11.04.2024 - Der mittelständische Bekleidungshersteller Seidensticker bietet die beste Online-Erfahrung der deutschen Modeindustrie. Zu diesem Ergebnis kommt der aktuelle CX-Score von Voycer, dem Institut für Marketing der LMU München und der ONEtoONE-Schwesterzeitschrift iBusiness. Im Doppel-Interview erklären Seidensticker-CEO Silvia Bentzinger und Head of E-Commerce Gunter Neeb die Geheimnisse ihrer erfolgreichen CX-Strategie.
von Christian Gehl
Im Ganzen betrachtet, was machen Sie im Vergleich zur Konkurrenz besser?
Gunter Neeb: Wir haben schon eine gewisse Historie mit der Thematik, haben relativ früh mit CRM angefangen und konnten viele, viele Daten sammeln. Dadurch haben wir ein Mindset im Unternehmen aufgebaut, das immer von der Kundschaft ausgeht: Was wollen die KundInnen, was nützt ihnen, wie können wir es ihnen beim Online-Shopping noch leichter machen. Das wird richtig gelebt. Es geht hier also um eine Strategie und nicht um einzelne Features.
Wie hoch ist der Anteil des Online-Shops am Gesamtumsatz von Seidensticker?
Bentzinger: Mittlerweile liegt er bei einem Drittel des Gesamtumsatzes. Wir haben schon vor Corona stark in E-Commerce investiert, was sich als sehr dankbar für uns erwiesen hat, weil wir dann während der Pandemie ein sehr, sehr starkes Wachstum im Online-Shop verzeichnen konnten. Als alle stationären Geschäfte geschlossen waren, hatten wir dadurch die Chance, trotzdem Kontakt mit unseren KundInnen aufzunehmen. Da konnten wir nochmal Dynamik aufnehmen. Aber schön ist, dass wir auch jetzt wachsen - entgegen des Trends, der ja im E-Commerce eher rückläufig ist (der bevh berechnete für 2023 einen Umsatzrückgang von 11,8 Prozent in Deutschland, Anm. d. Red.). InternetkundInnen nehmen unseren Online-Shop also sehr gut an, was sicherlich auch daran liegt, dass die Marke Seidensticker
in den letzten Jahren an Attraktivität und Begehrlichkeit zugenommen hat. Vor Kurzem wurden wir auf dem Cover des Branchenmagazins "Textilwirtschaft" als Must-Have-Brand bezeichnet.
Dr. Silvia Bentzinger verantwortet als CEO die Marke Seidensticker und berichtet an die Inhaber Gerd-Oliver Seidensticker und Frank Seidensticker, die sich als geschäftsführende Gesellschafter auf die strategische Führung des Familienunternehmens konzentrieren. Bentzinger arbeitet seit 2008 für die Bielefelder Traditionsmarke, zuerst als Abteilungsleiterin Personal & Recht, dann übernahm sie als als Mitglied der Geschäftsführung die Verantwortung für die Bereiche Personal, Recht, PR und Kommunikation. 2004 promovierte sie als Juristin an der Universität Bielefeld.
Gunter Neeb leitet die E-Commerce-Abteilung von Seidensticker. Er bringt eine langjährige Erfahrung als CRM-Manager mit, stand in den 2010er Jahren an der Spitze der globalen CRM-Abteilung des Modehauses Esprit und führte vor dem Einstieg bei Seidensticker Anfang 2022 die vielfältigen Online-Marken der Bielefelder Triple A Internetstores GmbH als Head of Customer Relationship Management.
KundInnen können alle Seidensticker-Produkte direkt im Online-Shop bewerten, ein Feature, das im D2C-Bereich keine Selbstverständlichkeit ist. Wie wirken sich fehlende oder negative Bewertungen aus?
Neeb: Grundsätzlich sind wir selbstbewusst und glauben, dass wir das beste Hemd liefern. Aber wenn es mal einen negativen Kommentar gibt, dann nehmen wir das Feedback gerne auf. Wir arbeiten sehr eng mit unserer Produktentwicklung zusammen und versuchen das Produkt zu optimieren, wenn es sinnvoll ist. Im Grunde sind Bewertungen eine Art von Dialog, ein sehr wichtiger. Aber es gibt keinen Zusammenhang zwischen der Zahl oder dem Charakter von Kommentaren und dem Umsatz, den ein Produkt generiert.
Wie sprechen Sie KundInnen an, die den Online-Shop zwei Monate lang nicht mehr besucht haben?
Neeb: Über Meta, über E-Mail und über postalische Mailings. Briefkastenwerbung läuft für uns immer noch gut, das ist ein sehr wichtiger Kanal. Papier lebt. Wir machen Reaktivierungskampagnen in Print, gratulieren zum Geburtstag, versuchen möglichst viel in Kontakt mit unseren KundInnen zu sein - und dabei nutzen wir auch die Post.
Seidensticker hat den höchsten CX-Score in der deutschen Modebranche. Sind die Umsätze immer parallel zur Customer Experience gestiegen?
Bentzinger: Wir sehen eine kontinuierliche positive Entwicklung in unserem Online-Shop und gehen davon aus, dass dies mit unserer Arbeit dort zu tun hat.
Wollen Sie demnächst auch einen KI-Chatbot anbieten?
Neeb: Ja, definitiv. Allerdings lassen wir uns damit Zeit. Wir sind als mittelständisches Unternehmen nicht der First Mover in solchen Dingen, sondern versuchen Fast Follower zu sein, aber ich bin der Überzeugung, dass ein Chatbot im Customer Service so gut funktionieren muss, dass KundInnen immer begeistert und nie enttäuscht werden. Dafür bedarf es viel Arbeit, aber wir sind dabei, das aufzustellen, um unseren KundInnen die Möglichkeit zu geben, bei Rückfragen noch schneller eine Antwort zu bekommen. Schneller, komfortabler und besser, das ist unser Anspruch. Dafür schauen wir uns gerade die passenden Software-Anbieter an.
Gilt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz auch für Seidensticker? Seit Januar fallen darunter auch Unternehmen mit mehr als 1.000 MitarbeiterInnen.
Bentzinger: Nein, denn wir haben in Deutschland "nur" 400 MitarbeiterInnen, weltweit sind es 2.300. Trotzdem sind wir sehr transparent in unserer Kommunikation. Unsere Corporate-Responsibility-Abteilung hat ein Nachhaltigkeitslabel entwickelt, Together Responsible, über das wir kommunizieren, wo das Produkt hergestellt wird und wie die Lieferkette dahinter aussieht. Der Deutsche Marketingverband und die Fachzeitschrift Absatzwirtschaft hat uns 2021 die "Beste Nachhaltigkeitsstrategie" attestiert und uns dafür den renommierten Marken Award verliehen. Wir sind ein familiengeführtes Unternehmen, das heißt, die Inhaber haben auch ein sehr starkes Eigeninteresse daran, hier sauber aufgestellt zu sein. Wir haben eigene Produktionsstätten in Vietnam und Indonesien, wodurch wir die Lieferkette sehr gut steuern können, auch die Arbeitsbedingungen. Einer unserer Inhaber, Gerd-Oliver Seidensticker, ist verantwortlich für das Thema Produktion in Asien und fährt häufig selbst dahin. Im Moment ist er auch wieder vor Ort.
Haben Sie einen CX-Partner?
Bentzinger: Wir setzen sowohl auf interne ExpertInnen als auch auf externe. Das machen wir überall so, nicht nur im E-Commerce, sondern etwa auch im Design, im Marketing, im Vertrieb - wir holen uns immer auch externe Expertise ins Haus. Aber wir haben keine Leadagentur zum Thema Customer Experience.
Viele Unternehmen sichern sich Umsätze über Gratifikationen. Wie sehr setzen Sie auf Rabatte?
Neeb: Wir haben unseren Kundenclub, den Shirt Club, der zahlreiche Vorteile bietet, etwa eine Geburtstagsüberraschung, ein verlängertes Umtauschrecht oder eine kostenlose Monogrammbestickung. Natürlich geben wir hier und da auch mal einen Discount, zuletzt zum Beispiel im Sale. Aber wir sind davon überzeugt, dass die KundInnen zu uns kommen, weil sie das beste Hemd suchen und nicht das billigste. Deshalb haben wir jetzt die Hälfte unserer Rabattmaßnahmen aus dem Programm gestrichen. Und trotzdem sind wir im letzten Jahr sehr stark gewachsen.
Bentzinger: Unsere Zurückhaltung in Sachen Rabatte hat auch damit zu tun, dass wir die Marke wertiger erscheinen lassen wollen. Wir wollen vermitteln, dass wir andere Mehrwerte bieten als nur Discounts: Services, ein tolles Produkt, eine tolle Qualität. Da sehen wir deutlich mehr Mehrwerte, als immer nur über Prozente zu gehen.
An zahlreichen Seidensticker-Textilien - Hemden, Blusen, Kleider, Hosen - hängen Etiketts mit dem Aufdruck "Together Responsible": dem eigenen Nachhaltigkeitslabel des Unternehmens. Auf jeder Stufe der Lieferkette, vom Rohstoffanbau über die Gewebeherstellung und Konfektion bis zur Verpackung und dem Versand, erfüllen die Produkte alle Anforderungen von mindestens einem anerkannten Nachhaltigkeitszertifikat. Die Icons des Seidensticker-Labels versprechen InteressentInnen einen "nachhaltigen Rohstoffanbau", eine "umweltfreundliche Gewebeherstellung", "sozialverträgliche Produktion" und "klimaneutrale Verpackung & Versand". Frank und Gerd-Oliver Seidensticker, geschäftsführende Gesellschafter der Seidensticker Group, erklären: "Faire Arbeitsbedingungen und geringstmögliche Umweltauswirkungen sind wesentliche Bestandteile unseres unternehmerischen Handelns." Seidensticker verwendet daher keine konventionell hergestellte Baumwolle, dem wichtigsten Bestandteil seiner Produkte, sondern nur solche, die biologisch oder nachhaltig angebaut, recycelt wurde oder von einer Nachhaltigkeitsinitiative gefördert wird. An Webereien, Wäschereien und Färbereien stellt Seidensticker strenge Bedingungen hinsichtlich einer umweltfreundlichen Herstellung ihrer Gewebe. Seidensticker hat vier eigene Fabriken in Vietnam und Indonesien, produziert dazu in unabhängig auditierten Partnerbetrieben. Das Unternehmen liefert plastikfrei aus und will 2025 mehr als 80 Prozent seiner Produkte mit dem Label "Together Responsible" ausstatten - obwohl Seidensticker mit derzeit 400 inländischen MitarbeiterInnen gar nicht dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz unterliegt, das strenge menschenrechtliche und umweltbezogene Standards einfordert.
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