10.03.2023 - Social Commerce gilt seit Jahren als Hoffnungsträger und kommt doch nicht richtig in Fahrt. ECommerce-Experte Rene Otto erklärt im Gespräch mit ONEtoONE, woran es hakt und wie doch noch der Durchbruch gelingen kann.
von Das Interview führte Christina Rose
Die Prognosen für Umsätze mit Social Commerce (vgl. Social Commerce: Gucken, Klicken Kaufen
) überschlagen sich: Bis 2025 spricht Accenture von 1,2 und Statista sogar von 2,2 Billionen Dollar. Es soll also mächtig was in Bewegung kommen. Nur wo? China? USA? Wie schätzt Du das Potenzial für Deutschland ein?
Die unterschiedlichen Einschätzungen zwischen Statista und Accenture sind sicherlich in den unterschiedlichen Definitionen von Social Commerce begründet und da beginnt schon das Dilemma, wo der Umsatz herkommt. Differenziert man beim Social Commerce in Vertriebskanal und Bestellkanal, kommt man zu unterschiedlichen Reichweiten und Bedeutungen. Nimmt man beispielsweise die WhatsApp-Integration von Burberry, die direkt und persönlich ins Outlet nach Metzingen vernetzt, zum Social Commerce hinzu, ist es Social Commerce, obwohl es nur eine Art Bestellkanal darstellt. Zählt man aber die Store-Umsätze von
Burberry Metzingen, die chinesische Influencer direkt vor Ort via Live-Shopping generieren, die im Prinzip in Shanghai oder Peking gemacht werden, zählt der zweifelsfreie Social-Commerce-Umsatz aber wo, in China oder in Deutschland. Und ist Live-Shopping überhaupt Social Commerce? Ich maße mir kein Urteil an, weil es viel zu schwer greifbar ist.
Wie würdest Du den Stellenwert von Social Commerce im Marketingmix einordnen: Wie wichtig ist es?
Der Stellenwert aus unserer Merchandise-ECommerce-Händler-Sicht ist überschaubar - das mag überraschen, weil wir ja über sehr emotionale Produkte wie FC St. Pauli, Porsche, Red Bull oder Ferrari verfügen. Allerdings können wir auch sehr gut rechnen, und unsere KPI sprechen sowohl im kurzfristigen Ergebnis, als auch seit Jahren eine eindeutige Sprache. Social-Commerce-Kunden sind in der Akquise so teuer, dass sie es in ihrem CLV (Customer Lifetime Value) nur ganz schwer wieder kompensieren. Der Grund ist einfach - Social Commerce greift nur selten Impuls-Käufe ab, der Bedarf muss geweckt werden. Und das ist natürlich deutlich teurer als reine Bedarfsdeckung.
Du sagst, dass Social Commerce nur für emotionale Produkte funktioniert: Kannst Du das bitte erklären, auch in Abgrenzung zu anderen Produkten und Maßnahmen?
Mit Social verbinde ich "Interaktion" und "Dialog" - für ein pragmatisches Produkt des täglichen Bedarfs, wie Zahnpasta oder "blaue Jogginghose (ohne Marke)", lässt sich diese Interaktion inklusive der Bedarfsweckung nur schwer realisieren. Das Totenkopf-Shirt von St. Pauli oder ein Porsche-Hoodie ermöglichen hingegen einen Dialog, wenn man die Zielgruppe trifft.
Wie erfolgreich soziale Netzwerke als Shopping-Plattformen sind, hängt maßgeblich von der Handhabung ab. Und während in den USA und China der Checkout von Einkäufen über soziale Medien in der App abläuft, wird hierzulande noch von Facebook, Pinterest & Co. auf die jeweiligen Shops verlinkt. Der Komfort dabei ist meist eher mäßig. Welche Perspektive siehst Du hier für Social Shopping?
Ich glaube, dass gerade der chinesische Markt die Gunst der späten Geburt zu Nutze machen konnte, während in den USA und Europa bereits etablierte Märkte aus dem Desktop-Bereich vorherrschten. Gerade die Legacy der europäischen Grundmentalität, sich nicht zu schnell entwickeln zu wollen, steht dem Potentzial etwas im Wege. Ganz klar: Apps werden das Rennen machen, auch im Social Commerce und ich glaube, wenn Smartphones noch mehr als "personal" anstelle des "mobile" Device wahrgenommen werden, wird das Potenzial umso größer.
Viele Händler scheuen sich noch, den Kaufprozess ganz in die Hände von sozialen Netzwerken zu legen, weil sie dabei auch alle Kundendaten abgeben. Wie siehst Du dieses Dilemma?
Im Prinzip ist das eine ganz nüchterne Kalkulationsfrage. Wenn ich als Händler nicht mehr die Hoheit über die Adresse habe, sprich der Customer Livetime Value aus einem einzigen Kauf besteht, dann sollte dieser Kauf so profitabel sein, dass es sich rechnet beziehungsweise sogar Spaß macht. Wenn man allerdings 2022 als Basis nimmt, sieht man, dass alle Vertriebs- bzw. Reichweiten-Dienstleister wie Google, Amazon, aber auch die sozialen Netzwerke so zugelangt haben, was die freie Festelegung ihrer Provision angeht, dass vielen der Spaß vergangen ist, die Gewinne übrigens auch. Einzige Lösung: exklusive Produkte mit eigener Preishoheit und ein so gutes Geschäftsmodell, dass man die Chance auf einen der begehrten App-Plätze auf den Smartphones der KundInnen abstaubt. Die Chancen haben nur die wenigsten. In Summe: Für die meisten ist und bleibt es ein Dilemma.
Wie kann man soziale Netzwerke sonst für sich als HändlerIn nutzen - Stichwort: virtuelle Schaufenster, Storytelling?
Soziale Netzwerke müssen als Basis für Bedarfsweckung gesehen werden, den Rest machen ja eh die Marktplätze, um nicht Amazon direkt zu nennen. Die sozialen Netzwerke haben einfach die Reichweite aufgebaut, die früher nur über TV erreichbar war. Durch den technischen Fortschritt haben aber im Gegensatz zu den 80er und 90er Jahren heute auch Nischenanbieter die Chance, die (Teil-)Reichweiten zielgenau für sich nutzen zu können. Die in der Spitze 25 Mio. Zuschauer von "Wetten Dass…?" waren nur für Haribo oder Mercedes interessant. Die 152.000 Porsche-Neukunden aus 2022, die noch keine Softshell-Jacke von uns haben oder die 29.546 Fans des FC St. Pauli, die ins Millerntor-Stadion passen, finde ich als Nischen-Versender über Facebook oder Instagram auf jeden Fall einfacher zu erreichen als in den "alten Zeiten". Dafür nutzen wir natürlich unsere Präsenzen, sowohl in der direkten Kommunikation als auch im Brand Building, aber auch hier rechnen wir genau und machen nicht alles, sondern betrachten es eher rational.
Was empfiehlst Du Marken, die erste Schritte Richtung Social Commerce machen wollen?
Den Marken, die wir neben unserem eigenen Handelsgeschäft im E-Commerce betreuen, raten wir neben "Machen, machen, machen" immer zu drei Dingen: Strategie machen, Leistungs-Orientierung stärken und sowohl in der Planung als auch in der Ist-Analyse exakt rechnen.
Rene Otto ist Gründer und Geschäftsführer von RocknShop
.
Mischenrieder Weg 18
82234 Weßling
Tel.: +49 (0) 89-57 83 87-0
Fax: +49 (0) 89-57 83 87-99
E-Mail: info@onetoone.de
Web: www.hightext.de