Wie KI und Machine Learning das Marketing verändern

30.11.2021 - Künstliche Intelligenz und Machine Learning nehmen dem Marketing viele bekannte Aufgaben ab und schaffen gleichzeitig neue. Welche Implikationen sie auf Marketing Disziplinen haben.

von Christina Rose , Dominik Grollmann

Wenn von Künstlicher Intelligenz (KI) die Rede ist, klingt unweigerlich ein Szenario an, in dem maschinelles Denken dem menschlichen überlegen wäre. Maschinen beherrschen dann die Menschen, kontrollieren und manipulieren sie, sind aufgrund ihrer immensen Rechenleistung immer einen Schritt voraus und in der Lage, eiskalte und präzise Vorhersagen anzustellen.

Diese Fiktion hinterlässt im Alltag spätestens dann Spuren, wenn viele Menschen die reale Sorge haben, dass ihr Arbeitsplatz in Zukunft von Maschinen ausgefüllt werden könnte. Buchhalter, Steuerberater, Anwälte, Marketer... sie alle könnten bald durch Software ersetzt werden, so eine gängige Vorstellung.

Doch ist dieses Szenario realistisch? Kann Künstliche Intelligenz wirklich einen Menschen ersetzen? Ist eine Maschine einem Menschen überlegen? Und wo verändert sie das Marketing?

Was kann KI - und was nicht?

Grob gesagt: KI ist im Wesentlichen in der Lage, unscharfe Zusammenhänge und Muster zu erkennen. Eine Bildverarbeitungssoftware kann zum Beispiel selbständig die Erkennungsmerkmale eines Fußballs erlernen. Die Software findet heraus, dass Form, Muster, Größe und Materialanmutung wesentliche Unterscheidungskriterien sind und lernt, welche Eigenschaften ein Fußball aufweist. Dabei trainiert sich die Software einen Erfahrungsschatz an. Das ist durchaus vergleichbar mit dem Vorgehen des menschlichen Gehirns.

Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied: Aufgrund der hohen Rechenleistung von Computerchips sowie der beliebig skalierbaren Datenmenge, auf die zugegriffen werden kann, kann eine KI für viele Anwendungen der Leistung eines menschlichen Gehirns überlegen sein.

Sollten beispielsweise aus einigen hunderttausend Fotos alle Bilder aussortiert werden, auf denen ein Fußball zu sehen ist, dann kann eine KI einem Menschen durchaus überlegen sein. Zumindest wird sie - nach ausreichendem Training - sehr schnell eine sehr präzise Vorauswahl treffen können. Eine gewisse Fehlerquote ist dabei durchaus tolerierbar. Denn auch eine menschliche Sortierung wäre fehlerbehaftet. Insofern ist Irren nicht nur menschlich, sondern liegt auch in der Natur der (künstlichen) Sache. Letztlich kein Wunder: Wie soll man einen Fußball genau erkennen, wenn es gar keine trennscharfe Definition dafür gibt?

Implikation fürs Marketing: Maschinelle Lernalgorithmen können das Marketing unterstützen, indem sie beispielsweise Muster erkennen, welche KonsumentInnen wann am wertvollsten sind. Marketing-Botschaften müssen somit nicht mehr breit gestreut, sondern können sehr gezielt eingesetzt werden. Das betrifft Personalisierung und Targeting.

lassen sich Werbebotschaften personalisieren. Kauft Kunde oder Kundin xy vorzugsweise Produkte einer bestimmten Marke, einer speziellen Stilrichtung, kann man ihm oder ihr dazu passende Produkte anbieten. Das lässt sich problemlos über Algorithmen ermitteln. (Bild: HighText Verlag)
lassen sich Werbebotschaften personalisieren. Kauft Kunde oder Kundin xy vorzugsweise Produkte einer bestimmten Marke, einer speziellen Stilrichtung, kann man ihm oder ihr dazu passende Produkte anbieten. Das lässt sich problemlos über Algorithmen ermitteln.


Fairerweise muss man sagen, dass die geschilderte Aufgabe für ein menschliches Gehirn deutlich einfacher zu bewerkstelligen ist als für einen Computer. Das liegt daran, dass ein Gehirn nicht nur Bilder besonders gut auswerten kann, sondern auch ein wahrer Meister im Erkennen von Mustern und Zusammenhängen ist. Weshalb bei Menschen auch die Gefahr allgegenwärtig ist, Trugschlüssen zu erliegen - das Gehirn ist quasi süchtig danach, Zusammenhänge herzustellen.

Implikation fürs Marketing: So gut und schnell maschinelle Lernalgorithmen Zusammenhänge und Muster für Personalisierung, Targeting und Kundenbindung auch erkennen und entsprechende Schlüsse daraus ziehen kann, wird es immer dem Menschen obliegen, überraschende Zusammenhänge herzustellen, um den KundInnen positiv zu überraschen.

Maschinelle Intuition: Warum KI schon jetzt überlegen ist

Maschinen haben gewaltige Vorteile: Sie skalieren besser. Ist der initiale Programmieraufwand einmal erledigt, erledigen sie ihre Arbeit leicht, billig und ohne Murren. Durch Hinzufügen von Rechenleistung können sie enorme Performance entwickeln. Je nach Aufgabe arbeiten sie zudem exakt und nachvollziehbar.

Aber Maschinen haben noch einen größeren, ganz prinzipiellen Vorteil: Sie können große, abstrakte Datenmengen deutlich besser verarbeiten als Menschen. Zahlen sind für Menschen eine fremde Welt, die sie sich oft erst über den Umweg der Visualisierung zugänglich machen können. Maschinen können dagegen hervorragend mit Zahlen umgehen. Sie sind viel besser dafür geeignet, Datenmengen zu überblicken, zu analysieren und zu strukturieren.

Sie können sogar eine Art von "Daten-Intuition" entwickeln, die unter Forschern "starke KI" genannt wird: Was damit gemeint ist, lässt sich leicht mit einem Beispiel illustrieren:
Eine KI könnte anhand einer umfangreichen Datensammlung - beispielsweise von Suchanfragen, aufgerufenen Web-Seiten, zurückgelegten Wegen und der Mediennutzung - eine Aussage darüber treffen, welcher Wochentag gerade ist, ob in einer bestimmten Region gerade ein Feiertag ist, welche Wetterbedingungen dort herrschen und ob es sich deswegen an diesem Tag eher lohnt, einen Imbissstand vor einem Einkaufszentrum zu öffnen oder an den Badesee zu fahren.

Die KI müsste dazu nichts über den Wochentag oder das Wetter wissen. Sie würde aber feststellen, dass die Bewegungsmuster bestimmter Personen (SchülerInnen und Menschen mit geregelten Arbeitszeiten) sehr genau mit den Tagen korrelieren, an denen die Imbissbude vor dem Einkaufszentrum guten Umsatz macht - einfach, weil ein Werktag ist. Verlassen dagegen aus einer anderen Gruppe nur sehr wenige Menschen das Haus und steigt die Nutzung von Video-Streaming, ist zwar wahrscheinlich Wochenende, aber kein Badewetter und der Badesee wäre wieder nicht lohnend. Also vor's Kino!

Für Menschen wäre das eine umständliche Art, das Imbissbuden- Problem zu lösen. Für Maschinen stellt es keine große Herausforderung dar, solche Informationen aus einer Datenbank blitzartig herauszulesen. Im Gegenteil: Durch Machine Learning ist es der KI möglich, selbständig die Abhängigkeiten zu erkennen und die Aussagekraft bestimmter Daten zu bewerten.

Die Datenbank hat folgendes Wissen abgespeichert: KundInnen, die eine 'schwarze Basecap' kaufen, haben den Wert ?20?. KundInnen mit anderen Verhaltensweisen, werden andere Attribute und Werte zugeordnet. Kommt ein neuer Kunde oder eine neue Kundin auf die Website, kann seinem und ihrem Verhalten entsprechend ein bestimmter Wert und ein bestimmtes Potenzial als Lead zugeordnet werden. (Bild: HighText Verlag)
Die Datenbank hat folgendes Wissen abgespeichert: KundInnen, die eine 'schwarze Basecap' kaufen, haben den Wert ?20?. KundInnen mit anderen Verhaltensweisen, werden andere Attribute und Werte zugeordnet. Kommt ein neuer Kunde oder eine neue Kundin auf die Website, kann seinem und ihrem Verhalten entsprechend ein bestimmter Wert und ein bestimmtes Potenzial als Lead zugeordnet werden.


Implikation fürs Marketing: Verhaltensmuster können per Machine Learning erfasst und differenziert werden: Welches Verhalten deutet auf einen höheren Customer Lifetime Value hin und welche Faktoren bestimmen ihn? Aus früheren Verkäufen kann der Lernalgorithmus Muster erkennen, die einen guten Lead ergeben. Diese verwendet er dann, um die genaue Kaufwahrscheinlichkeit für jeden Lead vorauszusagen und den Sales entsprechend auszustatten.

Eine Maschine kann daher anhand des Klickverhaltens eines Shopbesuchers leicht eine Vorhersage über die Kaufwahrscheinlichkeit des Kunden treffen. Die Maschine vergleicht die Verhaltensmuster und sucht darin nach Auffälligkeiten und Anomalien.

Menschliche Intuition: Warum KI nie überlegen ist

Ein Mensch geht durchaus ähnlich vor. Bei der Beurteilung einer Situation nimmt er zum Beispiel viele Sinnesinformationen wahr, die sich zu einem Bauchgefühl verdichten. Ohne weiteres Nachdenken, ohne rationale Analyse, stellt sich blitzartig eine Vorstellung ein: Eine bestimmte Wetterlage "fühlt" sich nach Regen an, eine bestimmte Stimmung in der Straße "fühlt" sich nach Sonntag an.

Im Grunde gleicht auch der Mensch dabei die Daten seiner Sinnesorgane mit gespeicherten Erfahrungswerten ab und gewinnt so blitzartig ein Gefühl. Mit scharfen Sinnen und einiger Erfahrung sind so sehr gute Vorhersagen möglich.

Diese Art von Intuition ermöglicht es einem geübten Verkäufer, sehr schnell und zutreffend KundInnen anhand ihres Auftretens einzuschätzen. Eine Maschine kann im Grunde dasselbe - nutzt dafür aber Surf- und Klickdaten des Besuchenden. Beide Systeme - Mensch und Maschine - haben aber unterschiedliche Fähigkeiten, was die Datenverarbeitung anbelangt. Der Mensch nutzt seine Sinne, die Maschine verarbeitet Zahlen.

Schon wegen dieses Unterschieds können sich Mensch und Maschine kaum gegenseitig ersetzen. Jedes System hat spezifische Stärken.

KI hat null Einfühlungsvermögen

Aber es gibt einen weiteren, entscheidenderen Unterschied zwischen Menschen und Maschine: Ein Mensch versteht einen anderen Menschen. Er kann sich in seine Lage hineinversetzen und seine Handlungsmotive verstehen. Er kann daher sehr gut abschätzen, wie eine andere Person reagieren oder handeln wird.

Ein Mensch kann anhand des Wochentages und der Wetterlage einfach selbst abschätzen, ob er an diesem Tag eher ins Einkaufszentrum oder an den Badesee fahren würde. Ein Mensch mit Humor versteht, was einen anderen Menschen mit Humor zum Lachen bringen wird. Und ein Marketer weiß intuitiv, warum Statusbewusstsein im Leben wichtig ist und wie man diesen Reflex triggert.

Eine KI kann das nicht. Man kann sie mit Regeln füttern. Eine KI "weiß" dann zwar, dass Menschen regelmäßig essen müssen und nach Anerkennung streben. Aber deswegen versteht sie noch nicht, was Hunger ist und was Status bedeutet. Eine KI kann Verständnis für solche Gefühle simulieren, sie aber nicht aufbringen. Im Endeffekt löst KI Probleme so wenig wie ein Schraubenzieher. Erst der Mensch, der ihn richtig benutzt, überwindet das Problem.

Der Lerneffekt des Algorithmus ist hier im Vergleich zum Schaubild auf Seite 64 noch eine Entwicklungsstufe weiter: Per Machine Learning kann nicht nur ermittelt werden, welche Stilrichtung zu einem Kaufverhalten eines Kunden und einer Kundin passt, sondern sogar relativ sicher voraussagen, wenn er oder sie bestimmte Produkte gekauft hat, wird er oder sie auch Produkt xy erwerben. (Bild: HighText Verlag)
Der Lerneffekt des Algorithmus ist hier im Vergleich zum Schaubild auf Seite 64 noch eine Entwicklungsstufe weiter: Per Machine Learning kann nicht nur ermittelt werden, welche Stilrichtung zu einem Kaufverhalten eines Kunden und einer Kundin passt, sondern sogar relativ sicher voraussagen, wenn er oder sie bestimmte Produkte gekauft hat, wird er oder sie auch Produkt xy erwerben.


Die Limits der KI liegen im Denkmodell

KI kann keine kreative Leistungen vollbringen, die über mathematisch fassbare Strategien hinausgehen. Emotionale Intelligenz ist aber das, was einen guten Verkaufsprozess, eine Marketingkampagne, ein ausgefallenes Werbemotiv oder eine gute Produktidee ausmacht.

Einfühlungsvermögen ist außerdem für eine bestimmte Art von Prognose notwendig. Weil KI nur das Verhalten von Menschen analysieren, aber nicht selbst dieses Verhalten nachvollziehen kann, kann es nur mit Durchschnitten und Wahrscheinlichkeiten arbeiten. Deswegen ist KI auf große Datenmengen angewiesen und in der Genauigkeit limitiert. Sprich: Eine KI kann aus Erfahrung feststellen, dass BesucherInnen mit einem bestimmten Klickverhalten zu einem bestimmten Prozentsatz zu KäuferInnen werden. KI kann aber nicht berechnen: "Wenn ich mich in dieser Situation befinden würde, würde ich mich so verhalten?"

Ein schönes Beispiel dafür ist die 2015 abgeschaltete Google- Anwendung "Flutrends", mit der der Softwaregigant KI- und Big- Data-Anwendungen populär machte. Ähnlich wie beim Beispiel mit dem Imbisswagen wertete Google dabei die Suchanfragen zum Thema "Grippe" nach bestimmten Mustern (Ort, Häufigkeit und Art der Suchanfragen) aus und konnte daraus zum Erstaunen der Fachwelt sehr genau ableiten, wo demnächst eine Grippewelle auftreten wird. Google übertraf alle bis dahin etablierten Prognosemodelle und Flutrends wurde als eine der ersten Big- Data-Anwendungen genutzt, um Pharmaherstellern und -lieferanten bei der Planung zu helfen.

Das schöne Beispiel hatte nur einen Haken: Fast immer funktionierte das Vorzeigesystem für KI sehr genau, aber gelegentlich lag es gewaltig daneben. Etwa im Jahr 2013: Weil Medien damals besonders früh und ausführlich vor einer Grippewelle warnten, änderten die BürgerInnen ihr Verhalten und die Zahl der Suchanfragen stieg stärker als in den Jahren zuvor. In der Folge zeigte Googles Algorithmus eine deutliche Überreaktion, während die klassischen Vorhersagemodelle weit präziser funktionierten.

Das Problem: KI ist aus Mangel an Empathie schlecht darin, Vorhersagen für Einzelsituationen abzugeben. Außergewöhnliche, neue, unvorhergesehene und überraschende Entwicklungen sind nicht die Stärke einer Künstlichen Intelligenz. Zumindest wenn die Spielregeln nicht so leicht rational fassbar sind, wie in einem Go- oder Schachspiel.

KI wird deswegen ein mächtiges Hilfsmittel sein, das in datengestützten Prozessen eine entscheidende Rolle spielt. KI wird es erleichtern, Verständnis für Kundendaten aufzubringen. Das kann den Verkaufsprozess verbessern. Aber KI wird niemals den KundInnen verstehen. Und deswegen kann KI keinen Menschen ersetzen oder ihm überlegen sein. Wirklich gut wird maschinelle Rechenleistung nur in Kombination mit menschlicher Interpretationsstärke.

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