28.10.2005 - Das (Dialog-)Marketing der Zukunft muss neue Wege finden
Die Zeiten der Kommunikation haben sich geändert. Heute entscheidet der Konsument darüber, wer mit ihm in Kontakt treten darf. Guido Wietlisbach von OgilvyOne in Zürich ist überzeugt, dass dies in Zukunft sogar noch zunehmen wird. Seine These lautet: "Erfolgreiches Dialogmarketing der Zukunft ist Einladungsmarketing." Dazu müssten die Marken an allen Interaktionspunkten für die Zielgruppe glaubwürdig und erlebbar sein.
Der Weg dorthin scheint aber noch weit. Hatten doch die Auftraggeber, so Dr. Fred Koblinger in seiner Einleitung zum Jahrbuch Dialogmarketing-Trends 2005/2006, bereits kurz nach der Jahrtausendwende die dafür nötigen Marketingbudgets zugunsten kurzfristiger Ertragsziele gestrichen. Schlimmer noch: Während Angst ihre Marketingseele aufaß, waren die Agenturen krampfhaft damit beschäftigt, das Image einer heilen Welt "above the Line" aufrechtzuerhalten. Die Direktmarketer hörten derweil wieder einmal ihre Stunden schlagen - jetzt wurden Umsätze gebraucht. Was kümmerte hier die Marke?
Laut Koblinger waren kranke Kunden allerorten die Folge. Ihre Krankheit war aber nicht therapierbar. Zu schnell verschmolzen Ursache und Wirkung zu einer schicksalsträchtigen Einheit. Die Lösungen wurden den Problemen immer ähnlicher. Die Konsumenten am Markt reagierten verstört. Sie überblätterten, schauten und hörten weg. Trotzdem war Mut mittlerweile ein Unwort geworden. Selbst die angeblich so wirkungsvollen DM-Aktivitäten provozieren zunehmend eine Zielwurfbewegung in Richtung Papierkorb. Die Rücklaufquoten nahmen sich selbst beim Wort - die Quoten wurden rückläufig.
Wieder einmal alles infrage stellen
Laut Koblinger war es spätestens jetzt unabdingbar, sich die grundlegenden Theoreme der Kommunikation wieder einmal ganz bewusst zu vergegenwärtigen und danach zu handeln. Denn Marken sind ein Beziehungsgeflecht - zwischen Anbietern, deren Mitarbeitern und Kunden. Kommunikation ist Arbeit an dieser Beziehung. Mit dem Ziel, eine Markenbeziehung, ein Markenerlebnis herzustellen und auch kontinuierlich zu pflegen. So wie immer mehr Beziehungen scheitern, weil Menschen nicht mehr fähig sind, aufeinander zuzugehen, offen zu kommunizieren und Kompromisse einzugehen, funktionieren auch virtuelle Beziehungen nicht, solange sie nur formal oberflächlich massenmedial gelebt und austauschbar erlebt werden.
Wenn massenmediale Werbung nicht mehr die Herzen der Verbraucher erreicht, spricht das aber nicht gegen diese Kanäle, sondern gegen die Ignoranz, sie nicht dem Dialog zu öffnen. Dies zu begreifen braucht es nach Koblinger weder Kommunikationsfachbücher noch Seminare. Worum es wirklich geht, habe der Naturwissenschaftler Konrad Lorenz in fünf Sätzen zusammengefasst: "Gesagt ist nicht gehört. Gehört ist nicht verstanden. Verstanden ist nicht einverstanden. Einverstanden ist nicht getan. Getan ist nicht wieder getan."
Laut Koblinger ist Kommunikation nicht teilbar. Die willkürliche Platzierung der "Line" nach "einverstanden" sei Humbug. Alle klassischen Medien müssten nicht nur am Image arbeiten, sondern auch helfen, Beziehungen aufzubauen und Verhalten zu beeinflussen. Jede individuelle Kommunikation müsse auch das Markenbild stärken. Als Erstes empfehle sich daher, die verbalen Entgleisungen "Klassik" und "Direkt" aus unserem Sprachschatz zu eliminieren. Und an deren Stelle sich an den zwei grundlegenden Kommunikationszielen zu orientieren: "Image und Verhalten. Markenbild und Markenbeziehung - untrennbar miteinander verbunden. Produkt, Markt, Zielgruppe immer wieder neu zu analysieren, richtig zu gewichten. Und erst danach die Medienwahl zu treffen", so Koblinger.
Ein erfolgreiches Beispiel dafür liefert BMW mit der Kampagne für den 1er. Der Autobauer bediente mit dem Fahrzeug ein neues Segment, und so galt es, die für BMW anfangs recht unbekannte Zielgruppe möglichst genau kennen zu lernen: Sie ist jung. Sie ist die erste Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist. Die vor diesem Hintergrund entwickelte Kampagne hatte mehrere Ziele: Aufmerksamkeit zu sichern und mit der Zielgruppe in Verbindung zu treten, sie kennen zu lernen und den Dialog mit ihr zu entwickeln. Das verlangte zwei parallele Kommunikationswege. Der erste Weg war die klassische Werbung. Sie etablierte den Claim "Das Prinzip Freude" und stellte den BMW 1er seiner neuen Zielgruppe vor. Freude vermittelte die Kampagne über Musik und Bildwelten - etwa durch Kermit, den Frosch. Für den zweiten Weg lag es nahe, das Web zu nutzen. Dieser Kanal wurde zur Basis des Dialogmarketing-Ansatzes. Alle Kommunikationsmittel der Marke machten auf ihn aufmerksam: das Online-Medium selbst, E-Mails an bestehende BMW-Interessenten und alle Response-Kanäle sowie die klassische Werbung.
Was hier gelungen ist, funktioniert jedoch nicht bei allen Marken, sagt Jens Mühe von der Hamburger Agentur Detterbeck, Juric, in der FISCHER`S ARCHIV-Rubrik "Kreative im Dialog". In erster Linie gehe es um die medienadäquate Integration der Idee und nicht der Integration der Medien. Sein Beispiel: Was soll denn von diesem unbesiegbaren Marlboro-Helden - diesem Macho, der Wind und Wetter trotzt - noch übrig bleiben, wenn er auf DIN-lang gefaltet durch den Briefkastenschlitz purzelt? "Das mit der Marke kann man dann total vergessen." Dem kann Christian Schwarm von der Stuttgarter Agentur Dorten nur beipflichten. Allerdings ist das für ihn lediglich die halbe Wahrheit. Seiner Überzeugung nach eignen sich viele klassische Kampagnenideen nicht für einen attraktiven Transport über andere Kanäle. In einem solchen Fall rettet auch die beste medienadäquate Umsetzung nicht mehr viel. Darum wird man in den nächsten Jahren daran arbeiten müssen, medienneutrale Strategien und Konzepte zu entwickeln. Um erst dann, im Angesicht einer übergeordneten Idee, über den Einsatz der richtigen Mittel und Wege zu ihrer Kommunikation zu entscheiden.
Unterscheidbare Mehrwerte liefern
Dazu müssen Unternehmen und Agenturen unterscheidbare Mehrwerte liefern. Ein probates Mittel hierfür sind Emotionen. Liebe, Freude und Angst bewirken viel beim Verbraucher, bauen Beziehungen auf und werden inzwischen überall in den Medien genutzt. Bekannteste Beispiele sind das Internet-Auktionshaus eBay, das sich der Aufregung und Erleichterung bedient. Und eben der Autobauer BMW, der mit dem Prinzip Freude Emotionen über alle Kanäle und über alle Disziplinen hinweg verbreitet. Die beiden Beispiele stehen aber auch für originale Marken, die es laut Georg Schumacher vom Querdenker-Network in Hamburg braucht, um verkaufen zu können. Die Agenturen dürfen sich seiner Meinung nach nicht mit der Tatsache zufrieden geben, Marken seien kaum mehr durch rationale Argumente unterscheidbar. Vielmehr sollten sie es als Herausforderung sehen und gemeinsam mit den Auftraggebern dafür sorgen, dass die Marken dem Verbraucher wieder unterscheidbare rationale und emotionale Mehrwerte bieten.
Neue überraschende Lösungen
Ein Beispiel hierfür stammt bereits aus dem Jahr 2003 und ist noch heute Fred Koblingers Lieblingskampagne: "Call Jim Beam". Die in Cannes mit einem Grand Prix ausgezeichnete australische Arbeit zielte nicht mehr klischeehaft auf die ohnehin kaum noch vorhandenen Machos ab, sondern auf die damals neuen metrosexuellen Männer. Sie bot ihnen Hilfe an. Dialog über alle Medien. In kreativen Umsetzungen und einer emotionalen Qualität, die auch Nicht-Zielgruppen begeisterte. Die Imagewerte explodierten. Über sechs Millionen Calls sprachen eine klare Sprache.
Vögeles Regeln brechen
Koblinger meint, Vögeles Regeln haben nach wie vor Gültigkeit, vor allem, was den Dialog betrifft. Um heute zum Erfolg zu kommen, müsse man sie aber immer wieder mutig und kreativ brechen. Alles allein am Response auszurichten, nach dem Motto "Creativity to hell, we have to sell!", sei eine Sackgasse. Je näher man dem Konsumenten kommt, je mehr man ihn bewegen will, desto mehr ist die kreative Auseinandersetzung gefragt. Je größer der Wille, dass der Konsument etwas konkret tut, desto emotionaler muss die Kommunikation sein.
Ein viel beachteter Beleg zu dieser These ist die Renault-Modus-Kampagne "A Channel Hopper", mit der die Hamburger Agentur Nordpol durch den Gewinn des Direct Grand Prix Cannes-Geschichte schrieb. Es war die erste Kampagne für ein Auto, die im TV-Spot kein Auto zeigte, sondern die die Zuschauer zum Zapping zwischen den Kanälen aufforderte und am Ende lediglich auf die Homepage verwies. Damit brach sie alle Regeln Vögeles. Dennoch konnte sich kaum einer der Aufforderung zum Umschalten entziehen. Fred Koblinger, diesjähriger Jurypräsident der Cannes Lions Direct, bezeichnet die Arbeit als genial emotional: "Dass hier die richtige Wahl getroffen wurde, zeigte nicht zuletzt die anschließende Debatte in Deutschlands Agenturlandschaft. Die üblichen Reflexe der üblichen Verdächtigen in grenzenloser Selbstüberschätzung. Ja, darf denn das sein? Wie viel ist denn daran Direktmarketing? Als würden hier einige Gramm Schinken und etwas Wurst verkauft!
Die Agenturlandschaft verändert sich
Dass es ausgerechnet der klassisch orientierten Agentur Nordpol gelang, Dialogmarketing-Geschichte zu schreiben, zeigt die Veränderungen in der Agenturlandschaft - weg vom Einkanaldenken, hin zur Integration über alle Medien. Wobei nicht allein die kürzliche Fusion der Dialog-Units innerhalb der DDB-Group zu Tribal DDB oder die umfassende Umstrukturierung von Springer & Jacoby gemeint sind. Bernd M. Michael, CEO von Grey in Düsseldorf und diesjähriger Jury-Präsident des GWA-Effie, bringt die Anforderung an eine erfolgreiche Kampagne auf den Punkt: "Gutes muss auch gut kommuniziert werden." Dabei ist es egal, welcher Disziplin die Agentur ursprünglich entstammt. Die Grenzen zwischen Klassik und Dialog verwischen immer mehr. "Die Vernetzung wird immer professioneller", sagt GWA-Präsident Holger Jung mit dem Verweis, dass hinter den 31 Effie-Finalisten 40 Agenturen stecken. "Das bedeutet auch, dass die Spezialisten verschiedener Disziplinen enger zusammenarbeiten." Wer hier Erfolg haben will, muss in Zukunft neue Wege beschreiten.
Eine Anregung, wie die neuen Pfade aussehen können, gibt Ian Spehr von OgilvyOne, Stuttgart, in "Kreative im Dialog": "Wir müssen in diesem neuen Spiel aus den Selbstbestimmungsfehlern der vorangegangenen Werbergeneration lernen und eine neue Spielform entwickeln, die sich befreit von Ideendiktat und Disziplinprotektionismus." cb
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