Influencer-Marketing polarisiert wie kaum eine andere Marketingdisziplin. Wird über Influencer, Kampagnen und/oder deren beauftragende Unternehmen gesprochen, reicht die Stimmung dabei regelmäßig zwischen himmelhoch jauchzend bis zum kompletten Desaster.
Versucht man mal abseits der emotionalen Wellen ein Szenario zur Zukunft der noch jungen Marketingdisziplin zu entwerfen, muss man in einem ersten Schritt den Blickwinkel definieren. "Sieht man das Thema aus der Unternehmensbrille oder aus dem Blickwinkel eines Influencers?", formuliert es Dr. Erwin Lammenett
, selbsternannter "Marketing-Problemlöser" und erfahrener Experte. Die Motive - sofern man rein idealistische Motive mancher Influencer mal außer Acht lässt - der Beteiligten in dieser Wertschöpfungskette sind klar:
- Influencer wollen Bekanntheit erlangen, die sie monetarisieren können.
- Unternehmen und Marken wollen mit Hilfe der Reichweite bei relevanten Zielgruppen diese zu mehr Konversionen bewegen.
Lammenett hat im asiatischen Raum eine Richtung beobachtet, in die sich auch das Influencer-Marketing hierzulande in Zukunft entwickeln könnte:
"Asiatische Influencer machen zunehmend ihre eigene Reichweite und Bekanntheit über eine eigene Marke zu Geld." Das gibt es auch bei uns vereinzelt: mit der Fitness-Influencerin Sophia Thiel
oder Bianca Claßen
als Beauty-Influencerin der ersten Stunde, die mit
Bilou
schon in einer frühen Phase des Influencer-Marketings in Deutschland Ende 2015 ihre eigene Marke exklusiv beim
Drogeriemarkt dm
verkauft hat.
Mehr und mehr Influencer werden ihre Reichweite über eine eigene Marke zu Geld machen
(Erwin Lammenett, Experte, lammenett.de)
Bild: lammenett.de
Reichweite über eigene Marke monetarisieren
Dieser Trend wird sich in Zukunft noch verstärken. Das Influencer- Marketing wird sich in Europa ähnlich wie in Asien entwickeln, wo mehr und mehr Influencer ihre Reichweite über eigene Marken zu Geld machen, ist der Experte überzeugt. "Influencer wären dann nicht mehr Werbepartner, sondern Wettbewerber. Und gäbe es in Zukunft nicht mehr nur eine Bibi mit eigener Marke, sondern 100, dann wäre das Unternehmen zum Lieferanten degradiert", skizziert Lammenett.
Sven Wedig
, Gründer und CEO der Social- und Influencer- Marketingagentur
Vollpension Medien
, sieht das künftige Verhältnis dagegen eher kooperativ und weniger im Wettbewerb:
"Influencer und Marken werden sich immer mehr zusammen schließen und tun dies auch schon, um Marken und Produkte zu entwickeln, denn in der Schnittmenge des Know-hows von Agentur/Marke und Influencer liegt das ganze Potenzial."
Darüber hinaus hat Vollpension Medien in seiner Studie mit der
Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin
auch festgestellt, dass es Influencer bei eigenen Produkten schwerer haben, ihre Zielgruppe zu aktivieren.
Und so ist die Entwicklung vom Werbepartner zum Wettbewerber sicher nur ein denkbares, wenn auch sehr plausibles Szenario: Das produzierende Unternehmen, das früher mit einer eigenen starken Marke bekannt war, produziert in diesem Szenario vorwiegend für Influencer, die unter ihren Namen selber verkaufen und den größeren Anteil in dieser Wertschöpfungskette bekommen. Die Entwicklung zu diesem Szenario ist im Wesentlichen von drei Entwicklungsstufen gekennzeichnet:
- Influencer und Unternehmen sind Werbepartner bei einzelnen Produkten.
- Influencer lösen sich von bestehenden Marken und schaffen eigene Marken mit dem Ziel, als Influencer Produkt und Marke gleichzeitig zu verkörpern. Das produzierende Unternehmen dahinter wird unsichtbar.
Dem Beispiel von Sophia Thiel oder Bianca Claßen sind hierzulande bisher nur relativ wenige gefolgt. Erwin Lammenett sieht dafür diverse Gründe:
- Es ist ein ganz anderer Aufwand, über Produkte zu posten, als eine eigene Marke zu schaffen mit allen Prozessen, die damit verbunden sind: Herstellung, Logistik, Vertrieb etc.
- Auch "Bibi" ist den "Umweg" über einen Exklusivvertrag mit einer Eigenmarke bei dm gegangen, bevor sie das Business dann weiterentwickelt hat.
- Um eine eigene Marke zu schaffen und zu vermarkten, sind betriebswirtschaftliche Erfahrung und Verständnis nötig.
- Was im asiatischen Raum funktioniert, muss in Europa nicht zwangsläufig ein Erfolgsmodell sein, weil andere Rahmenbedingungen herrschen, selbst auf der B2B-Ebene.
Vor allem asiatische Vorbilder beinhalten als potenzielle Erfolgsformel viele Unbekannte, hat Erwin Lammenett erfahren. Er hat selbst Konzeptionen für Marken mit begleitet, die auf den asiatischen Markt expandieren wollten. Den Markteintritt überlässt man dann aber besser lokalen Agenturen, rät er:
"Als Nicht-Asiate kann man von hier aus nur schwer vernünftiges Marketing für den Markt vor Ort machen, weil man viele Dinge von hier aus gar nicht beurteilen kann."Wie sich das Verhältnis zwischen Influencer und Markenherstellern wandelt
Für manche Influencer ist es mitunter attraktiver, die eigene Reichweite und Bekanntheit über eine eigene Marke zu Geld zu machen. Herstellende Marken werden dabei zu Lieferanten degradiert.
Der Wert der Marke
Wer verdient in einer solchen Wertschöpfungskette unter welchen Bedingungen am meisten Geld? Diese Frage will schließlich jeder Akteur mit "ich" beantworten. Man kann das Beziehungsgeflecht mal am Beispiel "Shampoo" auseinanderdröseln: Ein Markenshampoo kostet im Drogeriemarkt den doppelten Preis wie das gleiche Shampoo unter der Hausmarke beim Discounter.
Marke stellt also einen Wert dar, den das Unternehmen gerne für sich selber nutzen möchte. Jedes Shampoo, das ein Influencer verkauft, verkauft das Unternehmen nicht mehr selber. Das kann dem Unternehmen nicht recht sein.
Wenn der Aufwand aber so groß ist, wie oben skizziert, wie wahrscheinlich ist dann das Szenario, dass auch hierzulande immer mehr Influencer diesen Weg gehen? Die Influencerin Farina Opoki
(novalanalove)
geht diesen Weg mit einem eigenen Modelabel. Bei Influencern, die schon etwas länger im Geschäft sind und auch schon 5-stellige Summen für Posts bekommen und die finanziellen Mittel haben, Leute einzustellen, sei laut Lammenett
"gut vorstellbar, dass sie das künftig vermehrt tun werden". Er kann sich nicht vorstellen, dass es mittelfristig "in großer Breite" dazu kommen wird, dass immer mehr unter eigener Marke verkaufen.
"Auf einen Zeithorizont von fünf bis zehn Jahren gesehen, werden aber etablierte Top-Influencer erkennen, welches Potenzial in der Vermarktung eigener Marken steckt", resümiert er. Denn ist eine Marke einmal etabliert, bringt sie ständig Geld. Das Posten hingegen ist Projektgeschäft: Meistens werden die Influencer für Kampagnen engagiert. Ist diese zu Ende, ist auch das Projekt zu Ende.
"Ist es aber erst einmal gelungen, eine Marke im Mindset
des Konsumenten zu verankern, halte ich mir eine Cashcow", so der Marken-Experte.
Sven Wedig sieht hier einen klaren Trend im Beziehungsaufbau mit Influencern und gegenseitigem Lernprozess.
"Das passiert langfristig und liefert positive Effekte. Influencer-Marketing ist halt nicht einfach nur ein Pos(t)ing", betont er.
Dreiecksbeziehung: Unternehmen - Agentur - Influencer
Die verschiedenen Ausprägungen von Beziehungen zwischen Marken und Influencern zeigen, dass die Lernkurve noch lange nicht zu Ende ist, die Unternehmen im Influencer-Marketing in Deutschland machen können. Es ist ja auch noch junger Markt, wenn es aus der Social-Media-Perspektive verstanden wird. Denn das Prinzip des Influencer-Marketing an sich gibt es mit Bloggern und Testimonials schon deutlich länger. So, wie wir Influencer- Marketing derzeit verstehen, nämlich über Postings auf
Facebook
,
Instagram,
,
Youtube
& Co., ist die Disziplin erst im Kindergartenalter. Und hat damit noch jede Menge Entwicklungspotenzial.
Zum Vergleich: Die Disziplin SEO gibt es etwa 15 bis 20 Jahre. Und Erwin Lammenett begegnet immer wieder Unternehmen, die diese Disziplin noch nicht beherrschen:
"Wenn man sieht, wie schlecht ältere Disziplinen wie SEO heute oft noch bedient werden, wird es beim Influencer-Marketing noch ein wenig dauern, bis jedem der Beteiligten klar ist, wer für welche Botschaft an welcher Stelle wie viel Verantwortung trägt."
Influencer-Fails zeigen, dass auch immer hinterfragt werden muss, wie viel Freiheit das Unternehmen dem Influencer lässt: Soll der Influencer die Zielgruppe in seiner Sprache ansprechen, wofür er einen gewissen Freiraum braucht oder gibt es enge Vorgaben, weil Marken Angst vor einem Imageschaden haben?
Noch längere Zeit Diskussionen über Zuständigkeiten und Verantwortung
Diese Dinge sind noch nicht gelernt und werden noch eine längere Zeit Diskussionen über Zuständigkeiten und Verantwortung hervorbringen. Am Ende des Tages trägt das Unternehmen ein großes Stück Verantwortung, aber das erkennen die Follower des Influencers oft nicht. Denn wie so oft bezieht der Überbringer der Botschaft die Prügel.
Influencer-Marketing ist ein Kommunikationsspielfeld auf Augenhöhe.
(Sven Wedig, Gründer und CEO, Vollpension Medien )
Bild: Vollpension Medien
Der Markt wird sich bereinigen, ist Sven Wedig überzeugt. "Professionalisierung ist die logische Konsequenz. Dazu gehören auch Agenturen und Werbetreibende, es ist nicht der Influencer alleine", betont er. Denn: "Wer scheiße brieft, kriegt Scheiße raus."
Es werden weiter Fehler gemacht, das sei auch wichtig, um disruptiv und innovativ zu bleiben, betont er. "Man kann auch in Zukunft viel von Influencern lernen, positiv wie negativ. Sie sind die Vorreiter und zeigen uns, was geht und was nicht geht im Bereich Social Community." Content werde der entscheidende Faktor für alle Stakeholder werden, vom Influencer bis zum Markenentscheider, prognostiziert er: "Wer produziert am besten, am häufigsten und am zielgerichtetsten relevanten Content und wer ist auf Strecke wirklich bereit, sich auf seine Communitys/ seine Kunden einzulassen?"
Das Beziehungsgeflecht Marke - Agentur - Influencer wird immer enger und transparenter, skizziert Wedig. "In der Kür sitzen alle an einem Tisch und lernen voneinander beziehungsweise bringen ihre Kompetenzen maximal ein." Das gemeinsame Verständnis erlaube Freiheiten in Briefings und damit maximale Entfaltungsmöglichkeiten für die InfluencerInnen, welches wiederum direkten Impact auf die Performance der Kampagnen habe. Wedig: "Es ist gemeinsame Sache und kein Kanal ohne Rückkopplung, sondern ein Kommunikationsspielfeld auf Augenhöhe." Der gegenseitige Lernprozess wird noch einige Jahre andauern und sicher noch einige Businessmodelle hervorbringen.
Diverse Themen zum Influencer-Marketing sowie weiteren Themenschwerpunkten können Sie hier
als E-Paper, Ausgabe 05/2021 lesen.