03.07.2005 - Möhlmann im Juli
Ein strategisch sauberer Aufbau der Argumentationskette. Eine geschmeidige Ansprache. Eine zielgruppengerechte Typo (Menschen über 65 niemals mit einer Myriad konfrontieren), eine archaische Bildsprache (der Trend geht derzeit zur Höhlenmalerei): Das ist das Geheimnis des erfolgreichen und gewaltigen Response generierenden Mailings. "Aber Momentchen mal, da fehlt doch noch etwas!", werden Sie jetzt vielleicht ausrufen, und da kann ich nur sagen: "Ja, gut, dass sie sich daran erinnern." Nein, es ist nicht der Early Bird, auch nicht das beliebte "Gebühr zahlt Empfänger" und schon gar nicht die Prämie "Eine schöne Villa bei Zuzahlung von nur 1,4 Mio Euro". Nein, es ist ein Element, das zunehmend in Vergessenheit gerät. Es ist der Störer.
Früher war der Störer das A, wenn nicht gar das O des Dialogmarketings. Damals hieß Dialogmarketing noch Direktmarketing, und der Störer war quasi sein Prophet, seine Speerspitze, sein Marschflugkörper, wenn Sie mir den kurzen Ausflug in militaristische Symbolik gestatten. Der Störer war ein Element, das eine gewisse Unruhe beim Adressaten erzeugte, das ihn verwirrte, nachdenklich stimmte und im Idealfall zum spontanen Kauf animierte. Ein Stern oder ein leicht gekipptes rechteckiges Farbfeld, möglichst rot, versehen mit strengen Aufforderungen wie "Jetzt!" oder "Sofort!" Oder, wenn es um ein Produkt mit geringer Halbwertzeit ging, auch schon mal "Nur heute!" Ach ja, und nicht zu vergessen: "Neu!" Das Wesen des Störers war - das Wort deutet es schon ja gewissermaßen an - seine Störkraft. Den harmonischen Gesamtauftritt eines Mailings aufzubrechen, das war seine Bestimmung.
Gehen Sie heute mal zu einer Gestalterin und fordern Sie einen Störer ein. Also, Sie sagen "Mädchen, da fehlt noch ein Störer", und was kriegen Sie ein paar Stunden später? Sie kriegen einen, hm, wie soll man das nennen ... einen Weichmacher, genau. Ein an Salvadore Dali in seiner besten Zeit erinnerndes grafisches Element, das sich geradezu fließend und unauffällig in das Gesamtbild einfügt. Dazu hören Sie dann oft den Kommentar "Der Störer sieht doch wirklich schön aus, oder?" Und wahrlich, das tut er: Ein süßer, exakt am Grundlinienraster ausgerichteteter Kasten mit pastellfarbenem Fond und im Blocksatz verarbeiteter und fast gleichfarbener Typo. Unglaublich.
Ich möchte das alles bitte nicht als antifeministisch gewertet wissen, aber es sind nun mal überwiegend Frauen, die an dieser Schaltstelle sitzen und ihre Macht immer mehr ausbauen. Erst kürzlich hat eine Gestalterin meinen wohlüberlegten Störertext - "Jetzt aber zack-zack!" - eigenmächtig geändert: "Ordern Sie einfach dann, wenn es gerade zufällig in Ihren Zeitplan passt, ja?!", stand da. Weil das ja, wie sie sagte, "irgendwie viel freundlicher klingt, oder?" Brief und Siegel: Ich habe geweint.
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