lautet die Antwort auf eine der drei Fragen "Nein", ist Ihr Betrieb nicht reif für KI. Vielleicht braucht er sie nicht einmal. Oder schlimmer noch: Vielleicht beschädigt eine KI-Lösung einwandfrei laufende Prozesse nachhaltig.
So werden Sie KI-ready: Die Checkliste
Wenn man beispielsweise fehlerhafte Daten in eine KI-Lösung eingibt, erhält man fehlerhafte Ergebnisse - ein Umstand, der mit dem geflügelten Wort "Garbage in, garbage out" bezeichnet wird - doch das ist für David Spaeth, Head of Marketing beim Anbieter für KI-gestützte Software novomind AG, eher eine Verharmlosung. Denn macht man eine fehlerhafte KI zur Grundlage von Geschäftsentscheidungen, wird der Fehler ständig wiederholt und auf falschen oder unzureichenden Daten beruhende Fehler vervielfältigt: "Man bekommt also nicht Müll heraus, wenn man Müll in eine KI-Lösung wirft - man bekommt eine Müllkippe." Wer sich also keine Sondermülldeponie aus scheinbar KI-veredeltem Datenschrott in die Firma holen will, muss die klassischen Anfängerfehler vermeiden.
Stolperfalle 1: Fehlende Zieldefiniton
Der häufigste Fehler, den Christian Weih-Sum, Mitglied der Geschäftsleitung bei Übersetzungssoftware- Hersteller Across Systems GmbH, immer wieder beobachtet, ist die Abwesenheit jeglicher Ahnung: Wohin will man eigentlich mit dem KI-Projekt? Wieso will man eine Künstliche Intelligenz über Prozess XY stolpern?
"Wenn ein Betrieb beispielsweise Maschinenübersetzung einführen will, frage ich nach: 'Wieso?'", sagt Weih-Sum: "Oft kommt dann die reflexhafte Antwort: 'Kosten sparen'. Aber eine wirkliche Zieldefinition fehlt." Im Falle des oft improvisiert anmutenden "Kosten"-Argumentes kommt noch hinzu: Firmen sollten überlegen, ob es überhaupt sinnvoll ist, an dieser speziellen Stelle Kosten zu sparen. Vielleicht sind die Kosten auch gut investiertes Geld, weil es hier um das Qualitätsmerkmal der Firma geht, an dem man nicht sparen sollte.
Stolperfalle 2: Fehlende Standortbestimmung
Ganz eng verwandt mit Stolperfalle eins: Wo steht man überhaupt? Diese Frage wird genauso oft nicht gestellt: Hat man Personal, um das geplante Projekt umzusetzen? Hat dieses Personal das Know-how? Hat man eine grobe Ahnung, wie KI funktioniert und auf die zu automatisierenden Prozesse einwirkt? Hat man Budget? Wer irgendwo ankommen will, tut gut daran, erstmal nachzusehen, wo er sich befindet.
Stolperfalle 3: Fehlende Neugier
KI-Projekte sollte man nicht mit spitzen Fingern anfassen und dem Dienstleister entgegenschleudern: "Hier, mach Du mal!" - Es benötigt ein grundsätzliches Interesse an der Technologie im Hause, vielleicht sogar eine Faszination dafür, damit man bereit ist, sich in die komplexe Materie einzuarbeiten und auch die immer wieder nötigen Nachjustierungen vorzunehmen, die anfallenden Herausforderungen anzupacken. Ohne dieses Mindset wird das KI-Projekt zum dahindarbenden Stiefkind.
Stolperfalle 4: KI als Bug-Fix für Prozessprobleme einsetzen
Eine KI kann niemals guten Gewissens als Lösung für interne Prozessprobleme aufgesetzt werden. Wer hofft, dass einem eine auf maschinellem Lernen basierende Lösung beispielsweise hilft, grundsätzliche Silo- oder Datenprobleme zu lösen oder auf interner Kommunikation basierende Defizite zu egalisieren, wird hinfallen: Die Grundlage eines KI-Projektes sind die gemachten Hausaufgaben - Prozesse müssen weitgehend stimmen, Daten sauber sein, Lösungen richtig laufen, damit man eine KI darauf aufbauen kann. Macht der Vertrieb einen miesen Job, macht er den auch mit KI.
Stolperfalle 5: Sich das falsche KI-Tool ins Haus holen
Ist die KI-Software, die einem helfen soll, wirklich die richtige? Am Beispiel maschineller Übersetzung illustriert Christian Weih-Sum, dass selbst eine gute Lösung nicht zwingend die richtige Lösung für einen Betrieb sein muss:
"Das fängt beim Geschäftsmodell dahinter an: Bezahle ich volumenbasiert für die KI Leistung? Ist das die optimale Abrechnungsform? Benötige ich eine allgemeine Lösung, die viele Sprachen kann oder eine auf einen bestimmten Sprachraum spezialisierte? Kann man eigene Terminologien und Wörter hochladen, die das Tool verwenden soll, damit die Software nicht meine Corporate Language wegübersetzt? Und wo landen eigentlich die vertraulichen Firmendaten, die ich reinwerfe?"
Bild: Roboter: © bsd555 / istockphoto.com
Stolperfalle 666: Teufelswerk Daten
Wie einem Daten die erfolgreiche KI-Anwendung zerschießen können, verdient eigentlich eine eigene Analyse. Ums kurz und knapp zu sagen: Daten sind das Alpha und Omega, das Salz der Erde, das Teufelszeug, ohne das es niemals gelingen wird. Keine KI funktioniert richtig, wenn die Daten nicht richtig sind: Habe ich genug Daten? Auf Basis einer Million Mails an den Kundenservice kann man Machine Learning darauf ansetzen, hier automatisiert Anliegen wie etwa Beschwerden zu identifizieren - denn die gibt es immer genug. Aber soll die KI Lob erkennen und von Beschwerden unterscheiden können - dann wird es schnell zappenduster: Wie oft schreibt schon ein Kunde, dass er alles toll fand? Kommt vor, nur selten eben. Kontaminiert man seine Beschwerde-Datengrundlage mit nur ein paar wenigen Lob-Mails, kommt die KI schnell ins Straucheln.
Fälle aus der Medizin haben gezeigt, wie schnell eine Software für die Auswertung von Röntgenaufnahmen bei der Krebserkennung schwächelt, füttert man sie mit falschen Aufnahmen: "In der medizinischen Verwendung hat man natürlich Netz und doppelten Boden eingebaut", sagt David Spaeth:
"Selbstverständlich schaut der Arzt nochmal drauf, anstatt dass man einem Gesunden eine automatisierte Krebsdiagnose stellt, auf deren Basis man dann eine Therapie einleitet - allein die psychologischen Folgen wären verheerend, verließe man sich auf eine irrige KI-Diagnose." Man sollte also bei Geschäftsentscheidungen ähnlich vorgehen: nur saubere Daten, nur genug davon, nur mit menschlicher Nachlese.
Stolperfalle 7: KI-Prozesse von Humanprozessen abgrenzen
Den Job, den eine Maschine macht, muss man im Grunde anpacken, als ob ihn ein Mensch machte: Man muss die KI kontrollieren, man muss überprüfen, was sie will und wo ihre Stärken liegen - behandelt man sie nachlässiger und schlechter, als man einen externen Dienstleister behandeln würde, wird sie auch nachlässiger und schlechter arbeiten: Man darf sie nicht sich selbst überlassen, sobald man einmal auf "Start" gedrückt hat.
Stolperfalle 8: Fehlende Beschränkung bei der KI-Verwendung
Gerne gibt man ganze Prozesse und Abläufe an die KI ab oder versucht es zumindest. Dabei kann eine gründliche Bestandsaufnahme zeigen, dass KI zwar sinnvoll an der geplanten Stelle ist - aber nur als Hilfstool und Stütze im bestehenden Prozess statt als Substitut. Beschränkung kann eine KI-Tugend sein.
Pontenziel von künstlicher Intelligenz
Bild: Arthur D. Little, eco e. V.
Stolperfalle 9: Fehlende Ausgabebereitschaft
Nehmen wir mal an: Sie haben viel Geld ausgegeben für Ihr ECommerce- System, Ihre Agenturen, Ihre Texte, das SEO und das Personal- klingt es dann nach einer guten Idee, sich zu sagen:
"Nun ist es an der Zeit zu sparen: Nehmen wir doch die günstigste KI, damit die entscheidet, was genau für Entscheidungen sie trifft, die sich auf all diese Faktoren nachhaltig auswirken."
KI-Projekte benötigen eigene, ausreichend große Budgets - selbst wenn das Ziel dahinter lautet, Geld zu sparen. Damit das funktioniert, muss man erstmal welches in die Hand nehmen. Etwa für die richtige KI-Lösung, die selten die billigste ist (siehe Punkt fünf). Man kann durchaus günstige Standard-KIs nutzen statt aufwendiger individualisierter Lösungen:
"Wenn ich ein Shop bin und ich setze auf Bilderkennung, bei der der Kunde Fotos von Hosen hochladen kann, damit die KI ihm ähnliche Produkte anzeigt" , sagt David Spaeth,
"dann reicht eines der am Markt erhältlichen Standardprodukte zur Bilderkennung. Doch will ich meine individuellen Prozesse mittels KI veredeln, kommt das nicht in Frage."
Stolperfalle 10: Fehlendes Bewusstsein für Nebenwirkungen
KI löst Probleme anders, erledigt Aufgaben anders. Sie hat etwa kein Gespür dafür, dass manche Dinge aus gutem Grund auf eine bestimmte Weise gemacht werden. Lassen Sie Texte automatisiert generieren oder übersetzen oder Webseiten mittels KI entwerfen, können Sie sich beispielsweise in der Regel von der SEO-Optimierung verabschieden, für die Sie Geld ausgegeben haben und die dafür gesorgt hat, dass man Sie findet - es sei denn, Sie haben diesen Nebeneffekt auf dem Schirm und instruieren die KI entsprechend, darauf Rücksicht zu nehmen.
Stolperfalle 11: Fehlende KPIs
Wenn Sie nicht vorher festlegen, woran Sie den Erfolg eines Projektes messen, können Sie es bleiben lassen. Und raten Sie mal: Das gilt auch für KI. Wählen Sie Kennziffern aus, erheben Sie Daten, vergleichen Sie die vorher und nachher gewonnenen Daten - was hat die KI gebracht?
Stolperfalle 12: Fehlender Respekt vor Updates
Nicht nur, aber besonders wer eine frei erhältliche KI-Lösung nutzt, sollte ein Bewusstsein für die Gefahren von Updates entwickeln: Ändert mein Anbieter seinen Algorithmus, kann es sein, dass die KI plötzlich anders funktioniert, ohne dass es mir groß auffällt.
Hochspezielle, ganz individuelle Aspekte der Lösung produzieren dann vielleicht bei 99 Prozent der Nutzer einwandfreie Ergebnisse, aber bei mir Fehler oder unerwünschte Ergebnisse: Auf einmal übersetzt ein Programm die 'Screwdriver' im Sortiment als "Schraubenzieher" statt als "Schraubendreher". Für die Mehrheit der Weltbevölkerung ist das egal, bei eingefleischten Heimwerkern löst das aber ein Befremden aus, als würde man auf einer ComicCon Star Trek und Star Wars gleichsetzen (und das sind wenigstens zwei unterschiedliche Dinge).
Stolperfalle 13: Fehlender Use Case oder: "Brauche ich den Mist überhaupt"?
Vielleicht kann man mittels KI wunderbar einen Skill betreiben, der Nutzer beim Voice Commerce unterstützt, in meinem Shop via Alexa einen Flachbildschirm zu kaufen. Und vielleicht kann man damit seine Managerkollegen mit C-Level-Status im Golfclub beeindrucken. Problem: Kein Mensch kauft Flachbildschirme mittels Alexa. Klar ist KI aktuell noch immer der heiße Scheiß. Fragen Sie sich aber trotzdem: Brauche ich den heißen Scheiß überhaupt?