Erst klaut Instagram
die Story-Funktion von Snapchat, jetzt folgen die kurzen Videos von TikTok
. Aber was ist Reels überhaupt? Björn Wenzel, Gründer der Influencer-Marketing-Agentur Lucky Shareman
, hat für ONEtoONE die Marketingchancen beider Kanäle analysiert:
Mit Instagrams neuester Funktion können 15-sekündige Clips aufgenommen werden, mit Musik oder Audioaufnahmen anderer User hinterlegt und diese anschließend mit Effekten aufgebessert und verändert werden. Die kleinen Videos können dann entweder in der Story, im Feed oder im "Explore" angezeigt werden. Kurz gesagt: Das Tool beschreibt die chinesische App TikTok. Aber es nicht nur das Feature an sich, was kopiert ist. Auch die fertigen Clips sehen sehr ähnlich aus: Die User nutzen größtenteils dieselben Lieder und dieselben Challenges wie auf TikTok.
Ist "TikTok's time to shine" also um?
TikTok zeichnet in den letzten Jahren große Erfolge auf: Die App gehörte im Jahr 2018 zu der sich am schnellsten verbreiteten App der Welt, wurde bereits schon über zwei Milliarden Mal heruntergeladen und zählt monatlich eine Milliarde aktive Nutzer. Natürlich kann Facebook, Instagrams Mutterkonzern, das nicht auf sich sitzen lassen.
Erinnerst du dich noch an die Video-Plattform Vine? Die überlebte das Jahr 2017 nicht und somit hatte TikTok bisher noch keine ernsthafte Konkurrenz. Vor allem die jüngere Generation, vorwiegend Generation Z, ist auf dem sozialen Netzwerk unterwegs. Allerdings scheint es ungewollt auch eine Plattform für Pädophile zu bieten. TikTok wurde aufgrund von Pornografie und Datenschutzmängeln zeitweise schon in Indonesien und Indien verboten. Es besteht das Risiko, dass auch andere Länder nachziehen und TikTok sperren.
Auf Instagram hingegen sind weit gefächerte Altersgruppen vertreten. Die große Mehrheit liegt mit 1,2 Milliarden Nutzern bei den 18-34-Jährigen. Das bietet neue und größere Möglichkeiten, dieses Videokonzept zu verbreiten - und gegebenenfalls weiterzuentwickeln, wie Instagram es schon bei den Stories getan hat. Instagram selbst bestätigt in einer offiziellen Pressemeldung: "Wir freuen uns darauf, einer ganz neuen Generation von Instagram-Talenten eine Bühne zu geben." Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft der Instagram-Nutzer, Formate wie Reels auch nutzen zu wollen. An dieser Stelle lässt sich jedoch sagen, dass bereits viele Apps und Innovationen zu Beginn belächelt wurden und nach der Anfangsphase dann doch mehrheitlich akzeptiert und gern genutzt wurden.
Björn Wenzel
Bild: Lucky Shareman
Auf den ersten Blick bietet das neue Feature auf Instagram also nur Vorteile: kein nerviger Wechsel der Apps, nicht noch ein Social Media-Account, eine qualitativ höhere und diversere Reichweite als TikTok, aber die gleichen Funktionen - ähnlich wie damals bei Snapchat.
Instagram = verlässliche Viewer = bessere Conversions?
Instagrams Stories wurden im August 2016 gelauncht und haben schon im Februar 2017 die Stories von Snapchat überholen können. Das gäbe ihnen jetzt ein halbes Jahr, um TikTok mit Reels einzuholen. TikTok aber bietet eine Möglichkeit, mit seinen Videos "viral" zu gehen, also eine viel größere Zielgruppe als nur seine Follower zu erreichen. Reels können zwar auch bei "Explore" auf Instagram entdeckt werden, diese Funktion wird jedoch nicht so sehr genutzt, wie das normale Scrollen durch den eigenen Feed.
Daher stellt sich die Frage, ob Reels als weiteres Instagram Feature notwendig ist und langfristig angenommen wird, zumal auf TikTok bereits die ersten großen Budgets fließen und Influencer Marketing professionell ausgebaut wird.
Trotz allem herrscht auf Instagram eine verlässlichere Followerschaft: Diese ist nämlich tendenziell auch an der abonnierten Person interessiert, schließlich erscheinen den Abonnenten alle Stories, Posts, IGTV-Beiträge und nun auch die Reels. Es bleibt spannend, wann die ersten professionellen Kampagneninhalte auf Reels zu sehen sind und wie die Conversions hier im Vergleich zu TikTok abschneiden werden.Denn Instagram gilt noch immer als besserer performant, wenn es um Sales Aktivierungen geht.
Genau das bringen auch schon die unterschiedlichen Zielgruppen der Plattformen mit sich: TikTok wird mehr von der Gen Z verwendet, Social Media wird also mehr als Unterhaltungsplattform gesehen, Werbung ist hier eher ungewünscht, der Kaufkraft-Unterschied spielt hier auch eine große Rolle.
Instagrams Nutzer hingegen liegen mit 1,2 Milliarden bei den 18-34-Jährigen, hier geht auch um Inspirationen, Unterhaltung, aber vor allem auch um die Influencer selbst. Sie fundieren stärker als Meinungsträger und Vorbilder als Creator bei TikTok.
Wenzels Prognose lautet: TikTok wird weiterhin bekannt bleiben für hohe Reichweiten und die Möglichkeit x Millionen Nutzer zu erreichen, Reels könnte hingegen weiterhin die Sales Aktivierung bei Instagram fördern und für einen höheren Werbedruck in der gewünschten Zielgruppe sorgen.
Wer gewinnt das Rennen?
Ein weiterer Punkt, der TikTok langfristig zu Schaden kommen könnte, ist dessen chinesische Herkunft. So wird bereits jetzt vermutet, dass politische Inhalte, die gegen die chinesische Regierung oder dessen System sind, zensiert werden. Nicht umsonst sind alle sozialen Netzwerke von Facebook und Google in China verboten. Gerade diesen Monat, im Juli 2020, kündigte Donald Trump eine Prüfung von TikTok an, denn der Software wird Spionage vorgeworfen. Von der ebenfalls chinesischen App WeChat des Unternehmens Tencent sei eine Überwachung von chinesischen Behörden schon bekannt. Eine mögliche Folge wäre die Maßnahme, die App zu verbieten.
Sollte sich die Vermutung auch nur ansatzweise als wahr herausstellen, wird Instagram Reels sicherlich für viele Anwender die bevorzugte Variante werden. Andererseits erntet Facebook, der Mutterkonzern von Instagram, auch kontinuierlich Kritik, wie beispielsweise in Hinblick auf Datenschutzrechte. Dessen Monopol-Stellung ist ebenfalls sehr umstritten. Beide Anbieter scheinen also nicht ganz unschuldig zu sein. Nach einem Teststart in Brasilien, wird Reels nun auch in Frankreich und Deutschland erstmal nur getestet. Ob es wirklich auf Dauer TikTok ersetzen wird, bleibt abzuwarten.