Call-Center suchen Wege aus der Kostenfalle

01.07.2005 - Die Branche setzt auf Weiterbildung und Automatisierung, um dem Kostendruck zu entgehen. Unterdessen setzt sich die Konsolidierung fort.

Qualität, Effizienz, Automatisierung, Spezialisierung, Konsolidierung und Outsourcing - das sind die beherrschenden Themen der Call-Center-Branche. Kostendruck und die Verlagerung ins nahe und fernere Ausland, in der Fachsprache gerne auch Near- und Offshoring genannt, sind in der Diskussion vorerst in den Hintergrund gerückt. All dies spiele zwar nach wie vor eine wichtige Rolle, sagt Uwe Kons, Vorstandsvorsitzender von Twenty4help in Dortmund, "doch langfristigen Erfolg hat nur derjenige, der auf Qualität, lokale Kompetenz und Erfahrung setzt." Gerade Offshoring könne kein Ersatz, lediglich Ergänzung sein. Der Kostendruck lässt nach, da die Dienstleistung ohnehin nur noch als finanziell nachweisbarer Return on Investment anzubieten ist", erläutert Dirk Zils, Senior Director Business Development Central Europe bei Sykes Enterprises in Bochum, die aktuelle Situation.

Auf den ersten Plätzen des Call-Center-Rankings , das in diesem Jahr bereits zum achten Mal gemeinsam von der Fachzeitschrift CallCenterProfi und ONEtoONE durchgeführt wurde, finden sich wenig Änderungen. Wichtige Ausnahmen sind Neuzugang Quelle.Contact, die bei ihrer ersten Teilnahme gleich auf Rang drei landeten, und Wiedereinsteiger Sykes Enterprises, der sich erstmals seit 2002 wieder an der Erhebung beteiligte.

Dass sich die Branche insgesamt etwas erholt hat und wieder über den Tellerand von Kostendruck und Offshoring blicken kann, beweist allein schon die rege Teilnahme am Ranking. Wer Probleme hat, legt seine Zahlen nicht gern offen.

Einer der wesentlichen Trends für Call-Center-Betreiber ist derzeit das Prozess-Outsourcing und eine damit verbunden größere Bandbreite an Dienstleistungen. "Wir beobachten in vielen Bereichen die Auslagerung vollständiger Prozessketten", sagt Georg Wessels, Geschäftsführer des Bosch Communication Center mit Standorten in Magdeburg und Frankfurt am Main. "Das Leistungsspektrum eines Centers wird damit immer komplexer: Es wird nicht erst bei der aktiven Kundenbetreuung hinzugezogen, sondern schon bei Vertrieb, Akquise und Rückgewinnung eingesetzt."

Automation soll Effizienz steigern
Dr. Stefan M. Knoll, Vorstandschef von SNT Deutschland in Frankfurt, beobachtet, dass die Anbieter sich mit ihren Leistungen immer stärker auf ihre Kunden einstellen: "Neben der klassischen Kommunikation betreiben wir auch das Inkasso- und Credit & Risk-Geschäft sowie Mehrwertrufnummern." Teilweise sind die ausgelagerten Dienstleistungen so komplex, dass die Agenten speziell ausgebildete Fachleute sind, die nicht nur Kunden beraten, sondern auch Back-Office-Aufgaben übernehmen.

"Bei solchen Lösungen ist jedoch besonders auf die Kundenakzeptanz zu achten", gibt Georg Wessels zu bedenken. International ausgerichtete Unternehmen seien beim Wettlauf um ausgegliederte Dienste im Vorteil, meint Quelle.Contact-Geschäftsführer Jörg Schmidt: "Kunden, die Outsourcing forcieren, agieren in der Regel international." Zudem profitierten insbesondere große Anbieter mit tiefer Wertschöpfung vom Outsourcing komplexer Businessprozesse.

Neben Ausgliederung steigert zunehmende Automation von Services die Effizienz der Call-Center. Mehr und mehr Tätigkeiten werden in Bereiche mit weniger oder sogar ohne Personalbedarf verlagert, sagt Gabriele Grossecker, Geschäftsführerin von itel Deutschland in Krefeld: "Dabei kommen Non-Voice-Services wie E-Mail-Support, Web-Chat, Web-Self Services, Audio-basierte Lösungen oder IVR-Automatisierung zum Einsatz." Ein heikler Punkt beim Einsatz solcher Techniken bleibt die Kundenakzeptanz. Grossecker: "Geeignet sind diese Dienste für dialogferne Anforderungen wie Auskünfte zu Telefonnummern oder Kontostand." Mit der Komplexität wachse jedoch der Dialogbedarf und Non-Voice-Lösungen stießen an ihre Grenze.

Kundenwertorientierte Sales- und Serviceprozesse
Qualitätsverbesserung und Prozess-optimierung nennt Joachim Reps, Geschäftsführer bei Dresdner Direktservice in Duisburg, als aktuell vorherrschende Themen. Für Dr. Ralf Kogeler, Geschäftsführer von Walter TeleMedien in Ettlingen, ist der Vertrieb das große Trendthema der Branche. "Ob virtueller Außendienst für die Pharmabranche oder Vertriebsunterstützung von Versicherungsprodukten - von unserer Kompetenz profitieren unsere Auftraggeber." Achim Plate, Vorstandsvorsitzender von D+S Europe in Hamburg, drückt es so aus: "Unsere Auftraggeber erwarten von uns in Zukunft Lösungen für kundenwertorientierte Sales- und Service-Prozesse." Ziel sei ein effizientes Management der Kommunikationskanäle unter Einbindung der CRM-Methoden: "Dabei suchen die Kunden nach einem Anbieter mit ganzheitlichem Ansatz", sagt Plate, "von der systematischen Kontaktgenerierung und gezieltem Kontaktrouting über das operative Sales- und Service-Management bis hin zu Ergänzungsdiensten wie Billing und Inkasso."

Auch Rolf Buch, Geschäftsführer des Gütersloher Branchenprimus arvato direct services, setzt darauf, auf Kundenwünsche möglichst flexibel zu reagieren: "Unsere Aufgabe ist es, die steigende Nachfrage mit maßgeschneiderten Angeboten zu bedienen." Gefordert ist also die "eierlegende Wollmilchsau", oder anders ausgedrückt: der Call-Center-Generalist, der sich auf möglichst vielen Gebieten spezialisiert.

Genau dies, die Spezialisierung der Betreiber, nennt Jens Bormann, geschäftsführender Gesellschafter von buw in Osnabrück, als wichtigsten Trend: "Es geht um beste Performance in der Einzeldisziplin, aber auch um übergreifendes Denken." Auch Dirk Zils sieht die Spezialisierung auf bestimmte Märkte und Erweiterung des Angebots als vorherrschenden Trend: "Ausdehnen lässt sich das Geschäft insbesondere auf Bereiche, die dem Call-Center nahe liegen, wie beispielsweise Repair & Logistik oder Mehrwertdienste."

Gespannt auf Technikinnovationen

Ganz gelassen sieht Gerald Schreiber, Geschäftsführer von defacto call center in Erlangen, die Diskussion um Outsourcing, Qualität und Offshoring: "Ich bin gespannt, wann es wieder Technikinnovationen gibt, die in unserer Branche erfolgreich nutzbar sind."

Während für Schreiber Off- und Nearshoring eher eine alter Hut ist - defacto unterhält seit langem auch einen multilingualen Standort in Istanbul - erteilt SNT-Chef Knoll dieser Variante des Arbeitsplatzexports eine klare Absage: "Die Verlagerung ins Ausland ist keine Alternative unter qualitativen Aspekten. Vor allem dann nicht, wenn wir unserer unternehmerischen Verantwortung für den Standort Deutschland gerecht werden wollen." Die Branche denke viel zu wenig politisch, meint Knoll. Ganz anders Jörg Schmidt von Quelle.Contact, die Center in Istanbul und im dänischen Padborg vor den Toren Flensburgs betreiben. Er will Mitarbeiterpotenziale optimal nutzen: "Besonders die Türkei als multikulturelle Drehscheibe mit hochqualifizierten multilingualen Mitarbeitern ist interessant."

Die meisten Anbieter setzten auf Trainingscenter
Die Qualifizierung des Personals ist für Knoll nicht von der Sicherung des Dienstleistungsstandortes Deutschland zu trennen. Qualität ist für den SNT-Chef bei den hohen Lohnnebenkosten in Deutschland das einzige Alleinstellungsmerkmal, mit dem sich punkten lässt. SNT etwa beschäftigt mittlerweile mehr als 100 Trainer im Unternehmen. "Bei uns dreht sich alles um Kundenkommunikation", sagt Georg Wessels von Bosch. "Die Mitarbeiter haben entscheidenden Einfluss auf Qualität und Kundenzufriedenheit." Bosch setze daher auf systematisches Coaching und Qualifikation im eigenen Trainingscenter. "Insbesondere beim Verkauf erklärungsbedürftiger Produkte ist es wichtig, dass die Agents eine fachliche Schulung haben", sagt Ralf Kogeler von Walter TeleMedien. Die meisten Anbieter setzen auf eigene Trainingscenter, allerdings hängt die Intensität der Schulung von den Aufgaben ab: "Eine reine Bestell-Hotline ist natürlich schneller zu schulen als eine komplexe Telekommunika-tionsdienstleistung", sagt arvato-Chef Buch.

Dreistufige Grundausbildung
Die Bertelsmann-Tochter setzt für alle ihre Agenten auf eine dreistufige Grundausbildung, die je nach Aufgabe zwischen fünf bis sechs Tagen und sechs bis acht Wochen dauert. Perspektivisch strebt Buch sogar eine berufliche Erstausbildung zum Servicekaufmann für Dialogmarketing an: "Damit wollen wir der zunehmenden Komplexität unseres Geschäfts Rechnung tragen." Die Mitarbeiter müssten wissen, mit welchen Systemen sie arbeiten, wie ein Call-Center organisiert ist, wie unsere Dienstleistungen kalkuliert werden oder wie die Personalplanung funktioniert. Buch: "Kurz gesagt, wir brauchen Branchenprofis - und die finden wir nicht am externen Arbeitsmarkt."

"Vergleicht man, wie sich Aufgaben in Call-Centern in den letzten zehn Jahren von telefonischer Bestellannahme hin zu vertriebsorientierten Tätigkeiten verändert haben, wird die Bedeutung der Qualifizierung um so deutlicher", sagt Schmidt von Quelle.Contact. Auch für Schreiber spielt die Qualifizierung des Personals die entscheidende Hauptrolle: "Wir streben die bewusste Überqualifizierung der Agents an." Und das nicht nur in fachlicher Hinsicht: "Nur wenn wir unseren Mitarbeitern die Chance geben, auch persönlich zu wachsen, haben sie auf Dauer auch die Motivation, die Höchstleistung zu geben." Hochachtung habe er vor jedem guten Agent. Das hört man gern aus einer Branche, die gern auf den gläsernen Agenten setzt.

"Die Balance zwischen Kennzahlen und Produktivität auf der einen und Spaß der Mitarbeiter an der Arbeit auf der anderen Seite" - das ist für Jens Bormann von buw ein entscheidender Erfolgsfaktor.

"Ein Muss für den Erfolg ist die absolute Flexibilität als Dienstleister sowie die Fähigkeit, für jeden Klienten zwar einerseits Synergien aus anderen Projekten zu schöpfen, doch gleichzeitig eine Lösung von hoher Individua-lität zu entwerfen", sagt Sitel-Chefin Grossecker. Ganz ungeschminkt bringt Uwe Kons den geforderten Spagat auf den Punkt: "Kostensenkung bei gleichzeitiger Qualitätsteigerung." Und Dirk Zils hofft, dass "endlich das dumme Gerede vom `Mehrwert` und `Wir sind der Anwalt Ihrer Kunden` aufhört. Zils hofft, dass sich das Image der Branche in der Öffentlichkeit durch den Konsolidierungsprozess merklich bessert: "Das tut uns sehr gut, weil die Cowboys verschwinden." Der gkk-Gesellschafter Harald Kling illustriert den Begriff Cowboy. Viele Anbieter schalteten bei Flauten im Inbound-Geschäft Kampagnen für unseriöse Wiederverkäufer von Lotterielosen zwischen: "Das läuft vor allem im Nearshore-Bereich und es sind beileibe nicht nur die namenlosen Betreiber, die dort tätig sind. Die rollen mit ihren Anrufen vor allem von osteuropäischen Standorten aus derzeit ganz Deutschland auf." Und sorgten damit selbst für das viel beschworene schlechte Image der Call-Center.

Zwei Großbeteiligungen im Juni
Allein im Monat Juni 2005 finden sich zwei aktuelle Beispiele für Konsolidierung in der Call-Center-Branche. Am 6. Juni meldete die Sellbytel Group den Einstieg bei MTS Meditel Service. Die Nürnberger BBDO-Tochter übernimmt 20 Prozent des Pharma- und Medizin-Spezialisten. Der Kundenkommunikations-Spezialist arrondiert sein Portfolio damit im Bereich Health Care mit Kunden wie Glaxo-SmithKline, Pfizer und Novartis.

Ebenfalls am 6. Juni meldete D+S Europe den Kauf des Mehrwertanbieters Deutsche Telefon- und Marketing Services (dtms) in Mainz (siehe Seite 22). D+S-Vorstand Achim Plate will mit dem 60- bis 80-Millionen-Euro-Deal den Hamburger Call Center-Betreiber auf eine Ebene mit Branchenprimus arvato direct services katapultieren. Immerhin erwirtschaftete dtms im vergangenen Jahr einen Umsatz von 200 Millionen Euro. Bereits im September 2004 hatte Quelle.Contact den Mitberwerber Fonetix, im vergangenen Jahr noch die Nummer elf des Rankings, übernommen.

Kling jedenfalls fühlt sich bestätigt. Gegenüber ONEtoONE hatte er 2001 vorhergesagt, dass "in drei bis fünf Jahren" die Hälfte der Call-Center nicht mehr am Markt sein würde. Heute, vier Jahre später, sieht er diese Situation eingetreten: "Gerade in unserem unmittelbaren Umfeld sind eine ganze Menge Anbieter verschwunden." fb

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