Bis zum Jahr 2050 will die Europäische Union klimaneutral werden und nimmt dafür auch die Unternehmen in die Pflicht. Im November 2022 verabschiedete das EU-Parlament die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)
. Demnach müssen ab 2025 alle in der EU börsennotierten Unternehmen für das Geschäftsjahr 2024 einen Nachhaltigkeitsbericht erstellen. Zu den obligatorischen Angaben gehört auch eine Bilanz der Treibhausgasemissionen.
Die Berichtspflicht gilt außerdem für alle nicht börsennotierten Betriebe, die zwei dieser drei Kriterien erfüllen: Eine Bilanzsumme über 20 Millionen Euro, Nettoumsatzerlöse über 40 Millionen Euro sowie mehr als 250 Beschäftigte. Die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG
schätzt, dass in der EU circa 50.000 Unternehmen betroffen sein werden, davon 15.000 allein in Deutschland. Börsennotierte KMU können bis 2028 eine Ausnahmeregelung in Anspruch nehmen.
ExpertInnen gehen davon aus, dass die gesetzlichen Regelungen in Zukunft noch verschärft werden. Jüngstes Beispiel ist der Gesetzentwurf der EU-Kommission gegen Greenwashing
. Er sieht vor, dass Unternehmen Werbe-Claims zur Klimaneutralität künftig wissenschaftlich belegen und unabhängig prüfen lassen müssen. Für viele Unternehmen ist es künftig unerlässlich, den eigenen CO2-Fußabdruck zu kennen.
Der CO2-Fußabdruck wird auch CO2-Bilanz oder Carbon Footprint genannt. Er gibt an, wie viele Tonnen an klimaschädlichen Emissionen ein Untersuchungsobjekt verursacht - das kann zum Beispiel ein Mensch, ein Produkt oder ein Unternehmen sein. Dabei ist der Begriff CO2-Fußabdruck eigentlich nicht ganz korrekt, denn zu den relevanten Treibhausgasen gehören neben CO2 zum Beispiel auch Methan oder Lachgas. Bei der Berechnung spricht man deshalb von CO2-Äquivalenten (CO2e).
Anerkannter Standard: Das Greenhouse Gas Protocol
Viele Betriebe orientieren sich bei der Ermittlung des CO2-Fußabdrucks am
Greenhouse Gas Protocol (GHG-Protokoll)
. Dieser Standard wurde von der UN im Nachgang des Kyoto-Klimaschutzabkommens definiert und ist laut
Bayerischem Landesamt für Umwelt
der am häufigsten genutzte Methodenstandard. Es unterteilt CO2-Emissionen in drei Bereiche, die so genannten Scopes:
- Scope 1: Direkt erzeugte Emissionen, die durch die Nutzung eines Produktes entstehen. Dazu gehören zum Beispiel die Abgase des eigenen Fuhrparks oder Emissionen, die durch das Verbrennen von Öl in einer Heizung entstehen.
- Scope 2: Indirekte Emissionen aus eingekaufter Energie wie zum Beispiel Strom aus der Steckdose oder Fernwärme.
- Scope 3: Indirekte Emissionen innerhalb der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette. Hierbei handelt es sich um Emissionen, die zwar im Zusammenhang mit der Produktion entstehen, aber vom Unternehmen selbst nicht kontrolliert werden. Dazu gehören zum Beispiel eingekaufte Waren und Dienstleistungen, Pendelverkehr der Beschäftigten oder die Entsorgung verkaufter Produkte.
Prinzipiell ermittelt man den CO2-Fußabdruck eines Unternehmens, indem man alle Emissionen eines Jahres aus den drei Scopes erfasst und addiert. Zur Berechnung werden Verbräuche wie zum Beispiel der jährliche Stromverbrauch in Kilowattstunden oder der Kraftstoffverbrauch in Litern mit dem jeweiligen Emissionsfaktor multipliziert. Der Emissionsfaktor gibt das Verhältnis zwischen der Masse eines emittierten Stoffes und der Masse eines Ausgangsstoffes an. Ergebnis ist der Ausstoß an CO2-Äquivalenten in Kilogramm bzw. Tonnen. Die Emissionsfaktoren wiederum sind in diversen Datenbanken zu finden. Als anerkannte Datenbanken gelten die GEMIS, die IPCC Leitlinien und ProBas. Viele Tools und Tabellen findet man auch auf der Website des Greenhouse Gas Protocols.
CO2-Fußabdruck ermitteln: Make or buy?
Diese Berechnungen können prinzipiell auch in Eigenregie, nur mit einer Excel-Tabelle, durchgeführt werden. Franziska Kramer
von der Nachhaltigkeitsberatung
Plant Values
nennt in einem Blogbeitrag die Vorteile einer solchen Vorgehensweise: Das Wissen bleibt im Unternehmen, dieses bleibt unabhängig von Dritt-Anbietern und die Mitarbeitenden werden für die Klimathematik sensibilisiert. Nachteile sind ein hoher zeitlicher und personeller Aufwand, vor allem wenn das nötige Know How über die anerkannten Methodenstandards und die Beschaffung der Daten erst erarbeitet werden muss.
Der Outdoor-Händler
Bergzeit
erstellt seit vier Jahren eine Klimabilanz und hat dafür bereits mit verschiedenen Dienstleistern zusammengearbeitet. Nachhaltigkeit ist schon seit Jahren ein Thema bei Bergzeit. Unter anderem beschäftigt das Unternehmen mit Sitz in Otterfing bei München eine eigene Nachhaltigkeitsmanagerin. Im Jahr 2020 wurde Bergzeit durch
EMAS
, das Eco-Management and Audit Scheme der Europäischen Union, zertifiziert.
"Im Rahmen unserer EMAS-Zertifizierung haben wir bereits viele Kennzahlen, wie zum Beispiel den Strom-, Gas- oder Wasserverbrauch, aber auch das Abfallvolumen ermittelt", erzählt Holger Cecco-Stark
, Head of Facility & ECO Management bei Bergzeit und verantwortlich für die CO2-Bilanzierung. Auch Dienstfahrten wurden damals bereits erfasst. Diese Erhebungen hatten allerdings noch nicht den Umfang einer kompletten Klimabilanzierung, denn im Gegensatz zu Scope 1 und Scope 2 kann Scope 3 mit EMAS nur zu einem relativ kleinen Teil abgedeckt werden. Die erste vollständige Klimabilanz hat Bergzeit im Rahmen eines Pilotprojektes mit
"einem bekannten Klimabilanzierer" erstellt, doch Cecco-Stark war enttäuscht von der oberflächlichen und intransparenten Vorgehensweise des Dienstleisters, der seine Berechnungen vor allem auf Durchschnittswerte stützte:
"Die Ergebnisse waren in vielen Fällen nicht nachvollziehbar für uns."
Diese Emissionen sollten Unternehmen ermitteln (Beispiele)
| als Onlinehändler | als Digital- und Marketingunternehmen |
---|
Scope 1: Direkte Emissionen | Gas- oder Ölverbrauch für Heizung der Büroräume, Gas- oder Ölverbrauch für Heizung der Lager, Treibstoffverbrauch des eigenen Fuhrparks | Gas- oder Ölverbrauch für Heizung der Büroräume, Gas- oder Ölverbrauch für Heizung der Lager, Treibstoffverbrauch des eigenen Fuhrparks |
Scope 2: Indirekte Emissionen
| Strom für Büro- und Geschäftsräume (auch Klimaanlagen für Lager)
Fernwärme
| Strom für Büro- und Geschäftsräume (auch Klimaanlagen für Serverräume)
Fernwärme
|
Scope 3: Vor- und nachgelagerte Emissionen
| Produktionsmittel und Investitionsgüter
Pendeln der Beschäftigten
Geschäftsreisen
Müll
Eingekaufte Waren
Paketversand zum Kunden
Retourenversand
Nutzung und Entsorgung der verkauften Produkte durch die Kundschaft
| Produktionsmittel und Investitionsgüter
Pendeln der Beschäftigten
Geschäftsreisen
Müll
Eingekaufte Waren
Energieverbrauch durch vermittelte Dienstleistungen
|
Danach entschied sich Bergzeit für eine Excel-Lösung eines freien Anbieters. Nachhaltigkeits-Experte Cecco-Stark schätzt die "maximale Transparenz" einer solchen Lösung:
"Ich gebe meine Verbrauchsdaten ein, sehe die zugehörigen CO2-Faktoren und erhalte dann mein Ergebnis." Allerdings wurde die Excel-Liste aufgrund der vielen Werte bald zu unübersichtlich. Außerdem wünschte sich der Händler ein regelmäßiges Reporting, wo er auf einen Blick sehen konnte, ob die jeweiligen Emissionen sanken oder stiegen und ob man dem Ziel einer Reduktion näherkam.
Inzwischen arbeitet Bergzeit mit dem Dienstleister
Gobal Climate
mit Sitz in Straßlach bei München zusammen. Dessen Lösung enthält unter anderem ein regelmäßiges Reporting mit einer grafischen Aufbereitung der Ergebnisse. Cecco-Stark ist zufrieden:
"Jetzt haben wir ein Tool, mit dem wir sehr einfach und gut arbeiten können. Es liefert uns auf Knopfdruck genau die Auswertungen, die wir brauchen und die uns nach vorne bringen."
Wichtig sind anerkannte Standards, hochwertige Daten und genügend Ressourcen
Worauf sollten Unternehmen, die noch ganz am Anfang stehen, achten?
"Wichtig ist, dass man eine Logik hat, die sich an anerkannten Standards orientiert", sagt Florian Abel
, Sustainability Officer beim Logistiker
Hermes
.
"Das Greenhouse Gas Protocol gibt dabei den groben Rahmen vor", erklärt Abel.
"Darüber hinaus gibt es noch industriespezifische Standards. In der Logistik ist das zum Beispiel des Global Logistics Emissions Council (GLEC)." Anerkannte Standards stellen sicher, dass die Berechnungen plausibel sind - und vor dem Hintergrund der Corporate Sustainability Reporting Directive der EU auch einer externen Wirtschaftsprüfung standhalten.
Eine weitere Herausforderung ist die Erfassung der jeweiligen Verbrauchsdaten und ihre Qualität. Online-Tools, die bei der Berechnung in erster Linie Durchschnittswerte heranziehen, sind Abel zufolge für eine konkrete Steuerung der CO2-Emissionen eher ungeeignet:
"Mit Durchschnittswerten kann ich zwar grundsätzlich meine CO2-Bilanz berechnen. Betrachte ich aber nur den Durchschnittswert, sehe ich nicht unbedingt, an welcher Stelle ich nachbessern muss oder wo eine Maßnahme zur CO2-Reduktion erfolgreich war." Er nennt ein Beispiel:
"Wenn ich meine CO2-Emissionen auf der letzten Meile in Berlin oder Hamburg nicht separat erfassen würde, würde ich nicht sehen, welchen Effekt es genau hat, wenn ich E-Transporter oder Lastenräder einsetze."
Holger Cecco-Stark von Bergzeit betont, dass man für eine seriöse Klimabilanz nicht um eine sorgfältige Erhebung der Daten herumkommt:
"Kein Dienstleister befreit mich davon, die Daten zu erfassen." Wichtig ist auch, dass die Unternehmensführung dem Thema Nachhaltigkeit eine hohe Priorität einräumt und ausreichend Ressourcen zur Verfügung stellt. Bei Hermes sind etwa sind mehrere Personen für die CO2-Bilanzierung zuständig. Abel:
"Nur, wenn sich alle im Unternehmen dafür verantwortlich fühlen, wird es klappen."
Amin Neises
ist Geschäftsführer der Nachhaltigkeitsplattform
Waves
. Seiner Ansicht nach sollten Unternehmen im Rahmen ihrer Klimabilanz unbedingt Ziele und geeignete Umsetzungsmaßnahmen definieren - und die Maßnahmen dann auch umsetzen sowie kontinuierlich die tatsächlich entstandenen Verbesserungen aufzeigen, zum Beispiel:
"Alle unsere Logistik-Dienstleistungen sind ab dem Jahr 2030 klimaneutral. Dazu werden die erforderlichen Maßnahmen festgelegt, budgetiert und zu den definierten Zeitpunkten verbindlich umgesetzt. Die Auswirkungen auf die Verringerung der CO2-Emissionen werden fortwährend aufgezeigt."
Im Onlinehandel spielt Scope 3 eine wichtige Rolle
Die Emissionen aus den Scopes 1 und 2 sind für Unternehmen relativ einfach zu ermitteln und auch zu beeinflussen. Anders sieht es mit den Emissionen aus Scope 3 aus, den indirekten Emissionen. Hier ist ein Betrieb auf die Daten Dritter angewiesen und auch die Einflussmöglichkeiten sind begrenzt.
Vor allem für OnlinehändlerInnen, die ihre Ware mit einem Versanddienstleister verschicken, spielt Scope 3 eine große Rolle. Über 90 Prozent der CO2-Emissionen fallen im Onlinehandel in Scope 3 an, schätzt Florian Abel von Hermes. Der Paketdienst hat ein eigenes Berechnungstool, mit dem er den CO2-Ausstoß jeder einzelnen Paketsendung ermitteln kann - unter Berücksichtigung der jeweiligen Transportabschnitte. Seinen GeschäftskundInnen stellt Hermes dann den gesamten CO2-Ausstoß ihrer verschickten Pakete zusammen. Hermes ist dabei nicht der einzige Paketdienst: Auch
DHL
erstellt für seine Kundschaft einen CO2-Report.
Digitalagenturen und Marketingdienstleister haben bei der Ermittlung ihres CO2-Fußabdrucks und den Maßnahmen zur Reduktion andere Schwerpunkte als Händler, die physische Waren versenden. Nachhaltigkeitsexperte Armin Neises erklärt:
"Bei Agenturen stehen andere Fragen im Vordergrund: Wie schnell kann ich meine IT-Dienstleistungen konsequent mit erneuerbaren Energien betreiben oder wie kann ich meine Daten so komprimieren, dass die Verarbeitung weniger Energie verbraucht?"
"Für uns als Onlinehändler war es erwartbar, welch großen Anteil die Versand-Emissionen ausmachen", sagt Holger Cecco-Stark von Bergzeit. Doch die Mitarbeiter-Mobilität spielt bei Bergzeit eine noch größere Rolle:
"Das ist ein Bereich, den viele andere nicht bilanzieren. Für uns aber die größte Spielwiese, denn prozentual gesehen haben wir hier die meisten Emissionen."
Für die Erfassung der Daten stellt Gobal Climate dem Händler eine App für die Mitarbeitenden zur Verfügung. Dort können diese eintragen, wie lang der Arbeitsweg in Kilometern ist und wie sie zur Arbeit kommen: mit dem Fahrrad, dem Auto oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Um die Klimabilanz in diesem Bereich zu verbessern und den Umstieg auf alternative Verkehrsmittel zu erleichtern, setzt Bergzeit zum Beispiel auf Maßnahmen wie einen Zuschuss zum 49-Euro-Ticket oder Rad-Unterstände mit Reparaturmöglichkeit. Von CO2-Kompensation - etwa durch Wiederaufforstungsprojekte - hält Cecco-Stark nicht viel:
"Wir stecken jeden Cent in die eigene Optimierung."