Prognose

Warum Performance Marketing 2023 nicht mehr wächst und Social Media unberechenbarer wird

23.01.2023 - 2023 wird das Jahr von KI und Retail Media. Performance Marketing und ID-Lösungen tun sich hingegen schwer, Social Media ist ein Unsicherheitsfaktor, und der Umgang mit Daten wird professioneller. Eine Analyse:

von Christina Rose

Das Jahr ist nicht mehr ganz jung, aber noch jung genug, um Dauerbrennerthemen und "Säue, die gerade durchs Dorf getrieben" werden, mal kritischer nach ihrem Disruptionspotenzial für die Marketingherausforderungen 2023 zu beleuchten. Christian Bachem, Geschäftsführer der Marketingberatung Markendienst Berlin   hat dies getan:

1. Künstliche Intelligenz ist gekommen, um zu bleiben

Es verging zuletzt kaum ein Jahr, in dem nicht eine neue Technologie ausgerufen wurde, die das Marketing auf den Kopf stellen sollte. Als Amazon Alexa in den Markt drückte, sprachen Fachleute mit Verve und Euphorie über "Voice Marketing". In vielen Unternehmen zerbrach man sich den Kopf, welche "Alexa Skills" man entwickeln könne, um diesen Trend nicht zu verpassen. Geblieben ist davon wenig bis nichts.

Unvergessen auch die nahezu verzweifelten Versuche, der Blockchain eine sinnvolle Rolle im Marketing zu geben. Bis heute ist uns keine bekannt. Im vergangenen Jahr dominierte schließlich der Hype ums Metaverse, das wahlweise zur Traumdestination für Marketeers oder zur unbelebten Ödnis erklärt wurde.

Bei Künstlicher Intelligenz liegen die Dinge anders. Zum einen hat sie sich bereits in Teilen des Marketing-Ökosystems eingenistet - insbesondere bei der Analyse und Modellierung großer Datenmengen. Zum anderen ist die Entwicklung von "generative AI" (wie z.B. ChatGPT oder DALL-E) inzwischen so weit fortgeschritten, dass es an sinnvollen Anwendungsgebieten im Marketing nicht mangelt. Wir werden in diesem Jahr eine Vielzahl an Ansätzen, Tools und Geschäftsmodellen sehen, die sich Künstliche Intelligenz auf unterschiedlichste Weise zu Nutze machen.

Christian Bachem (Bild: Markendienst)
Christian Bachem



2. Performance Marketing hat das Ende seines Wachstums erreicht

Die Pandemie hat Performance Marketing schwer gebeutelt. Und es wird sich davon kaum erholen. Aber der Reihe nach: Der durch die Corona-Pandemie ausgelöste E-Commerce-Boom trieb die Nachfrage nach Performance-Inventar derart, dass die Preise massiv stiegen. Der Ruf, Performance sei günstig, war quasi über Nacht dahin. Dummerweise gesellte sich die Erkenntnis vieler Werbungtreibender hinzu, dass Performance Marketing auch nicht mehr performt. Zumindest nicht mehr so wie früher.

Denn zu allem Überfluss beschleunigte sich das schon lange grassierende Cookie-Sterben. Somit wurden immer mehr Nutzer für viele Spielarten des Performance Marketing unerreichbar. Letztlich wurden diese konvergierenden Trends noch durch den Umstand verstärkt, dass Performance Marketing in vielen Bereichen ausentwickelt ist und in eine stagnative Phase eintritt. Eingefleischte Performance-Propagandisten werden dies natürlich bestreiten und auf den Retail Media-Boom verweisen.

3. Retail Media erobert den Upper Funnel

Retail Media wird in 2023 zum Wachstumsmotor für digitale Werbung avancieren. Dabei handelt es sich, wie bei Performance Marketing und SEA, letztlich nicht um Werbung, sondern um digitale Verkaufsförderung. Dies ist auch den Vermarktern von Retail Media-Inventar bewusst. In 2023 werden sie ihr Angebot so erweitern, dass es über kurzfristige Aktivierung kaufbereiter Zielgruppen hinausgeht. Hin zu Markenaufbau und Präferenzbildung.

Oder bildlich ausgedrückt: Sie werden sich vom unteren Teil des Marketing Trichters nach oben arbeiten. In den Upper Funnel. Werbungtreibende werden diese Angebote dankend annehmen, sofern sie dadurch ausreichend Reichweite zu vernünftigen Kosten erhalten. Und objektive Leistungs- und Wirkungsnachweise, die den Nutzen der Investition belegen.

4. "Warten auf Godot" oder Umfeld schlägt ID

Glaubte man den Auguren, so sollte 2022 das Jahr sein, in dem ID-Lösungen die Marketing-Bühne betreten, um den sterbenden Cookies die Hauptrolle bei der Identifikation von Nutzern streitig zu machen. Doch hierzu kam es noch nicht. Während die Cookies sich weiter verkrümelten, wurde der Spielplan immer wieder geändert. Man unkt, hinter verschlossenen Türen hätte die ein oder andere Generalprobe mit ausgewählten Werbungtreibenden stattgefunden. Für das Publikum gab es allerdings nichts Bühnenreifes zu sehen.

Das - so scheint es - hat vorerst genug vom Theater und zieht notgedrungen weiter. Dorthin, wo die Neuauflage eines Klassikers gegeben wird. Ohne Cookies. Ohne IDs. Aber vor langer Zeit mit guten Preisen überhäuft. "The Return of the "Umfeld".

5. Social Media wird zunehmend unkalkulierbar

2022 war ein Jahr der Turbulenzen und Umbrüche für Social Media. Nachdem Mark Zuckerberg sich seiner Vision des Metaverse verschrieben und Sheryl Sandberg das Unternehmen verlassen hat, erscheint zunehmend unklar, wie gut es Meta gelingen wird, seine Vormachtstellung als Social Media-Gigant zu behaupten. In der Binnenbetrachtung könnte es auf ein Nullsummenspiel hinauszulaufen: Das was Facebook an Reichweite, Relevanz und Werbegeldern einbüßt, kann Instagram für sich verbuchen.

Zieht man den Fokus etwas weiter, wird klar, wie stark Meta unter Druck steht. TikTok wächst ungebrochen. In punkto Nutzerschaft, Nutzung und Werbeeinnahmen. Aber auch hier ist die Zukunft ungewiss. Wie werden die Regulierungsbehörden diesseits und jenseits des Atlantiks die chinesische Bespaßungsmaschine bewerten? Wie wird China mit seinem Exportschlager, den es der eigenen Bevölkerung vorenthält, verfahren?

Immerhin können sich Werbungtreibende und Mediaplanerinnen freuen, dass die Skandalnudel Twitter als Werbemedium hierzulande seit jeher nahezu irrelevant war. Ein Kopf weniger, den man sich über Social Media zerbrechen muss.

6. Daten-Emanzipation: Algorithmische Optimierung wird intelligenter

Wer schon einmal seine Kampagne dem Autopiloten z.B. bei Google anvertraut hat, um ihr dann entspannt beim Fliegen zuzusehen, wird sich über Kapriolen und unvermittelte Richtungsänderungen gewundert haben, die der Algorithmus unabgestimmt einschlug.

So kurios der Flug auch anmutete, im Logbuch waren stets positive Ergebnisse vermerkt: "Sehr weit geflogen. Zu günstigen CpX. Sie haben Ihr Ziel erreicht." Manch einen beschlich das ungute Gefühl, der Algorithmus habe eine Spritztour auf fremde Kosten unternommen. Bei genauer Betrachtung zeigte sich nicht selten, dass er just jene Kennzahlen programmatisch ansteuerte, die leicht für ihn zu erreichen waren - aber im Zweifel die eigentliche Zielsetzung des Werbungtreibenden verfehlten. Fehlsteuerung auf Speed. Hand auf's Herz: Wer will schon eine Black Box als Piloten?

In diesem Jahr werden mehr Werbungtreibende dazu übergehen, ihre Kampagnen auf Basis eigener Daten und eigener Regeln zu steuern. Der Fortschritt bei Marketing Tech und KI sowie das gewachsene Know-how treiben diese Form der Emanzipation. Ihr Motto könnte sein: "Traue nur der KI, die du selber mit Daten gefüttert hast."

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