Handelsmarketing

Papier ade: Wie der Prospekt seine Vorteile auch in Zukunft noch ausspielen kann

Per WhatsApp verschicken schon einige Firmen ihre Prospekte. Aber das reicht nicht. (Bild: toom Baumarkt GmbH)
Per WhatsApp verschicken schon einige Firmen ihre Prospekte. Aber das reicht nicht.

27.07.2023 - Einige prominente Unternehmen haben sich vom Printprospekt verabschiedet und bauen dafür jetzt unter anderem auf WhatsApp als Vertriebskanal. Zu erreichen sind so aber nur BestandskundInnen. Doch es gibt Wege, auch neue KundInnen rein digital mit Angeboten zu erreichen - und zu gewinnen.

von Maximilian Balbach

"Tschüss 73.000 Tonnen Papier": Mit diesem Slogan bewirbt Rewe   derzeit öffentlichkeitswirksam seinen Ausstieg aus der Prospektwerbung. Auch Obi   und die Deutsche Post   haben ihren Rückzug verkündet, weitere werden folgen. Aber was wird dann das "neue Leitmedium" im Handelsmarketing sein?

In den letzten 20 Jahren war es der Prospekt. Diese Ära geht jetzt zu Ende. Preissteigerungen beim Papier verteuern den Druck, steigende Mindestlöhne erhöhen insbesondere die Kosten für die Verteilung der Prospekte. Die erreichbare Zielgruppe schrumpft, vor allem durch eine steigende Anzahl an Werbeverweigerern. Hinzu kommt, dass der Prospekt als unökologisch und umweltbelastend wahrgenommen wird. Druck und Verteilung verursachen Ressourcenverbrauch und Emissionen, die den Nachhaltigkeitszielen vieler Unternehmen entgegenstehen.

Der Printprospekt kann nicht 1:1 ersetzt werden

Ein einziges Medium wird es aber nicht geben, das den Prospekt mit seinen beiden wesentlichen Funktionen ersetzt: Aufmerksamkeit (=Awareness) und Stöbern (=Discovery). Diese beiden Eigenschaften werden sichergestellt, indem der Prospekt Woche für Woche im Briefkasten der Haushalte landet und die LeserInnen zum Durchstöbern einlädt - sie in Themenwelten entführt, statt ihnen nur plumpe Angebote zu präsentieren. Diese Aufgaben müssen Unternehmen zukünftig separat lösen.

Um ihre Angebote zu bewerben, setzen Handelsunternehmen auf eigene Apps und WhatsApp. Dieser Ansatz ist richtig, reicht aber nicht aus. Denn das große Problem ist, dass man damit nur BestandskundInnen erreicht, die die App bereits aktiv installiert oder den WhatsApp-Prospekt abonniert haben. Das ist nur ein kleiner Bruchteil derer, denen man heute einen Prospekt zusenden kann. Und das Deaktivieren der Push-Benachrichtigung oder Abbestellen des WhatsApp-Kanals ist schnell geschehen und wird dann meist nicht mehr rückgängig gemacht.

Viel Online-Werbung ist nötig

Daher sollten Unternehmen stärker auf digitale Reichweitenkanäle setzen, die aufmerksamkeitsstark sind und eine programmatische Ausspielung ermöglichen. Je mehr Daten zur Werbeausspielung und zu den NutzerInnen vorliegen, desto besser das Targeting. Gleichzeitig können Daten auch dafür genutzt werden, die Inhalte der Werbung zu dynamisieren und zum Beispiel einen lokalen Bezug zu schaffen oder die Interessen der UserInnen zu berücksichtigen.

WhatsApp-Prospekten fehlt der immersive Charakter

Gleichzeitig leiden Apps & WhatsApp aber auch unter einem anderen großen Problem: Das Stöbern (Discovery) funktioniert hier nicht so gut. Der kleine Bildschirm sorgt dafür, dass man schlecht in Produktwelten eintauchen kann, um sich inspirieren zu lassen. Es leiden Up- und Cross-Selling und Spontankäufe.

Unternehmen müssen ihre Discovery-Kanäle daher so weiterentwickeln, dass sie mehr Immersion bieten, also Kunden besser eintauchen lassen in Produkt- und Themenwelten. Dafür eignet sich Videocontent, der Produkte im Kontext zeigt. Eine Zusammenarbeit mit Influencern kann dabei für zusätzliche Glaubwürdigkeit und Exklusivität sorgen. Ein noch höheres Maß an Immersion könnten Virtual Reality, Augmented Reality und das Metaverse bieten. Produkte und Leistungen können in virtuellen Märkten oder Showrooms erlebt und ausprobiert werden, womit beim Kunden Neugierde geweckt wird. Auf Werbetreibende kommen hier leider viele neue Herausforderungen in der Content-Erstellung zu. Sich frühzeitig damit zu beschäftigen, wird sich auszahlen.

Vier Strategien, die den Print-Prospekt ersetzen könnten


Blätterbare Produktkataloge im Display Ad

Mit Content Engagement Ads erhalten Werbebanner ein interaktives Format. Anstatt statische oder animierte Inhalte, präsentiert dieser Banner eine Art Mini-Webseite, mit der NutzerInnen interaktiv agieren können. Diese ermöglicht nicht nur das Ansehen von Angeboten und Produktwelten, sondern auch das Blättern, Scrollen und Ansehen weiterer Produktinformationen und Videos. Dabei ist es ratsam, die Top-Angebote einer Woche in den Vordergrund zu stellen.

Vorteil: Das Content Engagement Ad kann den klassischen Prospekt recht gut imitieren, da es sowohl Awareness als auch Discovery ermöglicht.

Zu beachten ist allerdings, dass Display Ads in qualitativ hochwertigen Umfelder eingesetzt werden und Bot-Traffic ausgeschlossen wird, damit die Werbegelder nicht bei Betrügern versickern. Das erreicht man, in dem man Fraud-Prevention-Tools einsetzt, mit Whitelists arbeitet und nur bei namhaften Vermarktern einkauft.

Geo-Behaviour Strategie mit Display oder Video-Ads

Die Geo-Behaviour-Strategie nutzt mobile Bewegungsdaten zur gezielten NutzerInnen-Ansprache. Anhand von pseudonymisierten Bewegungsprofilen, die durch Mobilfunkanbieter oder bestimmte Apps erhoben werden, lässt sich ermitteln, welche Smartphones sich wann und wo aufgehalten haben. Diese Informationen ermöglichen gezieltes Targeting von UserInnen. Diesen wird dann ein Video-Werbemittel oder Banner auf ihrem Smartphone ausgespielt, das eine zielgerichtete Werbebotschaft mit Referenz auf die nächste Filiale und aktuelle Angebote enthält.

Vorteil: Die Geo-Behavior-Strategie ermöglicht eine sehr zielgerichtete Ansprache im lokalen Umfeld und kann zur Bindung von BestandskundInnen oder zum Abwerben von Wettbewerbszielgruppen beitragen.

Aber: Geo-Behavior-Daten stehen nur für einen relativ geringen Anteil der NutzerInnen zur Verfügung, was die Reichweite dieser Strategie begrenzt.

Drive-to-Store Kampagnen

Drive-to-Store-Kampagnen konzentrieren sich darauf, Ladenbesuche zu erhöhen. Sie ähneln der Geo-Behavior-Kampagne, richten sich jedoch an breitere Bevölkerungsgruppen im Einzugsgebiet von Filialen. Diese Kampagnen messen über Bewegungsprofile, wie viele NutzerInnen, die eine Anzeige gesehen haben, danach tatsächlich den Laden besuchen (sog. Footfall Traffic) im Vergleich zu denjenigen, die die Anzeige nicht gesehen haben. Drive-To-Store Kampagnen können über soziale Netzwerke, Google Ads oder andere Plattformen (DSPs) ausgespielt werden, die auch die Footfall-Conversions ermitteln und auswerten.

Der Vorteil dabei: Breiten wie spitze Zielgruppen können angesprochen werden. Und: In den sozialen Netzwerken stehen hohe Reichweiten zur Verfügung.

Allerdings sind Drive-to-Store-Kampagnen nur dann sinnvoll, wenn mehr Ladenbesuche auch das Ziel der Kampagne sind und nicht etwa die Erhöhung des Warenkorbs. Eingesetzt werden können sie zudem nur bei Läden, die eine ausreichend hohe tägliche Besucherfrequenz haben. Sensiblen Branchen wie das Gesundheitswesen oder der Finanzbereich sind ausgeschlossen. Es gibt eine Dunkelziffer an BesucherInnen, die nicht erfasst wird ? der tatsächliche Wert liegt in der Regel höher. Trotzdem können valide Erkenntnisse gewonnen werden.

ATV & CTV mit Behavior Strategie oder Haushaltsgraphen

TV-Werbung ist ein hervorragendes Mittel zur Erzeugung von Awareness. Addressable TV (ATV) und Connected TV (CTV) ermöglichen es, Fernsehwerbung auch mit lokalem Bezug im Handelsmarketing einzusetzen. Addressable TV (ATV) fügt Spots und Banner in das lineare TV-Programm ein, Connected TV sind Video-Spots vor gestreamten Inhalten ? in Mediatheken oder Streaming Diensten. Die Auslieferung ist jedoch in beiden Fällen vollständig digital und kann mit engmaschigem Geo-Targeting versehen werden. Das ermöglicht es, die Werbespots inhaltlich auf die lokale Filiale abzustimmen, zum Beispiel mit aktuellen Top-Angeboten und dem Hinweis auf die App und WhatsApp als zusätzliche Informationsquelle.

Für solche Kampagnen ist es empfehlenswert, sie auf den Fernseher auszurichten, denn hier ist die Werbewirkung stärker und die Präsentation der Angebote überzeugender. Wurde ein Werbespot an einen Fernseher im Haushalt ausgeliefert, kann man die Banner auch den anderen Geräten im Haushalt, insbesondere Smartphones, als Retargeting ausspielen, um die Kontaktfrequenz zu erhöhen. Dies ist auch deshalb sinnvoll, weil man am Fernseher nicht gut klicken kann und das meistens auch nicht möchte. Das macht man lieber am Smartphone.

Vorteile sind die maximale Aufmerksamkeit durch Nutzung des Big Screens. Dazu erhöhen individuell angepasste Inhalte und Angebote die Relevanz der Werbung und die Kontaktfrequenz kann dank Retargeting auf dem Smartphone erhöht werden.

Allerdings: Mit über 60 Prozent der Haushalte in Deutschland ist die Reichweite von ATV und CTV zwar sehr hoch, doch sie eignen sich nur als Branding- und Awareness-Medien, erzeugen Aufmerksamkeit, führen aber nicht unbedingt zu Klicks und Spontankäufen.

Fazit
Bei der Wahl der Strategie gibt es kein Richtig oder Falsch. Jede dieser Strategien bringt Vorteile und zu beachtende Aspekte mit sich. Sie sollte im Vorfeld sorgfältig auf die spezifischen Bedürfnisse und Ziele des jeweiligen Unternehmens abgestimmt werden. Um die richtige Entscheidung zu treffen, lohnt es sich für Werbetreibende, neue wirksame Kanäle frühzeitig zu identifizieren und zu testen, um schnell auf Veränderungen reagieren zu können und am Ende nicht das Nachsehen zu haben.


Maximilian Balbach (Bild: Crossvertise)
Maximilian Balbach

ONEtoONE-Autor Maximilian Balbach ist Gründer und Co-CEO des auf Media-Lösungen spezialisierten Unternehmens crossvertise GmbH. Das Unternehmen kombiniert Media-Selbstbuchung und individuelle Mediaberatung. Auf Deutschlands umfassendster Buchungsplattform crossvertise.com   können Unternehmen und Agenturen alle Werbemedien vergleichen, direkt planen und buchen. Darüber hinaus entwickelt das Team erfahrener Mediaberater:innen unter der Mediaagentur-Marke crossadvise   individuelle Media-Strategien und übersetzt diese in wirkungsvolle Werbekampagnen. Die crossvertise GmbH mit Standorten in München und Köln wurde 2011 gegründet und beschäftigt rund 70 Mediaprofis und Technologieexpert:innen.

Maximilian Balbachs Schwerpunkte sind die technische Produktentwicklung und Verantwortung der unternehmenseignen Buchungssoftware sowie Mediaplanung, Mediaeinkauf und Marketing.

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