"Markt von schwarzen Schafen bereinigen"

25.06.2002 - 0190er-Services: Nun will der Staat die Bürger vor dem Missbrauch durch Dialer schützen

Derzeit beschäftigen sich Publikumsblätter wie Fernsehen gleichermaßen mit dem Geschäftsgebaren einiger weniger und um so windigerer Direktmarketer, die die gesamte Branche in Verruf bringen. Es geht um die Servicerufnummer 0190, mit der Endverbraucher gegen Gebühr per Telefon Dienste nutzen, sich ins Internet einwählen und Fax- oder SMS-Dienste in Anspruch nehmen können. Und es geht um schwarze Schafe, die Kunden für die Benutzung dieser Dienste unverhältnismäßig hohe Summen abknöpfen.

Das so genannte Dialer-Programm, das Usern ohne deren Wissen auf den Rechner gespielt wird und ihnen den Internetzugang zu horrenden Preisen gewährt, ist nur eine der betrügerischen Spielarten. Die Ernüchterung aber kommt stets mit der Telefonrechnung, die ein gewaltiges Loch in die Kasse der Geneppten zu reißen droht. Auf derartig riskante 0190er-Services haben Verbraucher selbstverständlich keine Lust. Zudem unklar ist, ob und wie sie unredlich abgeknöpfte Gebühren zurückfordern können. Und: bei wem?

Um Verbraucher gegen missbräuchliche Prak- tiken zu schützen, hat das Bundeskabinett im Juni 2002 die Änderung der Telekommunikations-Kundenverordnung (TKV) beschlossen. Damit soll Betrügereien mit der Servicerufnummer ein Riegel vorgeschoben werden, so das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) in Berlin.

Demnach sollen Telekommunikationsgesellschaften, die Mehrwertdienstleistern (Dialern) besagte Nummern zur Verfügung stellen, über das rechtskonforme Verhalten ihrer Business-Kundschaft wachen und ihnen im Falle gesetzeswidriger Praktiken die Nummer entziehen. Außerdem können Endverbraucher Forderungen Dritter verweigern. Und: Die Telefonrechnung muss künftig die Anschrift des Mehrwertdiensteanbieters enthalten.

Außerdem soll eine neue Bestimmung im Unterlassungsklagerecht dafür sorgen, dass Verbraucher darüber Auskunft erhalten, wer sie unaufgefordert über unterschied- liche Kommunikationskanäle mit Werbung "zu- müllt". Egal ob es sich dabei um einen Post-, Telekommunikations-, Tele- oder Mediendiensteanbieter handelt. Heile Telemedienwelt dank rundumerneuerter TKV? Weit gefehlt. Ganz und gar nicht begeistert von dem Kabinettsbeschluss ist der Bundesverband der regionalen und lokalen Telekommunikationsgesellschaften (BREKO) in Bonn: Es sei praktisch undurchführbar, den letzten Anbieter innerhalb der Vermietungskette in der Telefonrechnung aufzuführen.

Zudem sei den Autoren der Novelle bei Begriffsdefinitionen ein Fehler unterlaufen, denn mit "Anbietern von Netzleistungen" seien wohl weniger die Betreiber von 0190er-Nummern gemeint, sondern eher die Unternehmen, denen die Regulierungsbehörde Nummernblöcke zuteilt. "Wer Anbieter ist, das ist noch unklar. Insofern prüfen wir, in welchem Umfang wir Adressat dieser Verordnung sind", sagt Astrid Braken, Justitiarin des BREKO. "Wenn uns diese juristischen Unklarheiten entlasten, dann ist auch nicht der Zweck erfüllt. Das Gesetz, das im Sinne des Kundenschutzes so großartig angekündigt worden ist, kann auch durchaus seinen Zweck verfehlen. Es stecken einfach viele handwerkliche Fehler drin."

Trotz positiver Grundhaltung gegenüber der TKV sieht Thorsten Beck, Rechtsreferent beim Deutschen Direktmarketing Verband (DDV) in Wiesbaden, folgende Schwierigkeit: "Netzbetreiber müssen ihre Business-Kunden dauernd überwachen." Das heißt, sie müssen ihre Kunden darauf hinweisen, dass diese keine ungesetzlichen Dinge tun, keine unverlangte Werbung verschicken oder Dialer- Programme aufspielen dürfen. Das permanent zu kontrollieren, dürfte nicht einfach sein.

Ein weiteres Problem sieht Beck im Widerspruchsrecht, auf das Telekommunikationsanbieter jetzt in der Telefonrechnung hinweisen müssen: Das habe der Nutzer ohnehin schon gehabt. "Insofern hilft das dem Verbraucher nicht weiter und schützt ihn auch nicht vor Dialer-Programmen."

Die neue TKV - weder effektiv noch praxisnah? Unternehmenssprecher Dr. Ralf Kohl von der Mainzer dtms bezweifelt die Notwendigkeit des Eingriffs, der wichtigen Aspekten nicht Rechnung trage. Laut TKV-Entwurf sind nämlich die Verbraucher selbst verpflichtet, Vorkehrungen gegen schwarze 0190er-Schafe zu treffen und zum Beispiel durch entsprechende Computerprogramme bestimmte Einwahlnummern zu verhindern. Der Schutz solle aber laut Kohl in einer Marktwirtschaft auch durch den Markt geregelt werden: "Die Dienste-anbieter und die Netzbetreiber müssen selbst ein hohes Interesse daran haben, dass der Markt von schwarzen Schafen bereinigt wird und Missetäter schnell eliminiert werden. Deswegen betrachten wir es als unnötig, dass sich der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Bundestagswahl hier profiliert."

Ganz anders tönt es aus dem BMWi: Auf Selbstregulierung habe man lange genug gesetzt und viele Gespräche mit Diensteanbietern und Netzbetreibern geführt. Die Branche hätte sich trotz aller Bemühungen seitens der Politik nicht auf eine Selbstverpflichtung einigen können. "Die Kundenbeschwerden haben sich gehäuft, und jetzt müsste eine staatliche Regulierung her", ist Sprecher Frank Bonaldo überzeugt. "Die Regulierung durch den Staat ist ein Spiegelbild der fehlenden Selbstregulierungsmöglichkeiten der Wirtschaft."

Dass Eigenverantwortung kein Fremdwort für die Wirtschaft ist, davon ist Hans-Joachim Kruse, Vorstandsvorsitzender der - nomen est omen - Freiwilligen Selbstkontrolle Telefonmehrwertdienste e.V. (FST) in Düsseldorf überzeugt.

Der Verein will einen kartellrechtlich anerkannten Verhaltenskodex durchsetzen - verbindlich nicht nur für die Mitglieder, sondern für die gesamte Branche. "Es können dann sämtliche Sanktionen ausgesprochen werden, bis hin zur Abschaltung der Nummer. Damit hätten wir den Markt komplett im Griff. Wir haben im letzten Jahr 300 Dialer getestet und eine Menge erreicht, der erste Wildwuchs ist verschwunden."

Über die Wirkung der neuen TKV wird in den nächsten Wochen noch viel debattiert werden. Zumal sich BREKO und FST darin einig sind, dass die Branche von der Politik nicht frühzeitig in die Diskussion einbezogen wurde und, so Kruse, "Bedenken vom Tisch gefegt" wurden. Die Verbände wollen sich jetzt dafür einsetzen, dass, so Braken, aus der TKV eine "vernünftige Regelung" wird. Kruse: "Wir haben einen Maßnahmenkatalog entwickelt, um die weitere Entscheidung im Bundesrat im Juli zu beeinflussen."

Folgt man der Ansicht von Anne Stahl-Weiß, Geschäftsführerin der Berliner Viafon, sollte die Branche auch einmal über die Ursachen des Schmuddel-Image von 0190er-Nummern diskutieren und darüber, wie man diese Nummern in Zusammenhang mit seriösen Dienstleistungen anders bewerten und verkaufen kann. Etwa mit einem Wechsel zu einer "unbelasteten Nummernkonstellation", die dem Service auch gleich einen internationalen Anstrich verleiht: "Wenn dann darum herum eine entsprechende Kampagne von allen Beteiligten realisiert wird, könnte es gelingen, das Image aufzupolieren", so Stahl-Weiß. "Es müssen für den Verbraucher vernünftige Praxisbeispiele her."

Zweifellos schlummert ein großes Potenzial in den Telefonmehrwertdiensten, die es für das Direkt- marketing zu nutzen lohnt - aber als Services mit neuem Gesicht, mit überdachtem Vermarktungskonzept und klarem Branchenkodex in einer benutzerfreundliche Form. Eine Form, die auf Verbrauchervertrauen und Seriosität des Dialogmarketings baut. Dabei sind sowohl die Politik als auch die DM-Branche gefordert. ks

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