Das - eigentlich historische - Konzept von New Work ist zum Buzzword verkommen. Die Idee stammt aus den 70er Jahren und ist ein Gegenentwurf zum Taylorismus, der die Arbeitswelt im 19. Jahrhundert grundlegend veränderte und den Grundstein für einen Zustand legte, den Karl Marx als 'Entfremdung der Arbeit' beschrieb: das schlichte Ausführen von Handgriffen. Mitarbeiter hinterfragten ihre Aufgabe nicht und kannten deren Sinn nicht. Mitte der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts stellte dann erstmals der österreichisch-amerikanische Philosoph Frithjof Bergmann dieses System mit seinem Theoriekonzept der Neuen Arbeit in Frage. Er forderte, dass Arbeit ein Mittel sein sollte, dessen Zweck es ist, dass der Mensch sich dadurch verwirklichen kann. Eine Idee, die zunächst niemanden interessierte.
Die Digitalisierung hat das Konzept dann aktueller denn je gemacht, denn orts- und zeitunabhängige Leistungen machen das schlichte Abarbeiten nahezu überflüssig. Doch was Arbeitnehmer - vor allem jüngerer Generationen - mittlerweile als selbstverständlich bei ihren zukünftigen Arbeitgebern voraussetzen, sieht in der Praxis noch ganz anders aus. Nicht einmal zehn Prozent der Unternehmen arbeiten agil. Und das, obwohl jeder dritte Beschäftigte dies gerne möchte und eine deutliche Mehrheit agilen Arbeitsweisen offen gegenübersteht, so eine aktuelle Studie
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Neun von zehn (92 Prozent) Arbeitnehmern stehen New-Work-Konzepten sehr oder eher aufgeschlossen gegenüber - nur 6 Prozent lehnen diese ab, hat der IT-Verband Bitkom ermittelt. Die allermeisten Berufstätigen möchten einer sinnstiftenden Tätigkeit nachgehen und stellen an ihren Arbeitgeber hohe moralische Ansprüche, etwa was die soziale Verantwortung angeht.
Freie Zeiteinteilung steht auf der Wunschliste der Beschäftigten ganz oben.
Grafik: Bitkom
Die große Not - der wirtschaftliche Druck unter dem Unternehmen und Gesellschaft aktuell stehen - hat allerdings zur Verkürzung und Vereinfachung von New Work geführt. Die Folge ist, dass das Konzept sein Potenzial nicht entfalten kann und häufig zu Enttäuschungen sowohl seitens der Arbeitnehmer als auch der Unternehmen führt. Um das zu ändern, ist es nötig, den Sinn von Arbeit zu hinterfragen, neu zu definieren und dann New Work wirklich zu leben. Clemens Meiß, geschäftsführender Gesellschafter der Markenagentur
Get the Point
, definiert fünf Schritte, wie das gelingen kann:
Clemens Meiß
Bild: Get the Point
Neue Arbeit an den richtigen Stellen verankern
Schritt 1: Die Basis ist die Arbeit an der Identität des Unternehmens. Dabei hat das Management gemeinsam mit den Fachabteilungen die Aufgabe, die eigene Philosophie zu hinterfragen und ein Wertesystem zu entwickeln, das den Anforderungen der neuen Arbeit genügt. Zentral ist dabei, ob das Top-Management New Work in seiner wahren Bedeutung im Unternehmen als Geisteshaltung sehen kann. Hierbei ist das Unternehmen als Teil der Gesellschaft zu betrachten und die Frage zu stellen, ob der Beitrag, den man leistet vereinbar ist mit dem Anspruch von New Work: Mitarbeiter sollen sich selbst durch ihre Arbeit verwirklichen. Kann das bejaht werden, geht es daran, den gesellschaftspolitischen Mehrwert zu formulieren und nach außen sichtbar zu machen. Wenn nicht, gibt es die - unrealistische aber vielleicht zukunftsfähige - Möglichkeit, das Geschäftsmodell zu hinterfragen und zu aktualisieren. Da das in vielen Fällen aber nicht möglich sein wird, empfiehlt es sich, ein kluges Kultur- und HR-Konzept zu entwickeln und sinnvolle Maßnahmen zur Arbeitnehmergewinnung und -bindung aufzusetzen. Das ist genauso legitim. Und ehrlich. Wenn es New Work genannt wird.
Schritt 2: Was die Organisationsentwicklung angeht, beginnt die Umsetzung des in Schritt 1 neu definierten Wertesystems mit einem Denkprozess für alle Abteilungen. Mit strategischen Auszeiten, Workshops und Führungsrunden und in Begleitung von Organisationspsychologen wird ein Konzept für den Arbeitsalltag entwickelt. Alle Beteiligten brauchen dafür Raum für innere Reflektion - Inhaber, Vorstand, Lenker und verantwortliche Führungskräfte. Für Abteilungsleiter gilt es, mit Unterstützung aus HR und Kommunikationsabteilung, Methoden zu finden, ihre Mitarbeiter einzubeziehen und gleichzeitig ihnen die Angst vor der Veränderung zu nehmen.
Schritt 3: Die Veränderung des Leadership-Verständnisses entscheidet letztlich über Erfolg oder Misserfolg: Führungskräfte brauchen tiefes Wissen über den Wandel sowie entweder eine entsprechende Persönlichkeit oder die Bereitschaft, ihn voranzutreiben. Mitarbeiter merken sofort, wenn lediglich eine oberflächliche Übernahme des Hype-Begriffes geschieht. Und das ist zu häufig der Fall, weil die Angst vor dem Verlust von Bekanntem, von Ansehen, Status und Rolle, von Macht, von sicheren Strukturen etc. groß ist. Und das ist normal, denn Wandel ist immer auch etwas zutiefst Menschliches. Und er braucht Menschen, die das verstehen.
Schritt 4: Der Bereich HR ist der Enabler einer Kultur der Veränderung und muss für sich aus den erarbeiteten Konzepten eine Strategie samt Operationalisierung ableiten. Dazu gehört es, Statussymbole neu zu definieren und das Zurückfallen in alte Muster zu verhindern. Jeder erinnert sich noch daran, wie beispielsweise Führungskräfte früher versuchten, sich mit Überstunden oder der nächtlichen Verweildauer im Büro gegenseitig zu übertrumpfen. Solche Dynamiken gilt es zu durchbrechen und durch neue Werte zu ersetzen.
Schritt 5: Im Bereich Employer Branding hat New Work das Potenzial für echte Arbeitgeberdifferenzierung. Denn Unternehmen die New Work leben, stechen aus der Masse heraus. Aktuell wird darunter allerdings so ziemlich alles angepriesen, was irgendwie die Arbeitgebermarke attraktiver macht - Job-Sharing und -Rotation, agile und digitale Zusammenarbeit oder Home-Office. Vielmehr gilt es, die innere Haltung sichtbar zu machen. Dazu müssen die Mitarbeiter im Wandel mitgenommen werden und so sehr davon überzeugt sein, dass sie als Multiplikatoren nach außen agieren. Denn nur ihnen glauben Bewerber, dass ein Unternehmen New Work lebt.
Für Clemens Meiß sieht die Zukunft rosig aus:
"Wer sich diesen gesellschaftlichen und unternehmerischen Veränderungen wirklich stellt, kann voller Optimismus in die Zukunft blicken. Es warten gute Aussichten. So viel mehr Freiheit, so viel mehr Freude an dem was man tun kann. So viel mehr Sinn. Eine neue, bessere Gesellschaft, in der Menschen selbstbestimmt arbeiten und dadurch mehr Zufriedenheit in die Welt tragen."