30.08.2005 - Themenschwerpunkt: Qualifizierungsmethoden für Adressen nehmen die Kundendatenbank ins Visier
Der Adressmarkt ist in Bewegung. Und das nicht nur, weil Jahr für Jahr acht Millionen Deutsche umziehen. Adressqualifizierung und -analyse, Geo- und Mikromarketing, Zielgruppengenauigkeit, Scoring, wachsender Bedarf an Selektionsmöglichkeiten, Spezialisierung und Aufspüren neuer Marktnischen - alles Stichworte, die die Folgen ein und derselben Entwicklung beschreiben: In Zeiten anhaltender Kaufzurückhaltung verlangen die Kunden der Adressverlage und Listbroker mehr als nackte Adressen.
Gefragt sind Kundendaten, die höhere Response-Werte und Abverkaufsraten ermöglichen. Kurzum: Die Adressdaten müssen genauer auf die jeweilige Zielgruppe zugeschnitten sein, sie sollen Zusatzinformationen enthalten, und sie müssen aktuell sein. Im Idealfall verfügen sie neben der Anschrift auch über Telefonnummer und E-Mail-Adresse, per Opt-in zur Nutzung freigegeben.
Nach Ansicht von Norbert Stankus, Marketingleiter bei Koop Direktmarketing in Düsseldorf, hat sich auch das Adressgeschäft vom "Verkäufer- zum Käufermarkt" entwickelt. Daraus folgten eine zunehmende Differenzierung der Produkte sowie die Herausbildung immer kleinerer Marktnischen. Für Stankus bedeutet das einerseits, dass die Zahl der Spezialadressen-Anbieter auch im B-to-C-Bereich zunimmt. Aber die großen Adressverlage seien ebenfalls dabei, "ihre Datenbanken mit zusätzlichen bedarfs- und marketingrelevanten Merkmalen zu ergänzen."
Auch Michael Sperl von databyte sieht eine Entwicklung zum Käufermarkt. Die Adressanbieter müssten heute auch auf dem B-to-C-Markt stärker als früher auf spezifische Kundenwünsche eingehen, "um bessere Trefferquoten und individuellere Kundenansprache zu gewährleisten", meint der Geschäftsführer des Lübecker Anbieters von Wirtschaftsinformationssystemen. Auch Lars Hänchen, Projektmanager Datamining und Listbroking bei der Bertelsmann-Tochter AZ Direct, sieht die Entwicklung "weg von der Massenanmietung hin zur speziellen Selektion, um Streuverluste zu minimieren". Eric Konrad, Leiter Direktmarketing-Management beim B-to-B-Spezialisten Bürgel in Hamburg, betont einen anderen Aspekt: "Hinter jeder einzelnen Adresse steckt eine unglaubliche Dynamik. Wir aktualisieren rund 60.000 Adressen pro Woche."
Konzentration auf Kundenadressen
Dieter Schefer, Geschäftsführer der Deutschen Post Adress, eines Joint-Ventures von Bertelsmann und Deutscher Post, beobachtet, dass sich die meisten Unternehmen aus wirtschaftlichen Gründen auf den Einsatz der eigenen Kundenadressen konzentrieren. Daraus resultierten "Investitionen in die bestmögliche Aktualisierung, Pflege und Anreicherung" der Daten. Die zu erwartenden "Umsatz- und Risikopotenziale eines Kunden" könnten auf diese Weise in die Betrachtung einbezogen werden, erläutert Dr. Martin Krämer, Geschäftsführer der KarstadtQuelle Information Services (KQIS). "Hochpreis- und Vielkäufer zählen nicht automatisch zu den Kunden, die ihre Rechnungen pünktlich begleichen."
Sollen im B-to-C-Bereich Daten angereichert werden, ist es schon aufgrund der rechtlichen Lage konsequent, sich auf die eigenen Daten zu konzentrieren. Denn Zusatzinformationen über die personenbezogenen Daten wie Namen, Anschrift, Telefonnummer und Alter hinaus, wie sie sich etwa aus einer Kundenhistorie ergeben, dürfen nach dem Bundesdatenschutzgesetz ohne ausdrückliche Einwilligung nicht an Dritte weiter gegeben werden. Angereicherte Daten sind im Consumer-Bereich in größerem Umfang nur in Kundendatenbanken vorhanden.
Silberlinge im B-to-B-Sektor
Dessen ungeachtet werden angereicherte Daten nach Schefers Ansicht auch für die Neukundenakquise mittels gemieteter Listen künftig an Bedeutung gewinnen. Höhere Zielgenauigkeit und Vermeidung von Fehlstreuungen lägen "zweifellos" auch im Interesse der Verbraucher, argumentiert der Post-Adress-Geschäftsführer. "Voraussetzung dafür ist allerdings die Verfügbarkeit der entscheidungsrelevanten Daten." Ein versteckter Seitenhieb auf das Bundesdatenschutzgesetz.
Stärker als im Consumer-Bereich mit seinen höheren datenschutzrechtlichen Hürden verlangen die Versender im B-to-B-Bereich von jeher nach Zusatzinformationen wie dem Namen des Entscheiders, seiner Funktion, Unternehmensgröße und -umsatz. Daher spielen in diesem Segment CDs eine größere Rolle. Auf den Silberlingen lassen sich alle Zusatzinformationen bequem selbst recherchieren. Und: Im B-to-B-Bereich sind die Datenmengen überschau- und damit auch noch recherchierbar.
Den Nachteil der eingebrannten Überalterung versuchen Anbieter wie Hoppenstedt oder databyte durch optionale Online-Updates wettzumachen. Gerade bei Verbänden und Organisationen können CDs ihren Preisvorteil ausspielen.
Dass oft schon in den Adressen selbst Fehler stecken, damit beschäftigt sich Carsten Kraus, Geschäftsführer des Datenqualitätsspezialisten Omikron. Das Pforzheimer Unternehmen arbeitet im B-to-C-Bereich vorrangig für Versandhändler. "Drei Prozent der Adress-Codes im deutschen Versand sind falsch", hat Kraus festgestellt. "Früher mag das nicht so relevant gewesen sein, aber im Zeitalter individualisierter Kataloge ist es fatal."
Laxer Umgang mit Dubletten
Wird der Vorname mit dem Nachnamen vertauscht - Rolf Jakob statt Jakob Rolf - oder ein Damenwäsche-Katalog an den Kunden "Frau Peter Müller" gesandt, hinterlässt das den Eindruck von Inkompetenz beim Kunden - und entsprechend entwickelt sich die Kundenbeziehung. Kraus führt derartige Fehler bei der Erfassung auf "mangelndes Gefühl für die Adresse" und rein technisches Denken zurück. Omikron arbeitet derzeit mit mathematischen Wahrscheinlichkeitsverfahren daran, die Adresszeilen in Datensätzen zu optimieren.
Ähnlich streng sieht Kraus den auch nach jahrzehntelanger elektronischer Datenerfassung immer noch laxen Umgang mit Dubletten. Selbst in gut gepflegten Datenbanken gebe es auch heute noch vier bis sechs Prozent Dubletten. Sie entstünden durch Tippfehler und verschiedene Namensschreibweisen. Aber sie verursachten nicht nur Kosten durch doppelten Versand, erklärt der Omikron-Geschäftsführer. "Dubletten machen auch jegliche Personalisierung zunichte. Wer einen Brief doppelt erhält, weiß sofort, dass es sich um Massenwerbung handelt."
Zudem würde die nachträgliche Datenanalyse signifikant verfälscht, klagt Kraus. Auch hier optimieren die Pforzheimer mithilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung ihre Software-Lösungen.
Um ihre Kundendatenbanken vielseitig nutzen zu können, bedienen sich viele Unternehmen des Geomarketings und des Scorings. Adresspionier Schober verfügt über umfassende Kenntnisse. "Jede Individualbetreuung" sei heute durch diese Aspekte gekennzeichnet, sagt Vorstand Arnold Steinke. Entscheidend für den Erfolg sei dabei das Wissen um jeden tatsächlichen oder potenziellen Kunden.
Scoring-Modelle basieren auf trennscharfen soziodemografischen Daten und Konsuminformationen, die aufwändig generiert werden. Kundenstrukturen werden auf Verhaltensmuster untersucht. Die so entstandenen Profile werden auf den Gesamtmarkt übertragen. Anschließend wird dort nach ähnlichen Zielkunden gesucht. Mit dieser auf der internen Datenbank basierenden Methode können relativ zielgenau potenzielle Neukunden angesprochen werden.
Meist verfügten die Unternehmen nicht über das Know-how, um derartige Methoden selbst auf ihre Datenbanken anzuwenden, weiß KQIS-Geschäftsführer Krämer. Das gelte auch für das Geo- oder Mikromarketing. Bei dieser Disziplin der Adressqualifizierung werden die unmittelbaren Wohnumfelder von Bestandskunden mit Marktforschungsdaten und näheren soziodemografischen Merkmalen wie Kaufkraft, Alter, Haushaltsstruktur, Lebensstil und Milieu verknüpft. Es entsteht ein Bild von der Zielgruppe. Sodann werden zu den gewonnenen Nachbarschaftsprofilen vergleichbare Milieus in anderen Regionen gesucht. Auf diese Weise lassen sich nicht nur Streuverluste minimieren, sondern im nächsten Schritt auch Neukundenpotenziale für die Vertriebsgebietsplanung lokalisieren.
Die Zielgruppe hält Lars Hänchen von AZ Direct ohnehin für noch wichtiger als die Adressqualität an sich. "Was hat man davon, wenn man eine Adressgruppe mit einer sehr hohen Qualität einsetzt, aber die Zielgruppe nicht trifft?", fragt Hänchen. Die Response-Quote werde sehr niedrig ausfallen, meint der Datamining-Projektmanager. Stimme dagegen die Zielgruppe, aber die Qualität falle ab, habe man zwar mit einer relativ hohen Retourenquote zu rechnen. Aber: "Aufgrund der richtigen Zielgruppenauswahl ist auch die Response-Quote höher", argumentiert Hänchen.
Frédéric Cavro, Geschäftsführer von SAZ Marketing in Frankfurt, sieht neben den vielfältigen Möglichkeiten der Qualifizierung noch einen weiteren Trend im Adressmarkt: "Neben der Postanschrift werden Telefonnummer und E-Mail-Adresse immer wichtiger. Beide sind ganz alltägliche Kommunikationsmittel. Warum sollen Marketer ihre Kunden nicht auch über diese Kanäle erreichen?" Natürlich gebe es gerade im E-Mailing schwarze Schafe, die diesen Weg diskreditierten. Entschiedene Lobbyarbeit, die eine bessere Nutzung von Telefon und E-Mail für das Marketing ermöglichten, sei gerade deshalb erforderlich. "Wir müssen die schwarzen Schafe an die Seite drängen", plädiert Cavro. Eric Konrad pflichtet ihm bei: "Alle sind überall erreichbar. Diese Daten- und Informationsflut sinnvoll einzusetzen ist die größte Herausforderung."
Streitfall Telefonmarketing
Wie Cavro und Konrad sieht auch Norbert Stankus von Koop künftig einen Trend zu crossmedialen Kampagnen, für die auch E-Mail-Adresse und Mobilfunknummer benötigt würden. Schon heute werde verstärkt die Telefonnummer nachgefragt. Und zwar trotz der rechtlichen Rahmenbedingungen, nach denen Opt-ins erforderlich sind. Er führt das vor allem auf die im Gegensatz zum Porto gesunkenen Telefongebühren zurück. Stankus: "Der Trend zum Telefon bedeutet zugleich höhere Anforderungen an die Adressenqualität, denn schlecht gepflegte Telefonnummern fallen sofort auf."
An diesem Punkt widerspricht Hänchen. Seiner Überzeugung nach wird Telefonmarketing in einigen Jahren nicht mehr gefragt sein. "Diese Form der Ansprache wird inflationär betrieben. Die Konsumenten sind es leid, per Telefon angesprochen zu werden - trotz Einverständniserklärung."
Umzug und Nachsendeauftrag
Anders als seine Kollegen sieht AZ-Direct-Manager Hänchen den Umzug nicht als zentrales Thema an (siehe Seite 12). Viele Adresseigentümer und -mieter setzten Umzugsadressen eher selten ein. "Ein ständiger Einsatz würde sicherlich die Qualität erhöhen und die Retourenquote senken."
Dieter Schefer räumt ein, dass die Quantität der Umzugsadressen durch die Einführung der Gebühren für den Nachsendeauftrag der Deutschen Post 2003 "unmittelbar" gelitten habe. Mittlerweile jedoch hätten sich die Mengen "auf einem guten Niveau nachhaltig stabilisiert". Er argumentiert zudem, dass die Qualität der Umzugsdaten gestiegen sei, weil jemand, der für einen Nachsendeauftrag zahlt, ihn gewissenhafter ausfülle.
SAZ-Chef Cavro, der vergangenes Jahr mit der Post Adress ergebnislos über eine gemeinsame Umzugsdatenbank verhandelt hatte, vermarktet sein Know-how mittlerweile allein und konnte sich auch nach Einschätzung Dritter wie Carsten Kraus von Omikron zur wichtigsten Alternativquelle für Umzugsdaten entwickeln. Cavro beteuert denn auch, dass er mit seinem Angebot die Post-Daten ergänzen will. "Genau so ist das gedacht!" Schefer gibt die Blumen zurück: "Was die Lücke der fehlenden Umzugsdaten angeht, gibt es ja bereits einige Anbieter von ergänzenden Substanzen."
Anbietervielfalt und Spezialisierung sind ein Trend, den nicht nur Eric Konrad von Bürgel sieht, wenn er von einer wachsenden "Entwicklung hin zu mehr Spezialanbietern" mit Konzentration auf bestimmte Zielgruppen und Nischenmärkte spricht.
2,50 Euro für eine Retoure
Kraus geht noch einen Schritt weiter: Für ihn können Allrounder im riesigen Markt der Verbraucheradressen schon heute keine echte Qualität mehr bieten. 50.000 ausgewählte Adressen etwa aus internen Datenbanken seien noch seriös zu pflegen, bei einem Rundumschlag von vielleicht einer Million Adressen sei das nicht mehr möglich. "Auch im Consumer-Markt sind letztlich nur die Spezialisten wirklich gut."
Ob es im Consumer-Markt aber jemals so weit kommt wie bei den B-to-B-Adressen, bei denen ein kleiner Spezialanbieter für die Gesundheitsbranche wie ArztData neuerdings für eine Retoure sogar eine Geld-zurück-Garantie von 2,50 Euro bietet, scheint fraglich. Mit Sicherheit aber gilt hier wie dort das Credo von Carsten Kraus: "Eine halb so gute Adresse bringt nur halb so gute Ergebnisse." fb
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