KI wird bisher geltende Paradigmen der Bildproduktion und -rezeption unweigerlich verändern. Zum einen wird das ästhetische Niveau insgesamt steigen, denn jetzt können alle hübsche Bilder kreieren. Der Look, den Top-Kreative und Fotografen einst erschufen, wird bald auf jedes beliebige Motiv angewandt. Ein bekanntes Tool ist Lensa: Die App ermöglicht Millionen von Usern, Selfies im Stil unserer liebsten popkulturellen Phänomene zu erstellen. Und das kostenlos und in Sekunden. Gelernte Ästhetik nachzuahmen wird damit zur Sache von Minuten.
Zum anderen wird bis zu einem gewissen Grad ein Gewöhnungseffekt eintreten, möglicherweise wird es stellenweise sogar zum Überdruss kommen. Wir kennen das bereits von dem Vorgänger der KI-Bilder: der Stock-Fotografie. Generische Bilder aus der Datenbank werden geradezu ausgeblendet. Man sieht ihnen regelrecht an, dass sie nicht authentisch entstanden sind und die zu sehenden Personen nichts mit dem Unternehmen zu tun haben. Das Gleiche könnte mit KI-Bildern geschehen, nur eben auf einem deutlich höheren Niveau.
Was können MarkenexpertInnen also konkret tun, um diese Effekte der Austauschbarkeit und Übersättigung zu vermeiden? Hier einige Tipps:
Eigene Markencodes finden
Wenn plötzlich jeder Mensch Bilder in guter Qualität generieren können, reichen hochwertige Fotografie und urbaner Yuppie-Look allein noch weniger als Vorgabe für die markentypische Bildsprache aus. Um jetzt aber im Meer von guten KI-Bildern mitzuhalten, braucht es nicht nur eine hohe ästhetische Qualität. Es braucht Elemente, die so ungewöhnlich sind, dass sie wahrgenommen werden. Sei es eine ganz eigene, semantisch aufgeladene Metapher wie das Schild oder den Engel der Versicherungswelt oder eher abstrakte Elemente, wie die konsequente, auffällige Markenfarbe führender Telekommunikationsanbieter.
Hochspezifische Prompts
Ihr wollt etwas von der KI? Also erklärt ihr so genau wie möglich, was ihr braucht. Dabei ist es wichtig, nicht die Prompts anderer Leute unreflektiert zu kopieren. Denn das erhöht die Chance auf generische Ergebnisse. Anstatt also im Klischee zu bleiben und mit Begriffen wie beispielsweise ?clean?, ?geradlinig?, ?minimalistisch? zu arbeiten, darf es ruhig etwas spezifischer sein. Das schließt Referenzen zu Bekanntem ein, aber auch völlig neue Ideen.
Iterieren
Wiederholt eure Prompts, ändert das Wording minimal oder wechselt die Perspektive. Lasst im Idealfall sogar eine andere Person mit demselben Ziel die Anfrage an die KI stellen. Die KI wird unterschiedliche Ergebnisse liefern. Auch wenn die Ergebnisse nicht perfekt sind, liefern sie neuen Gedankenstoff und eröffnen insbesondere in der Konzeptionsphase neue Pfade.
Die eigenen Markencodes durchhalten
Wie schon in Zeiten vor KI-gestützter Tools braucht eine starke Marke weiterhin prägnante Markenelemente, die sie dann auch konsequent durchhält. Das Versprechen einer Marke darf sich nicht oder nur sehr langsam verändern, das liegt in ihrer Natur. Eine Brand braucht Zeit, um zu wirken. Das erfordert vor allem konsequentes und konsistentes Management, weil die Bestrebungen aus der Organisation, eine Marke ?mal eben? neu zu erfinden, durch KI noch verlockender, weil einfacher und günstiger, wird.
Kameranamen im Prompt einsetzen
Die KI versteht erst einmal nur das, was im Prompt steht. Einer der größte Fehler ist es, einen vermeintlich perfekt passenden Prompt nicht mehr zu verändern, weil er doch so schön logisch ist. Generative KIs konstruieren keine neuen Lösungen, sondern interpretieren aus gigantischen Datensets, wie ein Bild wahrscheinlich aussehen sollte. Wenn beispielsweise die fotografische Qualität eines Motivs gesteigert werden soll, kann der Kameraname im Prompt eingesetzt werden. Das erhöht die Chance auf ein professionell wirkendes Bild. Nicht etwa, weil die KI die Kameramechanik selbst nachahmt, sondern weil sie jetzt nur noch Foto-Daten durchsucht, die mit dem entsprechenden, besseren Kamera-Modell verschlagwortet sind.
Unrealistische Elemente steigern die Akzeptanz
KI-Tools können eine enorme Arbeitserleichterung sein: Eine realitätsnahe Südafrikaszene ist schnell generiert, ganz ohne Flüge und Mehraufwand. Vorsicht jedoch vor zu viel Realismus. Stichwort: Uncanny Valley. Wer versucht, zu nah an das Menschliche heranzukommen, wird beim Betrachter unweigerlich Unbehagen auslösen. Denn KI-generierte Menschen sind eben keine echten. Besser ist es, bewusst unrealistische Elemente einbauen und so Kontraste zu jenen Elementen schaffen, die möglichst realistisch wirken sollen.
Mehrere KI-Plattformen füttern
Midjourney, Stable Diffusion, DALL-E? (Fast) egal. Viel wichtiger ist es, nicht nur auf eine KI-Plattform zu setzen. Die Tools unterscheiden sich in ihren Stärken und Schwächen, produzieren aber oft Default-Looks. Um den nächsten Schritt in Sachen Einzigartigkeit zu gehen, sollte man verschiedene Plattformen miteinander kombinieren und mit dem Material der jeweils anderen füttern. Langfristig werden vor allem große Brands ohnehin eine eigene KI unterhalten, die sie mit den Trainingsdaten über die eigene Brand Identity speisen. Das Resultat sind perfekt abgestimmte Marken-Visuals.
Nur Geduld
Wie schon gesagt: Algorithmen lernen. Also gebt ihnen Zeit! Zu Beginn werdet ihr eventuell mit den Ergebnissen nicht zufrieden sein. Die Zeit, die ihr in die KI investiert, wird sich aber lohnen. Versucht, die KI fest in eure Workflows zu integrieren: Das Programm wird euch Arbeit abnehmen. Je mehr Zeit ihr investiert, desto mehr kann die KI euch entlasten.
Auf den Zufall setzen
Machine Learning ist definitionsgemäß Mainstream: Je häufiger im Datensatz ein bestimmtes Motiv vorkommt, desto wahrscheinlicher denkt die KI, dass Prompt-Schreibende wieder genau dieses Motiv erhalten möchten. Als Kreativer und als Marke möchte ich jedoch mit dem Klischee brechen.
Willkür ist gut
Das Grundmotto der KI-Kreativität folgt dem Motto des bereits verstorbenen Künstlers Bob Ross: Setze auf die "happy little accidents". Es ist eine gute Strategie, der "Randomness", also der künstlerischen Willkür einen gewissen Raum zu geben, anstatt dem perfekten Bild nachzujagen. Die eigenen Prompts werden dann mit freien Assoziationen und wilden Begriffen gefüttert. Das hat einen einfachen Grund: Willkür ist kaum zu kopieren. Je eigenständiger ein Markenauftritt ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass Mitbewerber diesen nachahmen. Und wer Sorge hat, ganz ins kreative Chaos abzudriften: Es reichen schon kleine Eigenheiten im ganz normalen Motiv, um wiedererkennbar zu bleiben ? man denke beispielsweise an die weißen Handschuhe von Mickey Mouse oder das ß in Berliner Straßenschildern.
Fazit: KI braucht Mut, Zeit und vor allem uns Menschen. Wenn wir die Spielregeln kennen und die Veränderung als Chance begreifen, öffnen sich neue Wege und Perspektiven. Kreativität wird damit nicht ausgelagert, sie erreicht bloß ganz neue Dimensionen und kreiert Möglichkeiten, uns aus unserer Komfortzone herauszubewegen.
Till Oyen
Bild: Radikant, Till Oyen
ONEtoONE-Autor Till Oyen ist Mitgründer und Creative Director der Kölner Branding-Agentur Radikant, die Unternehmen bei Markenentwicklung, Corporate Design und User Experience Design unterstützt und berät. Nach einer Ausbildung zum Mediengestalter studierte Oyen Integrated Design an der Köln International School of Design und Corporate Design an der Zürcher Hochschule der Künste. Radikant betreut mit einem 25-köpfigen Team Top-Marken wie die Deutsche Telekom, Creditreform und die DEVK sowie zahlreiche mittelständische Unternehmen.