Dirk Kemmerer, CEO der Bertelsmann Printing Group.
Bild: Bertelsmann Printing Group
Arbeiten in Zeiten von Corona: Was bedeutet das für Sie als Dienstleister? Was beschäftigt Sie zur Zeit besonders?
Wir nehmen die Empfehlungen und Vorgaben der Regierung, führenden Virologen und Institutionen natürlich sehr ernst. Im Bertelsmann-Konzern wurden schnell und entschlossen vielfältige Maßnahmen beschlossen, um die Verbreitung der Corona-Viren möglichst einzudämmen. Wir haben beispielsweise Dienstreisen eingestellt, Schulungen und Veranstaltungen verschoben und deutlich dazu aufgerufen, Termine stärker auf digitalen Kanälen durchzuführen. Zudem haben wir die Sozialräume und die Kantinen geschlossen.
Wir haben außerdem Mitarbeitern - deren Tätigkeit es erlaubt - verstärkt die Option gegeben, im Homeoffice zu arbeiten. Dies funktioniert aber natürlich nicht in allen Einheiten und Tätigkeitsfeldern gleichermaßen. Vor allem in den Produktionsbetrieben müssen Menschen vor Ort sein, um die Maschinen zu bedienen. Dort ist es der Kern unserer Risikominimierungsstrategie, die Produktion aufrecht zu erhalten. Zu diesem Zweck haben wir uns dazu entschlossen, spezifische Mitarbeitende in schlagkräftigen Teams zu clustern und in ihren bisherigen Kontaktgruppen weitgehend zu isolieren. Die Produktionsmitarbeiter und insbesondere die Maschinenteams wurden angewiesen, ihre sozialen und beruflichen Kontakte auf das unbedingt notwendige Minimum zu beschränken. Im Falle einer Infektion eines Kollegen aus dem Produktionsbereich sind wir dementsprechend jederzeit in der Lage, ein Team herauszunehmen, aber die Produktion trotzdem aufrecht zu erhalten.
Für uns ist in diesem Kontext vor allem die offene Kommunikation von großer Bedeutung - sowohl für die Mitarbeiter als auch für Kunden. Unsere Teams müssen natürlich wissen, was die aktuelle Situation für sie bedeutet, wie sie sich schützen und Ansteckungen bestmöglich vermeiden können. Für sie muss transparent sein, was wir in diesen Bereichen tun und welche Vorkehrungen wir noch treffen werden. Und auch Kunden benötigen klare Informationen, wie wir mit der aktuellen Situation umgehen. Sie brauchen natürlich auch Planungssicherheit und müssen wissen, ob ihre Aufträge auch jetzt fristgerecht bearbeitet werden können. Wir verfolgen die Entwicklungen natürlich weiterhin intensiv und stehen sowohl mit den Mitarbeitern als auch mit unseren Kunden in engem Austausch.
Wie organisieren Sie die Zusammenarbeit der Standorte?
Die direkte Zusammenarbeit bzw. den direkten Kontakt zwischen den Kollegen haben wir an den Standorten so weit wie möglich eingeschränkt. Konkret bedeutet das, dass die Zahl der Mitarbeiter an den Maschinen und den Hallen reduziert wurde, um den persönlichen Austausch und damit auch das Ansteckungsrisiko zu minimieren. Ein weiterer wichtiger Baustein ist die intensive Information der Kollegen, beispielsweise über wirksame Hygienemaßnahmen und weitere Verhaltensregeln. Des Weiteren haben wir dazu aufgerufen, Termine sowie Abstimmungen telefonisch, per E-Mail oder über Teams durchzuführen. So sollen zum Beispiel auch Übergaben zum Schichtwechsel nur durch jeweils eine Person und mit einem gewissen Mindestabstand erfolgen. Zudem werden gemeinsam benutzte Räume oder Bedienpulte noch häufiger gereinigt und desinfiziert. Hier muss ich mich auch nochmal bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der BPG bedanken. Sie alle gehen sehr besonnen mit der aktuellen Situation um und ermöglichen es auf diese Weise, die Aufträge auch weiterhin zu realisieren.
Wie reagieren Ihre Kunden? Werden Marketingbudgets verschoben oder zurückgehalten?
Wir registrieren eine deutliche Vorsicht im Markt und inzwischen liegen uns insbesondere von Reiseveranstaltern auch erste Stornierungen von Katalogen vor. Aktuell erleben wir aber noch keine große Verschiebung oder komplette Zurückhaltung von Budgets.
Vor welche Herausforderungen stellt Sie derzeit Ihr persönlicher Alltag?
Mein Job ist grundsätzlich mit vielen Dienstreisen und zahlreichen Meetings mit Kollegen und Kunden verbunden. Bei Bertelsmann haben wir schon früh entschieden, als Präventionsmaßnahme beispielsweise auf Dienstreisen oder größere Meetings zu verzichten. Dementsprechend bin ich nun mehr als üblich in Gütersloh vor Ort. Meine Termine finden aber natürlich dennoch statt - allerdings eher auf digitalem Wege oder via Telefon- bzw. Videokonferenz. So können wir allen Verpflichtungen nachkommen, unseren hohen Beratungs- und Dienstleistungsanspruch weiterhin erfüllen und gleichzeitig einen Beitrag dazu leisten, die Verbreitung des Virus zumindest etwas einzudämmen.
"Es gibt Markttrends, die aus unserer Sicht unumkehrbar sind"
Die Bertelsmann Printing Group
stellt sich seit 2019 neu auf und reagiert damit auf die Verschiebung von Budgets in Richtung digitaler Kanäle. Was verändert sich für die Kunden?
Den vorwiegenden Teil unserer Kunden haben wir im Druckgeschäft. Seit Jahren gehen jedoch die Auflagen zurück. Es gibt Kunden, die reduzieren ihre Kataloge von heute auf morgen und setzen verstärkt auf Newsletter oder Apps. Wir treiben deshalb seit April aufgrund der veränderten Marktbedingungen eine grundlegende Neuausrichtung der BPG voran. Es gibt Markttrends, die aus unserer Sicht unumkehrbar sind. Und die Dynamik dieser Veränderung hat sich in den vergangenen zwei Jahren noch einmal beschleunigt. Ein weiterer großer Markttrend ist die Konvergenz der Marketingkanäle. Sie macht es überfällig, dass wir die BPG nach Kundengruppen bzw. nach Marktbereichen aufstellen und nicht mehr wie bisher nach Standorten und Technologien. Unsere Kunden wollen keine zehn Ansprechpartner - für Apps, Newsletter, Website, Prospekt, Katalog, Direktmailings, Whitemail oder CRM-Tools. Es gibt bei uns jetzt pro Kunde einen Ansprechpartner, der dann je nach Bedarf die richtigen Kollegen aus der Organisation mit ins Boot holt, um die jeweils notwendigen Kanäle abzudecken. Die Breite der Reichweiten und die verschiedenen Marketingkanäle, die wir anbieten, sind ein wichtiges Differenzierungsmerkmal in einem sehr herausfordernden Markt. Dieser Prozess ist sehr komplex.
Wie weit sind Sie auf diesem Weg?
Aus unserer Sicht sind wir ordentlich vorangekommen. Ein grundlegender Change-Prozess in einer Organisation mit knapp 9000 Mitarbeitern lässt sich jedoch nicht von heute auf morgen umsetzen und hat kein definiertes Ende. Wir haben auch einen Kulturwandel angestoßen, denn ein neues Branding alleine reicht nicht, um ein neues Mindset in der gesamten Bertelsmann Printing Group zu kreieren. Wir haben uns intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wo wir hinwollen und wie wir diese Ziele erreichen. Dieser Change-Prozess wird mindestens fünf Jahre dauern.
Neuausrichtung der Vertriebsstruktur
Was haben Sie konkret bereits verändert?
Wir nehmen das Thema Integration sehr ernst und haben unter anderem unsere komplette Vertriebsstruktur neu ausgerichtet. Früher gab es beispielsweise an verschiedenen Druckstandorten jeweils einen Vertriebsleiter für den Bereich Kataloge. Heute gibt es den übergreifenden Marktbereich Kataloge, der von einem Marktbereichsleiter geführt wird. Diese Fokussierung auf insgesamt fünf Marktbereiche erlaubt eine deutlich koordiniertere Arbeit als in der Vergangenheit.
Welche Neuerungen gibt es noch?
Spannend sind auch die Veränderungen im Bereich Disposition. Wir haben die breiteste Produktionskapazität im Markt. Die Disposition entscheidet jetzt zentral, wo der Auftrag - sei er qualitäts- oder geschwindigkeitsgetrieben - am besten produziert wird, unabhängig davon, wo und von wem er akquiriert worden ist. In einem rückläufigen Markt sind natürlich auch Kostenvorteile wichtig. Dazu ein Beispiel: Wir haben im vergangenen Jahr unternehmensübergreifend zwei neue Maschinen zentral verhandelt und eingekauft, in der Vergangenheit tat dies jeder Standort für sich. Durch die Bündelung des Einkaufs in einer Hand sind wir in einer besseren Verhandlungsposition und können bessere Ergebnisse für die Gruppe erzielen.
Wie reagieren die Kunden auf die Neuaufstellung?
Von Kunden bekommen wir durchweg nur sehr positives Feedback. Sie wollen keinen Ansprechpartner für die Selektion von Neukunden in der AZ Direct, einen für ihren Dialogmarketing-Kanal, einen anderen für Katalogherstellung und einen vierten für Prospektvolumen. Uns wurde von unseren Kunden gespiegelt: "Ihr seid doch eine Organisation, lebt das doch stärker." Das machen wir jetzt.
Konnten Sie dadurch Neukunden gewinnen?
Durch die stärkere Integration der Geschäfte haben wir auch einige neue Kunden gewinnen können. Ein Kunde beispielsweise hat seine Druckaufträge jahrelang bei Mohn Media im Bereich Action Print platziert, aber die Lettershop-Dienstleistungen bei einem Wettbewerber gebucht. Die beiden Verantwortlichen für die Bereiche Lettershop und Action Print arbeiten seit April vergangenen Jahres bei uns in einem Team. So konnten wir Kräfte bündeln und dem Wettbewerb einen Teil des Volumens abnehmen. Was wir vorher bei einer unterschiedlichen Zielsteuerung nicht automatisch geschafft hätten.
Haben Sie auch räumlich etwas verändert?
Das auch. Wir haben viele Standorte und haben die Themen enger zusammengebracht. Die Kollegin, die bisher unsere Großkunden aus dem Verlagswesen aus Dresden betreut, ist in der neuen Organisation für alle Key Accounts zuständig - auch jene, die bisher aus Gütersloh oder Nürnberg heraus betreut wurden. Der Austausch ist enger und die Kollegen haben im Normalfall einen erhöhten Reiseaufwand. Einige sind auch umgezogen, weil sie jetzt komplett andere Jobs machen. Ansonsten haben wir unsere Arbeitsweise massiv umgestellt, arbeiten heute stärker mit Technologien wie Microsoft Teams auf Basis von Office365. Wir arbeiten bereits sehr stark kollaborativ.
Wie haben Sie die Arbeitsweise umgestellt? Was war die größte Veränderung?
Der Zusammenhalt der Belegschaften an unseren Standorten ist extrem eng und die Identifikation der Mitarbeiter mit den jeweiligen Unternehmen sehr hoch. Das wollen und werden wir nicht aufgeben, weil wir es für ein sehr wichtiges Asset halten. Die Bertelsmann Printing Group wurde 2016 gegründet, diese Bündelung der Kräfte wollen wir stärken. Es gibt Druck- und drucknahe Geschäfte, die beim Kunden alle um dieselben Marketingbudgets buhlen. Für uns wäre es deshalb eine verpasste Chance gewesen, weiterhin getrennt voneinander zu agieren. Es reicht aber nicht zu sagen, jetzt arbeiten wir alle zusammen. Man muss auch Rahmenbedingungen für einen übergreifenden Austausch der Mitarbeiter schaffen.
Wie gelingt das?
Das fängt ganz profan mit der Zusammenstellung der Teams aus unterschiedlichen Bereichen an. So kommt zum Beispiel in einem Marktbereich der Leiter aus dem Direktmarketing, der Vertriebsleiter aus dem Druck. Wir haben außerdem in Technologien z.B. für Videokonferenzen investiert und Genehmigungsgrenzen freigegeben. Einige Vorschriften wurden gelockert, damit die Leute mehr miteinander reden und gemeinsam bei den Kunden vor Ort schneller entscheiden können. Und ganz wichtig: Wir haben die Ziele auf einen gemeinsamen Nenner gebracht. Das hilft, damit man - gemeinsam - in dieselbe Richtung läuft.
Seit April 2019 sind Sie CEO der Bertelsmann Printing Group. Im Februar 2020 wurden Sie zudem in das Group Management Committee von Bertelsmann berufen. Was kommt nun auf Sie zu?
Ich freue mich sehr über die Berufung in dieses wichtige Gremium, denn sie ist eine Auszeichnung für die hervorragende Leistung des gesamten BPG-Teams im vergangenen Jahr. Zudem freue ich mich auf den zukünftig sogar noch intensiveren Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Bertelsmann Divisionen. Für unseren relativ traditionellen Geschäftsbereich ist es wichtig, wieder in diesem bedeutenden Konzerngremium vertreten zu sein, Impulse aus anderen Geschäftsbereichen zu erhalten und uns als Division noch stärker einbringen zu können.
Wie sich die Bertelsmann Printing Group auf die steigende Nachfrage nach individualisierter Printwerbung einstellt, lesen Sie im zweiten Teil des Interviews.