05.01.2023 - Welche Themen werden Marketingverantwortliche im kommenden Jahr umtreiben? ONEtoONE hat auch in diesem Jahr ExpertInnen befragt und die Trends in Marketing und Commerce in einer fünfteiligen Online-Serie zusammengefasst. Heute Teil 4 mit Retail Media, Social Media, Messbarkeit und Effizienz.
von Christina Rose
Das coronabedingte Allzeithoch bei den digitalen Werbeausgaben ist vorbei. Die Marketingbudgets der Unternehmen der digitalen Wirtschaft sind aktuellen Bitkom-Zahlen
zufolge im Jahr 2022 leicht gesunken und pendeln sich wieder auf ein Vor-Corona-Niveau ein. Das durchschnittliche Marketingbudget der befragten Unternehmen liegt bei 4,5 Prozent des Gesamtumsatzes (2021: 5,4 Prozent, 2020: 5,5 Prozent, 2019: 4,4 Prozent). Sind die Prognosen zu Werbeausgaben für 2023 eher durchwachsen, zeigt sich bei einigen wenigen Gattungen ein gegenläufiger Trend. Dazu gehört Retail Media
, also die Werbung auf Händlerseiten, worin nicht wenige das Potenzial sehen, dem Handel zu helfen, der aktuellen Konsumflaute zu trotzen, neue Erlösquellen zu erschließen und sich 2023 als Disziplin fest im digitalen Werbemarkt zu verankern.
"Schon seit Jahren im Trend nimmt Retail Media jetzt richtig Fahrt auf. Drei Entwicklungen sind dafür entscheidend: Der Wegfall der Cookies, dass TV-Werbegelder zunehmend umverteilt werden und die in den vergangenen Jahren stark angestiegene Nutzung von E-Commerce", analysiert Maren Seitz, Head of DACH bei Analytic Partners
. Die großen Marktplätze der Einzelhändler mit First-Party-Daten eignen sich hervorragend dafür, weiterhin im richtigen Umfeld zu werben. Doch Retail Media kann noch mehr, sagt Seitz: "Als Teil des großen Omnichannel-Kosmos strahlen zum Beispiel Amazon Display Anzeigen zu 45 Prozent auf nicht-Amazon Verkäufe ab (Analytic Partners ROI Genome, 2022) und treiben auch Offlineverkäufe an."
Wir werden 2023 einen großen Schritt hin zu Targeting basierend auf First-Party-Daten erleben, so die Einschätzung von Katharina Schlauss, Managing Director DACH, Criteo
. "Wir sehen riesiges Interesse sowohl bei Händlern als auch bei Publishern, mehr aus den eigenen Daten zu machen und in entsprechende Lösungen zu investieren. Werbetreibende Brands feuern diesen Trend durch ihren Hunger nach zielgruppengenauen Werbelösungen auch jenseits der Walled Gardens an." Vor allem Retail Media, also die Werbung auf Händlerseiten, werde davon stark profitieren. "Immer mehr Retailer gehen mit entsprechenden Lösungen live und schon bald werden auch nicht-klassische Händler verstärkt folgen. Diese Entwicklung mündet in Commerce Media, einer neuen Kategorie, die Commerce und Performance Advertising als ein Konzept verbindet", sagt Schlauss. McKinsey
sieht in Commerce Media den größten Paradigmenwechsel in der digitalen Werbung seit der Einführung von Programmatic Advertising und schätzt das Potenzial auf einen Unternehmenswert von etwa 1,3 Milliarden US-Dollar allein in den USA.
Das Potenzial ist enorm, auch und vor allem in Krisenzeiten. Denn da Marken die Platzierungen meist aus Budgets bezahlen, die für Verhandlungen mit Händlern bereitstehen, nicht jedoch aus Marketingbudgets, kann diese Werbesparte wachsen - ohne, dass sich bestehende Werbekanäle kannibalisieren.
Für Sven Korhummel, Geschäftsführer der Digitalagentur Cyperfection
, liegt die Marketing-Zukunft in Communities. "Menschen tauschen sich schon heute gerne mit Gleichgesinnten in der digitalen Welt aus. Denn auch die virtuelle Gemeinschaft gibt Sicherheit und Stärke." Darüber hinaus liefere eine Community authentische Erfahrungen und Erlebnisse, vertrauenswürdige Informationen und Meinungen. "Diese Art der Kommunikation wird weiter an Attraktivität gewinnen", meint Korhummel. Seine Trend-Prognose: Unternehmen und Marken werden verstärkt in ihre eigene Communities investieren, sich auch bei dezentralen Communities einbringen, und - wenn möglich - relevante Communities sogar vernetzen.
Für Lovebrands werde es leicht, sich in Communities einzubringen, aus Community-Mitgliedern Fans oder Markenbotschafter zu machen. Die Herausforderung liege bei Brands, die von sich aus wenig oder keine Emotionen versprühen und für sensible Themen stehen, wie beispielsweise Marken aus der Healthcare- und Pharmabranche, so Korhummel. Aber auch sie könnten mit den richtigen Themen und Serviceleistungen, mit ehrlichen und transparenten Fachinformationen und einer Kommunikation auf Augenhöhe einen Mehrwert sowie Sicherheit bieten, Vertrauen schaffen und Menschen an sich binden.
2023 wird das schwindende Konsumenten-Vertrauen laut Studie von IAS
die größte Herausforderung für Social Media Marketing. "Unsere Studie zeigt: 77 Prozent der MediaexpertInnen sind sich einig darüber, dass sich das schwindende Konsumenten-Vertrauen in die großen Social-Media-Plattformen negativ auf ihre Mediaausgaben auswirken könnte", sagt Khurrum Malik, Chief Marketing Officer von IAS. Gleichzeitig setzen die Marketer jedoch weiter auf die Reichweiten und das Engagement sozialer Medien. Dieses Spannungsfeld aus Überzeugung und Sorge unterstreiche die Notwendigkeit einer größeren Transparenz für Advertiser in den sozialen Medien.
Roberto Collazos Garcia, CEO der deutschen Niederlassung der internationalen Agentur We Are Social
subsummiert seine Prognose für 2023 in folgende Punkte:
Auch die bevorstehende Abschaffung von Third Party Cookies stellt neue Anforderungen an die Messbarkeit von Werbewirkung. "KPIs, wie Viewability und Klicks nicht mehr aus", sagt Michael Fuhrmann, RVP DACH und CEE at DoubleVerify
. "2023 wird der Fokus daher verstärkt auf die neue Messgröße Attention gelegt. Attention erfasst unabhängig von Third Party Cookies die Werbewirkung von Anzeigen und bietet Werbungtreibenden die Möglichkeit, ihre Medienstrategie gegebenenfalls in Echtzeit anzupassen und zu optimieren."
Nik Ruangroj, Head of Brand Marketing der WEPA Professional GmbH
, sieht die spannendste Entwicklung im digitalen Bereich die Kreation von AI-basierten Werbeanzeigen - auch mit Hinblick auf die Effizienz. "AI wird bereits seit Jahren für die Ausspielung von Werbung genutzt, aber noch sehr selten bei der Kreation von Assets. In Asien gibt es bereits Kompetenzen, die in der Lage sind, zielgruppengerecht optimierte Anzeige zu erstellen bzw. auf Tauglichkeit zu prüfen. Daraus ergeben sich viele Potenziale zur Effizienzsteigerung, unter anderem im Bereich Kosten, Man/Fraupower und Genauigkeit. Auch hier gilt: Wer zuerst die weitesten Sprünge macht, hat kompetitive Vorteile."
Im kommenden Jahr wird der Schwerpunkt mit Sicherheit auf einer schnellen Kapitalrendite und der Senkung der variablen und festen Kosten liegen, ist auch Dominik Angerer, CEO und Mitgründer des Headless-CMS-Anbieters Storyblok
, überzeugt: "Die Unternehmen werden sich um eine Vorhersehbarkeit der Kosten bemühen und daher zu Plattformen ohne versteckte Gebühren und Tools wechseln, die ihnen helfen, bestehende Lösungen so zu skalieren, dass sie effizienter werden." Er geht davon aus, dass sich in den nächsten Jahren die Automatisierung und die Verknüpfung von Werkzeugen und Arbeitsabläufen beschleunigen wird, da man nicht möchte, dass die MitarbeiterInnen Informationen von einem Werkzeug in ein anderes übertragen.
Zudem könnten Unternehmen 2023 damit beginnen, ihre Technologie-Landschaft zu überprüfen und die Gesamtzahl der verschiedenen Tools zu reduzieren, die dieselben Aufgaben erfüllen, prognostiziert Angerer. "Neue Produkte mit einem stärkeren Fokus auf die Wirtschaftlichkeit werden auftauchen, vielleicht nicht in dem Tempo wie in den letzten Jahren, da weniger Mittel für 'nur eine Idee' zur Verfügung gestellt werden, aber sobald ein Proof of Concept erstellt wurde, werden wir neue Technologien, Automatisierungstools, Datenberichte und Analysetools in allen Geschäftsbereichen sehen." Als Learnings sieht er eine Abkehr von Tools, mit denen man sich an einen Anbieter bindet. Der Trend gehe hin zu "headless", "decoupled" oder "composable" Lösungen - "nicht nur wegen der Skalierbarkeit, sondern auch wegen der Flexibilität, die solche Lösungen mit sich bringen".
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