30.09.2003 - Während der Großteil der deutschen Wirtschaft unter der Konjunkturlage leidet, verzeichnet das Inkassowesen zweistellige Wachstumsraten. Besonders groß ist die Nachfrage nach dem telefonischen Mahnverfahren. Denn dies ist nicht nur effizienter und günstiger, sondern stärkt auch die Kundenbeziehungen.
Thomas Kroll ist sicherlich alles andere als das, was sich ein erfahrener Kinogänger unter einem Schuldeneintreiber vorstellt: Er trägt ein frisch gebügeltes weißes Hemd, einen dunkel- blauen Schlips und eine eckige Brille mit silbernem Drahtgestell. Seine Haare sind ordentlich zur Seite gescheitelt. Muskulöse Oberarme sucht man ebenso vergeblich wie großflächige Tätowierungen, Goldkettchen, Schlagringe oder Baseball-Schläger. Die braucht Kroll auch nicht. Er greift lediglich zum Telefonhörer und sagt in einem freundlich aber bestimmtem Ton: "Guten Tag, mein Name ist Thomas Kroll. Ich rufe im Auftrag der Firma Meyer an. Sie wissen ja, die Forderung ist noch offen. Wie stellen Sie sich die Zahlungsweise jetzt vor?"
Kroll arbeitet in einer Branche, die zurzeit boomt wie kaum eine andere: Telefoninkasso. Und das nicht nur, weil die anhaltende Wirtschaftskrise die Zahl der Insolvenzen und Überschuldungen und damit auch die der ausstehenden Forderungen auf immer höhere Rekordwerte treibt. Vielmehr lernen die Gläubiger, die Vorteile des telefonischen Forderungsmanagements mehr und mehr zu schätzen.
"Der telefonische Dialog mit dem Schuldner ist ein wirksames Mittel, um Debitorenzeiten zu verkürzen und gleichzeitig Kundenbeziehungen zu stärken", erklärt Bernhard Maisenhälder, Geschäftsführer des Call-Center-Anbieters Walter Telemarketing & Vertrieb. Denn seiner Meinung nach ist auch eine "zeitweilig irritierte Kundenbeziehung" eine wichtige Kundenbeziehung, die eine "sensible Kommunikation" erfordert. Auch der Telefoninkasso-Anbieter SRM legt viel Wert auf die Nachhaltigkeit von Telefon-Aktionen: "Wir suchen das Gespräch mit den Kunden so früh wie möglich und so lange einvernehmliche Lösungen noch möglich sind", betont Inkasso-Leiter Stefan Walther. Schließlich wollten die Auftraggeber ihre Kunden behalten, was nach Eröffnung eines Gerichtsverfahrens kaum noch möglich sei.
Nach Meinung von Hans-Werner Scherer, Vorsitzender der Geschäftsführung des internationalen Finanzdienstleisters Eos, ist der telefonische Dialog sogar "die beste Form der Forderungserledigung". Der Grund: Er bietet die Gelegenheit, auf den Schuldner einzugehen und seine spezifischen Verhältnisse zu erfassen. Der Gläubiger erfährt so viel schneller und leichter, warum nicht bezahlt wurde und kann entsprechend darauf reagieren, zum Beispiel mit neuen Zahlungsvereinbarungen oder Ratenzahlungen. Die Call-Center-Agents sind dabei angehalten, möglichst sensibel vorzugehen. "Nicht Härte, sondern Einfühlungsvermögen, fundierte Argumentation und Erfahrung führen zum Ziel", heißt es auf der Website der Eos-Tochter Decida, die sich auf Telefoninkasso spezialisiert hat.
Außerdem werde der Kunde durch das persönliche Gespräch aus der "Anonymität herausgehoben", was den Zahlungswillen ungemein erhöhe, berichtet Angel Martinez vom Call-Center-Dienstleister getaline. Insbesondere bei Kleinbeträgen ist die telefonische Mahnung wesentlich effizienter und kostengünstiger als laufende schriftliche Mahnungen. Einziger Nachteil: "Man wird auch am Telefon belogen", so Scherer. Aber immerhin erhält man ein Feedback, während schriftliche Mahnungen in der Regel in der Schublade verschwinden oder gar nicht den Verantwortlichen erreichen.
Anbieter des telefonischen Mahnens sind hauptsächlich professionelle Inkasso-Unternehmen, die für diesen Zweck entweder ein eigenes Call-Center einrichten oder einen exter- nen Call-Center-Anbieter beauftragen. Dieser braucht dafür eine Zulassung als Inkasso-Dienstleister, was einige Unternehmen der Branche davon abhält, das Telefoninkasso in ihr Portfolio aufzunehmen. Um eine Lizenz zu bekommen, muss der Anbieter bestimmte datenschutzrechtliche und raumtechnische Bedingungen erfüllen, regelmäßige Qualifizierungsmaßnahmen nachweisen und mindestens einen Juristen vor Ort haben. Ein weiteres Hindernis besteht darin, dass Call-Center die Dienstleistung nie allein anbieten können. Sie brauchen immer ein Inkasso-Unternehmen im Hintergrund, das das schriftliche Mahnverfahren abwickelt. Damit schrumpft die Zahl der reinen Call-Center-Anbieter in diesem Markt auf eine kleine übersichtliche Gruppe, darunter Walter Telemedien, Sitel, die buw Unternehmensgruppe und getaline. Alle vermelden beachtliche Erfolgsquoten von 60 bis 70 Prozent. Maisenhälder, der in Sachen Inkasso mit Eos kooperiert, spricht gar von dreimal höheren Zahlungseingängen als beim normalen Mahnverfahren. Eine mögliche Erklärung: "Der Kunde fühlt sich durch die individuelle Ansprache emotional verpflichtet und zum Handeln angeregt."
Gemahnt wird in der Regel nach der zweiten schriftlichen Erinnerung. Je eher desto besser. Denn, wenn die Forderung erst einmal mehr als drei Monate alt ist, sinkt die Erfolgsquote auf unter 40 Prozent, berichtet Maisenhälder. Daher greifen seine Call-Center-Agents meistens bereits nach der ersten schriftlichen Mahnung zum Hörer oder schon nach 30 Tagen ohne vorherige schriftliche Mahnung, was neuerdings erlaubt ist.
Die Agents selbst haben vor ihrem ersten so genannten Zahlungserinnerungsanruf eine umfassende Schulung absolviert, in der Themen wie Geschäftsfähigkeit, Vertragsschluss, Kostenrecht und Verjährung unterrichtet werden. Diese werden dann durch Coaching und Weiterbildungsmaßnahmen vertieft. An Vorkenntnissen verlangen die meisten Unternehmen eine Ausbildung als Kaufmann, Rechtsanwaltsgehilfe oder Fremdsprachenkorrespondent. Letzteres ist besonders dann hilfreich, wenn Schuldner ausländischer Herkunft angerufen werden oder sich von selbst melden.
Wer denkt, dass die Agents bei ihrer Arbeit nur mit Schmährufen und Drohungen überhäuft werden, der irrt sich. Der Großteil der angesprochenen Kunden reagiert nach Auskunft aller Anbieter positiv auf telefonische Mahnungen. Laut Kathrin Uhlig, Geschäftsführerin von Decida, bedanken sich rund 95 Prozent der Anrufer, weil sie "das verbindliche Gespräch als Hilfestellung verstehen." Die Kosten für einen Mahnanruf schwanken nach Angaben von Scherer zwischen drei bis 7,5 Euro, je nach Branche, Anzahl der Anrufe und Schwierigkeitsgrad der Mahnung. Besonders teuer seien Mahnungen bei Immobilienkrediten, da derartige Mahnanrufe sehr aufwändig seien.
Wer diese Ausgaben vermeiden will, sollte auf Prävention setzen. buw-Geschäftsführer Karsten Wulf rät, schon bei der Kundenakquise mittels Adressdatenbanken oder Scoring zu checken, welcher Kunde seriös ist und welcher womöglich seine Rechnungen nicht bezahlen kann. "Da können Sie an Prozesskosten im Vorfeld schon so einiges sparen", so Wulf. brö
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