Bild: Midjourney/Sebastian Halm
Viele Unternehmen sind überzeugt davon, ein Markenunternehmen zu sein. Aber stimmt das immer? Oder ist es doch eher eine voreilige Annahme? Auf den ersten Blick könnte man eine Marke nach diesen Eigenschaften bestimmen:
Eine Marke
- ist bei der relevanten Zielgruppe bekannt und im Bewusstsein verankert - Aufmerksamkeits- und Wiedererkennungseffekt sind sehr hoch,
- besteht aus einer komplexen Botschaft, die auf kleinstem Raum komprimiert kommuniziert wird - ein Thumbnail genügt,
- die Bedeutung einer Marke ist (bei ihrer Zielgruppe) stets positiv besetzt.
In volatilen Märkten können Marken schnell aufgebaut werden (Hello fresh) und genauso schnell zerstört werden (Twitter). Aber wie funktionieren Markenbotschaften eigentlich und weshalb funktionieren sie?
Zunächst: Eine Marke ist ein kommunikativer Komplex, der multimodal auftritt. Für die Identifikation einer Marke genügt das Logo, das zugleich den Leitspruch mit assoziiert. Die BMW-Marke besteht aus dem blau-weißen Logo und dem Slogan: Freude am Fahren. Das ist alles? Dann müsste es doch einfach sein, eine Marke in Nullkommanix aufzubauen. Jeder gestandene Marketer weiß es anders. Markenaufbau geht nicht über Nacht und wirkt dann sogleich nachhaltig. Ein Marken-Zeichen aufbauen - das kann Jahre in Anspruch nehmen.
Beim BMW-Logo kann man übrgens sehr schön sehen, wie sich das Zeichen in seiner Bedeutung historisch im kulturellen Kontext ändert. Der Ursprung des BMW-Logos wird häufig mit einem sich drehenden Propeller verbunden. Diese Verbindung basiert auf dem Firmenhintergrund von BMW als Hersteller von Flugmotoren. Das blaue und weiße Logo repräsentiert zudem die bayerischen
Farben. Der
Mythos
besagt, dass das Logo den rotierenden Propeller eines Flugzeugs darstellt.
Was trägt die Semiotik zum Markenaufbau bei?
Die Semiotik kann hier zu der Erkenntnis beitragen, wie eine Marke als multimodaler Komplex funktioniert. Nicht umsonst sprechen wir ja auch von Marken-Zeichen, anhand derer wir eine Marke erkennen. Und Semiotik beschäftigt sich bekanntlich mit Zeichen. Mit Hilfe von Zeichen versteht ein Mensch Umwelt und Mitmenschen, mit Zeichen kommuniziert er. Ein Zeichen ist nicht nur das, was es an sich ist, sondern verweist auf eine Bedeutung.
Charles Sanders Peirce
hat im 19. und frühen 20. Jahrhundert in zahlreichen Schriften die Semiotik als Methode/Wissenschaft gegründet. Sein Zeichenkonzept erlaubt uns, die ?Bedeutung? einer Marke und wie sie sich entwickelt, besser zu verstehen. Bei Peirce haben Zeichen eine Triple-Struktur. Das Zeichen selbst (Repräsentamen - Signifikant) bezieht sich zunächst auf sein Objekt (Signifikat). Das Objekt darf nicht mit einem realen Ding verwechselt werden; vielmehr ist es ein mentales Konzept oder eine kulturelle Einheit (Eco). Dieser Zeichenbezug auf das Objekt wird nun seinerseits zum Gegenstand eines Dritten: dem Interpretanten. Der Interpretant ist wieder ein Zeichen, das sich auf das Objekt bezieht. Das Entscheidende an diesem Konzept ist, dass der Interpretant somit das Einfalls-Tor (Einfall auch im Sinne von neuer Vorstellung) weiterer Konzepte oder Bedeutungen wird. Peirce nannte das Semiose. Da das Zeichen stets durch weitere Zeichen interpretiert werden kann auf Grund seiner Dreierstruktur, ist der 'Interpretationsprozess' in sich virtuell unendlich.
Prof. Dieter Mersch beschreibt die Semiose so:
"(So) ließe das entfaltete Zeichendreieck an eine Spirale denken, die zugleich anzeigt, dass die Bedeutung des Zeichens stetig wächst - denn jedes Symbol ist eine lebendige Sache", schreibt Peirce;
"sein Körper ändert sich langsam, während seine Bedeutung unvermeintlich wächst, indem sie neue Elemente inkorporiert und alte entfernt" (
Dieter Mersch, Semiotik und Rationalitätskritik
, S. 3).
Ein Marketer würde hier sagen: Der Interpretant bietet den Ansatzpunkt eines unendlichen Storytelling! Wir benötigen noch zwei Begriffe, die beim Markenaufbau eine Rolle spielen: Multimodalität und Code.
Codes und Semiotik
Ein Code sorgt im Prinzip für eine Isomorphie zwischen zwei getrennten Element-Mengen. Wenn ich 'Hund' höre oder lese, stellt sich ein Konzept eines schwanzwedelnden Vierbeiners ein - der nicht unbedingt schon einer konkreten Rasse zugehören muss. Der Bezug zwischen dem Zeichen und seiner Bedeutung (Konzept) ist arbiträr. Verschiedene Sprachen haben für das Konzept 'Hund'
verschiedene Zeichen (dog, chien, cane). Der Code ist sozusagen die Gebrauchsanweisung für das Zeichen.
Auch Bilder (Icons) sind - nach
Eco
- codiert, d.h. sie sind nur verständlich innerhalb eines kulturellen Kontextes, der den Bildelementen eine Bedeutung zumisst. Napoleon auf einem Bild erkenne ich nur, wenn ich schon in der Historie so weit bewandert bin, dass ich ihn als diesen korsischen Kaiser Frankreichs erkennen kann. Bildcodes sind nicht so fest gefügt, wie Worte (Symbole); sie bieten daher auch einen weiteren z.T. anarchischen Verstehensspielraum.
Auch Sprache hat ikonische Momente, die sich insbesondere beim Gebrauch von Metaphern zeigen. Beispielsweise ist das Wort 'Tischbein' als Metapher zu werten, die aber durch Sprachroutine letztlich in ihrer Ikonizität abgeschliffen wurde. Codes verlieren an Ausdruckskraft und werden mit der Zeit selbstverständlich. Man kann von abblassenden Codes sprechen.
Multimodalität - die Überlagerung verschiedener Code-Typen
Hiermit sind wir beim Thema Multimodalität. Es handelt sich hier im Prinzip um die Komplexbildung von Botschaften aus mehreren Zeichentypen; bei Marken bestehen sie aus einer Bedeutungsmatrix aus textlichen und ikonischen Elementen (Bild, Video). Es können aber hier auch andere sensorische Elemente eine Rolle spielen. Bei der
Lidl Radiowerbung
bekommt eine etwas schnoddrig-durchdringende Frauenstimme die Sprecherinnen-Rolle. Die Stimmtonalität ist hier schon bestimmend und ein schon ein Markenzeichen in der Radiowerbung des Konzerns.
Multimodalität tritt wie selbstverständlich in digitalen Medien auf, wo Text ohne visuelle Medien kaum noch vorstellbar ist. Wir hatten oben gesehen, dass Bilder eher schwach codiert sind, also ihre Interpretation einen weiten Spielraum beanspruchen kann. Das bedeutet allerdings auch, dass bei ihrer Auswahl besondere Sorgfalt erforderlich ist. In multimodalen Botschaften entstehen
zwischen den Zeichentypen Text und Icons Code-Interferenzen, die nicht in der Absicht des Unternehmens liegen.
Auch Konzernen können solche Missgriffe passieren
. Der Versuch, dem Mädchen den coolen Habit eines Audifahrers (Sonnenbrille, gelassenes Anlehnen) zu geben und so die Zielgruppe zu assoziieren, ging deutlich daneben. Die isomorphe Codierung zwischen Mädchen und Zielgruppe war die Absicht dieses Auditweets. Die Öffentlichkeit interpretierte das Bild aber völlig anders: Autos stellen für Kinder im Straßenverkehr eine Gefahr dar. Unternehmensinterne Blindheit für verschiedene Decodierungsoptionen führen dann zu solchen Ergebnissen.
Was kann die Semiotik nun zum Thema Markenaufbau und -pflege beisteuern?
Ganz schön viel, wenn man bedenkt, dass alles als Zeichen aufgefasst wird. Jede Marke, jedes Produkt kommuniziert bewusst oder unbewusst mit Zeichen. Wenn wir uns mal die verschiedenen Aspekte einer Marke anschauen, ihren Leittext, Slogan, ihre eigene Bildsprache, dann wird klar: Eine Marke ist im Grunde genommen ein codebasiertes Zeichensystem. Nur mit dem einen Unterschied zur menschlichen Sprache: Das Unternehmen muss diesen Code mit Hilfe vorhandener kultureller Codes erst erschaffen! Es geht darum, diese Zeichen und Codes gezielt einzusetzen, um die Wahrnehmung einer Marke bewusst zu beeinflussen.
Zusammengefasst:
- Semiotik ermöglicht die gezielte Nutzung von Zeichensystemen zur Veranschaulichung komplexer Unternehmenskultur.
- Semiotik hilft bei der Identifizierung der richtigen Zeichen für die Markenentwicklung.
- Semiotik unterstützt das Verständnis und die Steuerung der Wahrnehmung deiner Marke.
- Semiotik eröffnet neue Perspektiven und hilft bei der richtigen Ansprache von Menschen.
- Semiotik liefert tiefere Erkenntnisse und deckt "kommunikative Fehltritte" auf; sie lässt sich also als Frühwarnsystem vor möglichen Shitstorms einsetzen.
ONEtoONE-Autor Dr. Gerd Theobald ist Germanist und promovierter Evangelischer Theologe:
"Meine Passion für Content-Marketing und seine (semiotische) Wirkung erklärt sich wohl daraus." Seit 2008
berät und schult er als Selbständiger
Menschen in Disziplinen des Online-Marketing. Dabei blickt er auf mehr als 250 Schulungen und Firmenseminare zu Webanalyse, Online-Marketing, Suchmaschinenoptimierung zurück. Seit 2017 ist er als Lehrbeauftragter der Technischen Hochschule Deggendorf berufen.