"Die Marke bestimmt die Regeln"

20.11.2001 - Interview mit Markensoziologe Prof. Dr. Deichsel

ks Klassische Werbung wirbt für das Image, Mailings für den Verkauf - ein hinfälliges Klischee. Denn was wäre eine Image-Kampagne ohne Produkt, das es zu verkaufen gilt? Genau wie die klassische Werbung muss sich das Dialogmarketing mit den Aspekten der Markenführung auseinandersetzen. ONEtoONE wollte wissen, wie Dialogmarketing und Kundenbindung in Markenbildungsmechanismen greifen und hat dazu Prof. Dr. Alexander Deichsel, Markensoziologe und Direktor am Institut für Markentechnik in Genf, befragt.

ONEtoONE: Wie kann Dialogmarketing zum Markenaufbau beitragen?

Prof. Dr. Alexander Deichsel: Stellen Sie sich die Kundschaft einer Marke wie einen Akku vor: Die Energie, die sich über jahrzehntelange Markenleistungen zum guten Namen aufgeladen hat, verkörpert die eigentliche Wettbewerbskraft. Die Kunden sind die Zellen des Akkus; je mehr Zellen es gibt, desto mehr Ladekapazität ist vorhanden. Selbstverständlich kann richtig betriebenes Dialogmarketing den Markenaufbau unterstützen. Jedes Mittel, das das Unternehmen markenorientiert einsetzt, dient dem weiteren Aufladen der bereits aktivierten Zellen. Die entstandene Energie wird dann beim Kaufakt für das Unternehmen wirksam. Mit jedem wiederholten Kaufakt beweist die Marke ihre Anziehung aufs Neue und verstärkt damit ihr Kraftfeld.
Entscheidend für den Erfolg ist, dass der Akku mit "Gleichstrom" betrieben wird. Um beim Dialogmarketing zu bleiben: Die Marketing-Aktivitäten dürfen dem Markenwesen nicht entgegenlaufen - ansonsten entsteht "Wechselstrom" und die über Jahrzehnte im Markenakku aufgeladene Vertrauensenergie wird irritiert, geschwächt und im schlimmsten Fall wieder vernichtet. Außerdem sollte man bei jedem Dialog beachten, dass große erfolgreiche Marken durch Anziehung gewachsen sind, nicht durch Aufdringlichkeit. Marketing-Aktivitäten gut geführter Marken sollten sich nicht marktschreierisch anbiedern. Heute wird dieser Fehler häufig bei der direkten Kundenansprache mit Hilfe Neuer Medien begangen.

OtO: Setzt das Internet bei der Markenbildung neue Standards?

Deichsel: Sicher nicht, denn die Internetpräsenz einer Marke ist Bestandteil ihrer Markengestalt. Die Marke bestimmt die Regeln auch im Internet - es gelten dort dieselben Gesetze der Markenbildung und -führung wie offline. Nur weil es sich beim Internet um ein schnelles Medium handelt, sollte man nicht glauben, der Prozess der Markenbildung ließe sich dadurch beschleunigen. Der Aufbau von Vertrauen setzt Zeit und gute Erfahrungen mit der Marke voraus. Unternehmen machen kostspielige Fehler, wenn sie sich den vermeintlichen Gesetzen des neuen Mediums unterwerfen, anstatt diese der Markenbildung unterzuordnen.
>br>OtO: Laut One-to-one-Visionär Don Peppers kennen Markenartikler ihre Kunden nicht; es sei für sie schwierig, zielgruppenspezifische Kundenbindungsmaßnahmen durchzuführen.

Deichsel: Oft beschäftigen sich Marketingabteilungen mit Käufern, die sie nicht haben und identifizieren sie als Zielgruppe für ihre Marke. Sie vernachlässigen darüber ihre Kundschaft, die das Markensystem möglicherweise seit Jahrzehnten ernährt.
Es ist allerdings nötig, neue Konsumenten zu gewinnen. Wenn diese jedoch aus systemfremden Zielgruppen stammen, verändert das Unternehmen oft den Werbestil, das Sortiment und die Distributionskanäle der Marke. Das kann zu Schieflagen führen.
Qualitative Abrüstung und systemfremde Käufer irritieren die aufgebaute Kundschaft. Die Marke wird nicht gestärkt, sondern geschwächt. Zielgruppenspezifische Kundenbindungsmaßnahmen sollten allein darin bestehen, durch Leistungsverbesserungen die vorhandenen Kunden eng an die Marke zu binden und damit die Kundschaft in ihrer Markenwahl zu bestätigen. Das führt zu mehr Empfehlungen an Außenstehende und zu organischem Wachstum. Auf diese Weise werden Neukunden angezogen und das Markensystem erhält sich seine Wettbewerbskraft.

OtO:Wie kann Branding zur Kundenbindung beitragen?

Deichsel: Gut geführte Marken realisieren einen uneinholbaren Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Anbietern. Indem sie ihre bewährten Leistungen ständig weiterentwickeln, scharen sie eine treue Anhängerschaft um sich. Die Treue der Kundschaft hat jedoch eine Bedingung: dass sich die Marke selbst auch treu bleibt. Denn ausschließlich unter dieser Bedingung wird sie in der Öffentlichkeit als glaubwürdig besprochen und zieht weiterhin das ihr entgegengebrachte Vertrauen auf sich.

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