Um zu verstehen, wie wichtig eine gute Customer Experience ist, muss man eigentlich nur das eigene Einkaufsverhalten beobachten: Wer hätte nicht schon einmal den Obst- und Gemüsehändler, den Bäcker oder den Zeitschriftenhändler gewechselt, weil man sich woanders wohler gefühlt hat? Gerade wenn Leistung und Preis keinen nennenswerten Unterschied machen, ist das Kundenerlebnis - Neudeutsch die Customer Experience (CX) - oft der einzig ausschlaggebende Grund, dem einen oder anderen Händler, der einen oder anderen Marke, die Treue zu halten.
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Wie wesentlich eine gelungene CX für den Unternehmenserfolg ist, unterstreicht die Tatsache, welche Bedeutung sie selbst in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten wie diesen behält: Trotz Konjunkturkrise und allseits stark gestiegener Preise werden nach Vorhersage des CX-Unternehmens
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auch 2024 nicht die niedrigsten Preispunkte die Kaufentscheidung beeinflussen, sondern zuallererst die Erfahrungen, die die KundInnen mit dem Produkt sammeln. So gaben im gerade erst veröffentlichten "Bericht zu Verbrauchertrends" des Unternehmens 61 Prozent der befragten KonsumentInnen an, treibende Kraft für Kaufentscheidungen 2024 werde die Produkt-/Service-Qualität selbst sein. 47 Prozent machen ihre Entscheidung von einem guten Support im Kundendienst abhängig. Und lediglich 43 Prozent stellen den Preis in den Vordergrund.
Eine gute User Experience kann also durchaus entscheidend für den Geschäftserfolg sein. Das hat sich inzwischen herumgesprochen. Seit Jahren wird das Thema gefühlt auf jeder besseren Digital-, Handels- oder Marketing-Konferenz von mindestens einem Evangelisten gepriesen. Das sorgt für Aufmerksamkeit - und macht die Sache trotzdem nicht weniger dringlich. "Viele Unternehmen haben Customer Centricity heute schon in ihren Strategiepapieren. Das ist begrüßenswert", stellt Svenja Niemeyer, Xperience Management Strategist bei Qualtrics, fest. "Allerdings sehen wir zugleich, dass die Schere weiter auseinandergeht. Auf der einen Seite gibt es viele Unternehmen, die einen guten Job machen und die Kundenzentrierung weiter in den Vordergrund stellen. Auf der anderen Seite gibt es aber immer noch Firmen, die ganz am Anfang stehen."
Datenmanagement für KI-Systeme
Ein intelligentes Datenmanagement ist für KI unerlässlich, um effizient alle benötigten Funktionen für das Modell zu identifizieren, Daten entsprechend den Anforderungen des KI-Modells zu transformieren und aufzubereiten, Duplikate zu entfernen sowie verlässliche Stammdaten bereitzustellen", beschreibt Greg Hanson, Group Vice President & Head of Sales EMEA North beim IT-Dienstleister Informatica
, die Anforderungen an das Datenmanagement für KI-Systeme. Ebenso ist es wichtig, eine lückenlose Datenkette innerhalb des Modells und während des gesamten Betriebs sicherzustellen. KI wiederum spielt eine entscheidende Rolle bei der Skalierung von Datenmanagementpraktiken. "Angesichts der enormen Datenmengen, die für die digitale Transformation erforderlich sind, müssen Retailer ihre wichtigsten Daten und Metadaten identifizieren und katalogisieren, um deren Relevanz, Wert und Sicherheit zu bestätigen sowie Transparenz zu gewährleisten", erklärt Hanson weiter. Darüber hinaus müssen sie diese Daten bereinigen und kontrollieren. Wenn die Daten nicht gemäß den Governance-Richtlinien verarbeitet und nutzbar sowie vertrauenswürdig gemacht werden, liefern KI-Modelle unzuverlässige Erkenntnisse. Erfolg im Retail-Bereich hängt davon ab, ob die KundInnen auch wirklich verstanden werden. Daten sind der Dreh- und Angelpunkt, um dies zu erreichen. Bei der Entwicklung optimaler Kundenerlebnisse stützen sich Einzelhändler auf zuverlässige Daten und Künstliche Intelligenz, um sicherzustellen, dass ihre Strategien mit den sich entwickelnden Verhaltensweisen, Vorlieben und Bedürfnissen ihrer KundInnen übereinstimmen. "Daten sind damit nicht mehr nur ein Werkzeug - sie sind der Schlüssel zum Erfolg für Einzelhändler", weiß Hanson.
Alles ist Customer Experience
Wer in diesem Wettbewerb um die Kundengunst nicht zurückfallen will, muss am Ball bleiben. Am besten, indem das Thema professionell in den Mittelpunkt rückt. Egal, ob man das Kind nun User Experience (Benutzererlebnis) oder Customer Experience (Kundenerlebnis) nennt - letztlich ist das Gleiche gemeint. Allerdings: Zwei weitere Ebenen sollte man unterscheiden, gerade weil durch die nicht ganz trennscharfen englischen Begriffe die Grenzen in der Praxis gerne verschwimmen:
- Kunden- bzw. Benutzererlebnis: Damit ist die Summe aller Erfahrungen gemeint, die ein Kunde mit einer Marke, einem Händler oder einem Produkt sammelt. Dies ist der umfassendste Ansatz. Er beginnt mit dem ersten Kontakt zur Marke und ist mit der Kaufentscheidung noch lange nicht beendet, sondern umfasst beispielsweise auch Benutzung, Support, Garantie, Reparatur oder selbst Entsorgung oder Kündigung.
- Kauf- bzw. Benutzungserlebnis: Beides kann eine Produkterfahrung ganz maßgeblich beeinflussen - ist aber lediglich ein Teil der gesamten Erfahrung. Der Kauf kann beispielsweise durch eine aufwendige Produktpräsentation verbessert werden, das Benutzungserlebnis durch ein gelungenes Interface - trotzdem geht die gesamte Kundenerfahrung über beide Ereignisse hinaus.
Die Verwechslung entsteht, weil Software-Entwickler oft von "User Experience" sprechen, wenn sie die Benutzerführung oder das Interface-Design meinen. ECommerce-Verantwortliche wollen ebenfalls die "Customer Experience" verbessern, denken dabei aber lediglich an den Einkaufsprozess inklusive Checkout und Lieferung. Beide Aspekte sind wichtig, legitim und richtig - im Gesamtblick des Marketers aber eben nur ein Teil der gesamten Customer Experience. Für die Optimierung der CX ergeben sich daher ebenfalls zwei Ansätze: Das Verbessern der vorhandenen CX und das Hinzufügen von neuen und besonderen Erlebnissen.
Einfach alles besser machen - das kann doch so schwer nicht sein!
Zunächst ist es immer der richtige Ansatz, sich zunächst auf den Status Quo zu konzentrieren. "Listen - Understand - Act" lautet der Ansatz bei Qualtrics. Zuerst sollte man also den KundInnen zuhören, in einem zweiten Schritt die Schwächen der bestehenden Journey verstehen und sie drittens verbessern.
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Klingt einfach, erfordert aber schon zu Beginn ein starkes Unternehmens-Commitment. Denn: Wenn die Customer Experience das Gesamterlebnis der KundInnen darstellt, bedeutet das zugleich, dass die Verantwortung dafür kaum hoch genug angesiedelt werden kann. Schließlich entziehen sich einige - sogar ganz wesentliche! - Aspekte sonst dem Einfluss des CX-Managers. Beispielsweise das Produkt selbst. Und tatsächlich sind die Unternehmen am erfolgreichsten, die das Thema CX direkt in die Chefetage hieven, verrät Niemeyer im Interview.
In der Praxis gehen viele Organisationen aber nicht so weit. Das Thema CX wird eher im Marketing angesiedelt, was insofern sinnvoll ist, als es auch im Kundenerleben besonders heiße und wichtige Phasen gibt - beispielsweise Erstkontakt, Markenwahrnehmung und Produktdarstellung, Kauf, Benutzungserlebnis und schließlich der Support. Viele dieser Bereiche sind ganz in - oder zumindest sehr nahe bei - der Marketingabteilung angesiedelt.
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Die zweite Herausforderung besteht darin, dem Thema nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis eine zentrale Bedeutung zu geben. "Um eine nahtlose End-to-End Customer Experience (CX) zu gewährleisten, ist es unerlässlich, Daten über alle Touchpoints mit dem Kunden hinweg zu integrieren und dabei sowohl technologische als auch organisatorische Silos zu überwinden", sagt Kai Ebert, damals General Manager der Digitalagentur Valtech
, die sich inzwischen selbst als "Experience Innovation Company" beschreibt und sich ganz dem Thema Experience Management widmet.
Bereits die erste Stufe, das "Zuhören", kann nur gelingen, wenn alle notwendigen Informationen an zentraler Stelle zusammenlaufen. Das können Kundenbefragungen und Reviews sein, technische Kennzahlen wie Reparatur- oder Umtauschquoten, Beschwerde- und Wiederkaufhäufigkeit, sowie "weiche" Faktoren wie das Feedback aus Kundengesprächen, Social Media-Beiträgen oder Support-Dialogen. Optimalerweise lassen sich diese Daten mit betrieblichen Kennziffern wie Kundenumsatz, -treue und Kaufhistorie verknüpfen.
Je nach Unternehmensgröße und Produktkomplexität kann dieses "Enabling" ein kleines Software-Projekt ausmachen. Aber Ebert gibt auch Entwarnung: "Glücklicherweise ist dies heute nicht mehr zwangsläufig mit kostspieligen Big-Data-Projekten wie Data Lakes verbunden." Eine effiziente Alternative sei der Einsatz von Large Language Models (LLMs), wie sie auch von ChatGPT verwendet werden. "Wenn sie eng mit den Unternehmensdaten verknüpft sind und auf verschiedene Datensilos zugreifen, können sie kontextbezogene Erkenntnisse in Echtzeit liefern." Die Schlagkräftigkeit der Anwendung lässt sich so steigern, während zugleich der Aufwand reduziert wird. Lediglich grundlegende Prinzipien einer sauberen Datenhaltung müssen eingehalten werden (siehe Kasten: "Datenmanagemt für KI-Systeme").
Support: Wichtiger CX-Faktor unter ständigem Rechtfertigungszwang
Neben dem Produkt selbst - das natürlich immer die Hauptrolle spielen muss - nimmt der Support eine herausragende Stellung in der Bewertung der Kundenzufriedenheit ein. Aus zweierlei Gründen:
- Die MitarbeiterInnen dort wissen am besten, wo der Schuh drückt.
- Die Leistung des Supports prägt das Kundenerlebnis nachdrücklich.
"Wer eine herausragende Customer Experience bereitstellen möchte, muss sich zunächst einmal ansehen, was die Teams im direkten Kundenkontakt brauchen", rät Bruce Temkin, Head of Qualtrics XM Institute. "Bei der Interaktion mit dem Kundendienst sind starke Emotionen im Spiel. Entsprechend lange bleiben die Erfahrungen im Gedächtnis."
Die Schulung von MitarbeiterInnen im Kundendienst und Teams im direkten Kundenkontakt ist daher von zentraler Bedeutung. Trotzdem setzen nur 38 Prozent der CX-Fachkräfte hier ihren Schwerpunkt, weiß Temkin. Meist dürfte das weniger am CX-Manager, als am Top-Management liegen. Denn dort wird der Kundenservice allzu oft vor allem als lästiger Kostenfaktor gesehen - was bei oberflächlicher betriebswirtschaftlicher Betrachtung ja auch stimmt. Schließlich steuert die Abteilung keinerlei direkten Umsatz bei. Entsprechend groß kann der Druck werden, hier Kosten einzusparen. CX-Manager sind daher gut beraten, die Bedeutung des Kundendienstes für das Kundenerlebnis jederzeit gut belegen zu können - und natürlich auch deren Leistung im Blick zu haben. "Es ist wichtig, zu wissen, welches Verhalten der MitarbeiterInnen die Kundenzufriedenheit, die Ausgabebereitschaft und die Kundentreue am meisten beeinflusst. Anschließend müssen Sie messen, wie gut Ihr Personal diese Benchmarks erfüllt. Auf dieser Basis können Sie eine Roadmap zur Verbesserung der Qualität des Kundendienstes erstellen", rät Temkin.
Kostendruck ist zugleich das häufigste Motiv, wenn es darum geht, den Support zu digitalisieren. Ob FAQ, Telefoncomputer, Ticketsystem oder Chatbot - in der Regel werden alle dieses Systeme installiert, um bei (optimalerweise) gleichbleibender Qualität die Ausgaben zu reduzieren. Allerdings häufig mit bescheidenem Erfolg - zumindest was die Kundenzufriedenheit anbelangt. Qualtrics hat sich in seinem CX-Report "Verbrauchertrends 2023" angesehen, wie die Kundschaft über unterschiedliche Kanäle interagiert. Das Ziel war es, festzustellen, welche Teile der Customer Journey am besten funktionieren und wo Verbesserungsbedarf besteht. "Die Untersuchung ergab eine geringere Präferenz für Kanäle mit digitalen Kommunikationsmitteln", erklärt Becky Tasker, Qualtrics VP of Growth and Demand Generation. "Dies hängt zu einem großen Teil mit den Kundenerwartungen hinsichtlich dieser Interaktionen zusammen."
Ausgerechnet der digitale Kanal macht die meisten Probleme
Das zentrale Problem bei der digitalen Kommunikation ist das Support-Erlebnis. Wenn KundInnen nach dem Kauf online ein Problem lösen wollen, gibt es einen Bruch in der Customer Journey: Qualtrics konnte messen, dass die Kundenzufriedenheit um 22 Prozentpunkte gegenüber dem Moment des Einkaufs sinkt. Umgekehrt gilt: Die Wahrscheinlichkeit, dass KonsumentInnen nach einem positiven digitalen Support-Erlebnis zurückkehren, ist 2,7-mal höher als ohne.
Fazit der Studienautoren: Den KundInnen gefällt es, wie leicht und praktisch digitale Lösungen sind... bis sie auf Probleme stoßen. Was leider oft geschieht. Dann staut sich sehr schnell Frust auf. Schafft der digitale Kanal dagegen eine effektive und präzise Abhilfe, bevorzugen sie ihn sogar deutlich. Simpel gesprochen: Der Kanal als solcher ist nicht schlecht, nur hilft er meistens nichts.
Das soll sich nun ändern. KI-Chatbots sind auf dem Sprung, sich zu qualifizierten digitalen Agenten zu entwickeln und eine Schlüsselrolle im Kundenservice und der gesamten CX zu spielen. Wie das funktionieren kann, zeigt eindrucksvoll das Beispiel des nordrhein-westfälischen Fotolabors WhiteWall, das mit einem 10-köpfigen Support-Team monatlich rund 12.000 Kundenanfragen aus weltweit 50 Ländern beantwortet - in hoher Qualität, trotz komplexem und individualisiertem Produktportfolio. Das Erfolgsrezept: Auch wenn KundInnen immer noch mit menschlichen Mitarbeitenden kommunizieren, hilft hinter den Kulissen eine generative KI, Lösungen zu finden und auch gleich die passenden Antworten zu formulieren:
KI-Bots: Schneller, günstiger - und besser?
Besser erreichbar, allzeit freundlich bemüht und sachlich stets auf dem Laufenden - wären diese Eigenschaften gegeben, würden die meisten KundInnen wohl tatsächlich einen Computer im Support bevorzugen. Bis es so weit ist, werden sie zumindest nicht überrascht sein, wenn sie plötzlich einen Bot in der Leitung haben: Mehr als die Hälfte der Verbraucher erwartet, dass sie ihre Anliegen in Zukunft einer künstlichen Intelligenz erläutern müssen, hat der CX-Plattform-Anbieter Zendesk herausgefunden. Weshalb sie aber auch der Meinung sind, dass der Bot mindestens so schlau sein sollte wie ein hochqualifizierter menschlicher Mitarbeiter. Bislang ist das eher noch nicht der Fall. Schon aus diesem Grund bietet sich vorläufig eine hybride Lösung an, bei der eine KI die menschlichen MitarbeiterInnen lediglich unterstützt.
Matthias Göhler, CTO EMEA bei Zendesk, glaubt, dass sich dieser Ansatz nun sehr schnell und erfolgreich durchsetzen wird: "Wir haben festgestellt, dass 84 Prozent der IT-Führungskräfte dem Einsatz und der Optimierung von KI in ihren Unternehmen im Jahr 2022 eine deutlich höhere Priorität eingeräumt haben als zuvor", sagt er. Vorzeigeprojekte wie das Fotolabor WhiteWall bestätigen ihn: "Für unsere Kunden im Bereich CX liegt eine der größten Chancen im Einsatz von KI darin, einen Großteil repetitiver Tätigkeiten zu automatisieren. Servicemitarbeitende haben mehr Zeit, sich auf Kernaufgaben und strategische Themen zu fokussieren." Unterm Strich werden Unternehmen, die KI einsetzen, um ihren KundInnen ein umfassenderes und personalisierteres Erlebnis zu bieten, "langfristig mit höheren Kundenzufriedenheitswerten (CSAT) und einer stärkeren Kundenbindung belohnt", meint er.
Mit einer solchen Lösung ließen sich dann auch Messaging-Formate umsetzen, die für den Kunden nicht zwingend eine Echtzeit-Interaktion voraussetzen, wie sie in einem Live-Chat gefordert wird. "Per Messaging könnten Unterhaltungen dann beginnen und enden, wie es für den Kunden am bequemsten ist, ohne dass für die Servicemitarbeitenden der Kontext oder der bisherige Gesprächsverlauf verloren geht". erläutert Göhler.
Omnichannel-Journey: Vom Special Case zum Norm-Anwendungsfall
Und: Sollten zukünftige Kundengenerationen tatsächlich vermehrt soziale Medien zum Einkauf nutzen, ließen sich sogar die Verkaufs- und Supportplattformen zusammenführen - so wie es heute schon in einem Omnichannel-Verkaufskonzept die Regel sein könnte, wenn den VerkaufsmitarbeiterInnen im richtigen Moment die richtigen Informationen zur Verfügung stünden. Gerade im Kundengespräch vor Ort oder in der Hektik der höchsten Stoßzeit sind die MitarbeiterInnen dankbar, wenn durch eine künstliche Intelligenz alle wesentlichen Informationen präzise abgefragt und übersichtlich dargestellt sind. "Eine gute CX setzt immer auch eine gute Mitarbeiter-Experience voraus", sagt Qualtrics-Managerin Niemeyer.
Schon eine einfache Essensbestellung kann heute zu einem komplexen Prozess werden. Man denke nur an ein Fastfood-Restaurant, das die Bestellung per Smartphone-App, Selfservice-Terminal und klassischem Counter ermöglicht, jeweils zur Lieferung, zum Mitnehmen, am Drive-In oder zum Verzehr im Haus. Aus der vermeintlich einfachen Aufgabe "Essensbestellung" wird plötzlich eine kleine Herausforderung, das Timing der Zubereitung betreffend. "Wir haben unseren BesucherInnen den Zugang zu unserer Marke über immer mehr digitale Kanäle erleichtert. Inzwischen laufen bei uns mehr Fäden zusammen als je zuvor", erklärte KFC-COO Rob Swain kürzlich in einem Vortrag auf dem X4-Gipfel. "So einfach und praktisch der Zugriff für unsere Gäste auch ist - für die Angestellten im Restaurant werden die Abläufe dadurch mitunter ziemlich komplex." Ein intelligentes Ordersystem macht den Angestellten das Leben wieder leichter, senkt den Stresslevel auch zu Peak-Zeiten und hilft, Fehler zu vermeiden.
Mit KI die Customer Journey optimieren
Spätestens an dieser Stelle zeigt sich, dass eine CX-Verbesserung immer auch mit die Kauferfahrung optimiert und umgekehrt. "Insbesondere die tiefergehende Personalisierung und die weitere Verbesserung der Kundeninteraktion durch KI bieten ein enormes Potenzial für den weltweiten E-Commerce", erläutert Sönke Iwers, damals Digital Consultant bei
Diconium Digital Solutions
. Er meint damit beispielsweise die direkte Reaktion auf geschriebene oder gesprochene Wünsche und Anfragen in einer App oder Website.
Phasen der Customer Journey, in denen hohe Kaufabbruch-Quoten vorherrschen, können mithilfe von KI optimiert und mit mehr personalisierten Informationen oder Anwendungsfeldern erweitert werden. "Die intelligente Erstellung von Content, die intelligente Segmentierung von Zielgruppen und die intelligente Zuordnung von Content zur Zielgruppe ermöglichen dabei wertvolle Skaleneffekte", erklärt der CX-Experte. Klar: Plötzlich lassen sich hunderte und tausende Produktbeschreibungen für ein bestimmtes Klientel individualisieren. Genauso können Unternehmen mithilfe von KI im Suchmaschinenmarketing passgenau zur Intention der Suchanfrage reagieren und die Effektivität von Marketing und Angebot steigern. Auch in Richtung Nachhaltigkeit und Effizienz gibt es Vorteile für KundInnen und Händler: "Durch die KI-basierte Reduktion von Auswahlbestellungen und die damit verbundene Reduzierung von Retouren werden Retourenkosten und Umwelt gleichermaßen geschont", verspricht Iwers.
Den Händlern läuft dabei der Markt entgegen: Viele bestehende Shopping- oder Marketing-Plattformen bauen eigene KI-basierte Lösungen in ihre Produkte ein. So ermöglicht etwa der ECommerce-Anbieter Shopify bereits seit Mai die Verwendung automatisch generierter Produkttexte. Gerade für Unternehmen mit begrenzten Ressourcen bietet es sich an, verstärkt auf verfügbare KI-Tools von Systemanbietern zu setzen. Allerdings schränkt auch Iwers ein: "Die Nutzung von erweiterten KI-basierten Funktionalitäten ist abhängig von der Verfügbarkeit von Daten und dem daraus resultierenden Geschäftspotenzial." Sprich: Für den Unterbau an Daten müssen die Unternehmen selbst sorgen, der Plattformbetreiber stellt nur die Funktionalität zur Verfügung.
Problemfall Bewertungsmüdigkeit: Immer weniger Kunden-Feedback
Aber nicht nur die Datenstrategie, Kanalvielfalt, der Wettbewerb und die steigenden Kundenansprüche setzen Unternehmen unter Druck. Alarmierend ist vor allem ein weiterer Trend: Die KundInnen selbst helfen immer weniger bei der Gestaltung der Customer Journey mit. Das Feedback über die Kanäle, auf denen viele etablierte Programme zum Social Listening aufbauen, ist rückläufig.
Seit 2021 hat die Zahl des direkten Feedbacks an Unternehmen, bei denen KundInnen kaufen, um 7,2 Prozentpunkte abgenommen. Zwei Drittel aller Kunden geben jetzt kein direktes Feedback mehr, wenn sie eine schlechte Erfahrung gemacht haben. Grund dafür dürften einerseits wandelnde Gewohnheiten, andererseits eine gewisse Umfrage-Müdigkeit sein, weil inzwischen nach nahezu jedem Einkauf jemand dazu auffordert, eine Bewertung abzugeben.
Fakt ist: Unternehmen können sich nicht mehr auf Umfragen allein verlassen, sie liefern kein genaues Stimmungsbild mehr ab. Dadurch gewinnt Social Listening, das Auswerten von freien Äußerungen, an Bedeutung. Das müssen nicht zwangsläufig Beiträge aus sozialen Medien sein. Genauso fallen Auswertungen von Telefonaten, Mails und Kundengesprächen darunter. Gemeinsam ist den Daten jedoch, dass sie unstrukturiert sind und zunächst "maschinenverstehbar" aufbereitet werden müssen. Eine Schwierigkeit besteht darin, dass nicht nur die Sprache selbst verstanden werden muss, sondern die Bedeutung auch noch kontext- und stimmungsabhängig variieren kann. Ein "Na, super!" kann durchaus anerkennend gemeint sein, genauso gut kann es aber auch mit rollenden Augen gesprochen werden und das Gegenteil bedeuten. Andere Begriffe erhalten ihre Bedeutung erst im Kontext mit anderen Wörtern. "Braun" ist ein wertfreier Begriff, eine "braune Banane" dagegen nicht mehr frisch.
Durch KI haben Computer Inzwischen ein Sprachverständnis erreicht, mit dem sich auch solche Daten bei der CX-Messung berücksichtigen lassen - vorausgesetzt, sie sind im Unternehmen zugänglich. Wenn nicht, sind die Firmen gut beraten, daran zu arbeiten. Denn es ist absehbar, dass in Zukunft eher mehr als weniger Tools für ein erfolgreiches Social Listening erforderlich sein werden und die Bedeutung dieser Informationsquelle zunimmt.
Allerdings sollte sich auch kein Unternehmen alleine auf diesen Kanal verlassen. Letztlich brauchen Unternehmen am besten eine Kombination aus qualitativen, quantitativen, strukturierten und unstrukturierten Daten. Schon alleine deswegen, um die unstrukturierten Social Listening-Daten richtig gewichten zu können. Die Gretchen-Frage lautet: Für wieviele unzufriedene KundInnen steht der eine erboste Anrufer am Ende? Umfragedaten, aber auch Betriebsdaten wie der durchschnittliche Umsatz, die Besuchsfrequenz oder die durchschnittliche Zahl der KundInnen pro Feedback geben wertvolle Insights.
Künstliche Intelligenz wird zum Brandbeschleuniger im Wettbewerb
Schon jetzt zeigt sich, dass KI den Wettbewerbsdruck noch verschärfen wird. So geht bereits heute die Schere zwischen den Unternehmen auseinander, die das Kundenerlebnis ins Zentrum ihres Handelns stellen und denen, die weitermachen wie bisher. Sie wird sich wohl noch weiter öffnen, wenn ein Teil der Unternehmen KI nutzt, um noch bessere Kundenerlebnisse zu schaffen, während der andere Teil bei der Implementierung Probleme hat oder sogar komplett mit dem Einsatz von KI hadert. Unternehmen, die diese Kluft überbrücken können, sind in der Lage, ihre CX komplett umzugestalten, indem sie eine umfassende Personalisierung anbieten und die Servicequalität erhöhen - während sie gleichzeitig die Kosten senken. "Mit den jüngsten Fortschritten auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz stehen wir an der Schwelle zum bedeutendsten Wendepunkt, den wir im CX-Bereich bislang erlebt haben", sagt Adrian McDermott, Chief Technology Officer bei
Zendesk
. "Unternehmen müssen ihre Strukturen überdenken - das betrifft ihre Technologien, aber auch ihre Teams und die Art und Weise, wie sie Kundenservice anbieten." Progressive Unternehmen werden zu einer intelligenteren CX-Strategie übergehen und KI gezielt nutzen, um das Anfragevolumen zu verwalten, die Kosten zu senken, die Qualität zu erhöhen und letztendlich die Kundenzufriedenheit zu verbessern.