05.03.2019 - In welcher Phase muss man Digitalisierung wie organisieren, damit sie effektiv voran geht? Extern über einen Dienstleister oder intern per Stabsstelle? Calida-CDO Stefan Mues kennt beide Seiten. Beim Wäsche-Händler will er Omnichannel anders organisieren als andere.
von Susanne C. Steiger
Seit gut einem Jahr digitalisieren Sie schon über Reich Online Services die gesamten Brands der Calida Group. Warum braucht Calida jetzt einen CDO? Die Calida Group hat Reich Online vor knapp zwei Jahren gekauft, um die Digitalisierung voranzutreiben. Absatzkanäle und Vertrieb verändern sich deutlich, weshalb man solche Prozesse nicht nur über einen externen Dienstleister umsetzen kann. Da das alle Unternehmensprozesse betrifft, braucht es nun jemanden für den übergreifenden Blick. Mein Titel hat sich geändert, de facto bin ich schon seit einem Jahr mit den Themen betraut. Nun helfe ich der ganzen Calida Group dabei, das Thema "aufzusaugen".
Was genau haben Sie denn nun mit der Calida Group vor? Wir haben zunächst im Fokus, die digitalen Vertriebskanäle weiter auszubauen, weil es da noch erhebliches Nachholpotenzial gibt. Der Umsatzanteil im E-Commerce lag 2016 bei 3,6 Prozent, verdoppelte sich 2017 nahezu auf 7,1 Prozent und stieg 2018 auf 10,2 Prozent. Das ist ein steiles Wachstum, aber 3,6 Prozent waren auch nicht "State of the Art". Da müssen wir deutlich mehr Gas geben. Ein Weg dorthin war die Übernahme von Reich Online, um ECommerce-Know-how ins Unternehmen zu holen, um es in allen unseren Divisionen und Marken zu nutzen und zu verteilen.
Aber auch zehn Prozent ECommerce-Umsatzanteil sind selbst im Wäschebereich noch nicht "State of the Art". Wir fangen jetzt erst richtig an. Unsere wichtigste Baustelle ist der E-Commerce. Es gilt den klassischen Onlineshop (Desktop und mobile) zu pushen und das aus Omnichannel-Perspektive. Die Agenda heißt also: ECommerce-Wachstum über Marktdurchschnitt. Das hat im ersten Halbjahr 2018 mit 60 Prozent Wachstum für die Group auch geklappt. Der Marktdurchschnitt liegt hier bei etwa 10 bis 11 Prozent.
Wie wollen Sie denn wachsen? Wir arbeiten an allen möglichen Ecken. Beispielsweise haben wir letztes Jahr den Calida. com-Shop neu gelauncht, weitere Shops sind in der Pipeline. Wir haben kleinere Optimierungen im Design und in der Funktion des Frontends vorgenommen und begonnen die entsprechenden technischen Kapazitäten aufzubauen. Denn beispielsweise ist die Bekanntheit des Black Fridays auch hierzulande inzwischen sehr hoch, deshalb müssen wir uns technisch weiter verstärken. Im Weihnachtsgeschäft 2018 und rund um den Black Friday sind wir an unsere Kapazitätsgrenzen gekommen. Wir gehen davon aus, dass wir 2019 nochmal einen kräftigen Ansturm bekommen werden, und dafür müssen wir uns rüsten.
Calida hat im Herbst eine Omnichannel- Offensive angekündigt mit Instore-Order via Tablet, Click & Collect und Beratungstisch. Die meisten Omnichannel-Bemühungen scheitern aber derzeit noch an Details. Was will Calida anders machen? Omnichannel ist richtig gedacht vom Kundenanspruch her, aber es scheitert immer noch an Kleinigkeiten, die alles andere als trivial sind. Die einzelnen Aspekte und damit verbundenen Projekte sind schwierig, was auch die Branchenkollegen merken. Man hat eben verschiedene Systeme, die miteinander kommunizieren müssen, wie Kassen- und ECommerce-Systeme, die völlig unterschiedlich gestrickt sind. Da gibt es schon einige technische Hürden. Wir haben vergangenes Jahr zwei digitale Flagshipstores in Hamburg und Bremen eröffnet, die zeigen, wohin die Reise geht: Wir wollen die Ware auf andere Art und Weise präsentieren und sinnliche Erfahrungen - Wahrnehmen, Spüren, Erleben, Riechen - verbinden.
Wie muss ich mir das konkret vorstellen? In Bremen und Hamburg kommt man in den Store, die Kasse ist kaum sichtbar. Man konzentriert sich auf die Warenpräsentation. Es herrscht eine schöne Atmosphäre. Bei Fragen geht der Kunde zum Verkäufer, wo er umfangreiches und fundiertes Warenwissen erwarten kann - schließlich ist er ja im Fachhandel. Wenn er noch spezielle Fragen hat, kann der Verkäufer das iPad hinzuziehen und Bestände einsehen oder gegebenenfalls die Bestellung abschließen. In Zukunft soll es auch keinen klassischen Kassenbereich mehr im Laden geben. Der Kunde kann den Kauf via iPad abschließen und sich die Ware nach Hause schicken lassen. Im Idealfall verlässt er das Geschäft in dem Gefühl, alles erledigt zu haben und nicht nochmal wiederkommen zu müssen.
Aber selbst wenn der Kunde online die Information bekommt, dass sein Wunschprodukt am POS verfügbar ist, heißt das noch nicht, dass er es auch bekommt. Was kann und soll Digitalisierung hier realistischerweise leisten? 2008/2009 habe ich schon für 300 Filialen (des Weltbild Verlags, Anm. d. Red.) Click & Collect mit eingeführt, habe also einige Erfahrungen. Das versuchen wir gerade zu antizipieren - sprich: zu wissen, dass in dem Moment, in dem man den Bestand abgerufen hat, der letzte Aktualisierungslauf in der Software mit den Beständen nicht gerade im vorhergehenden Moment passiert ist, sondern nur eine gewisse Anzahl pro Tag durchgeführt werden können. Wenn also Produkte vergriffen sind, muss man entweder die Kommunikation anpassen oder versuchen, das mit geschickten Vorhersagealgorithmen zu lösen. Unser oberstes Ziel ist, Kundenfrust zu vermeiden und Kundenerlebnisse zu schaffen.
Was würden Sie in der Filiale als erstes ändern wollen? Die Kollegen vom Retail haben beispielsweise die Kasse nahezu aus der Sichtbarkeit des Kunden herausgenommen, um den Kaufvorgang anders zu gestalten. Allerdings sind wir weit von Szenarien wie in Amazons Store in Seattle (Amazon Go), entfernt. Unsere Kundschaft ist nicht der 25-jährige technikaffine Mann, sondern eine ganz andere Zielgruppe, die man nicht mit Technik überfordern darf. Für die gestalten wir ein angenehmes Kauferlebnis auf andere Art, beispielsweise, indem wir zum Verkaufsdialog einen Zusatzservice bieten. Das wollen wir mit dem Beratungstisch im Laden. Wir legen viel Wert auf persönliche Beratung, während Amazon den Menschen aus dem Verkaufsprozess eliminiert. In unseren Filialen hängt also kein großer Screen, auf dem der Kunde - möglicherweise noch vor den Augen anderer Kunden - seine persönlichen Daten eingeben muss, um einen Artikel zu kaufen. Wir wollen den Verkaufsvorgang komplett dem persönlichen Dialog entsprechend abwickeln mit Unterstützung von Technik, wo sie sinnvoll ist.
Und wie sieht der Wholesale Ihre Offensive? Uns ist wichtig, dass wir den Wholesale unterstützen und die Wiederverkäufer (Karstadt, Wöhrl etc.) nicht vernachlässigen. Wir wollen sie europaweit bei ihren Online- Vertriebsbemühungen unterstützen, etwa durch optimale Produktdaten, speziellen Content oder gezielte andere Maßnahmen zur Steigerung der Sichtbarkeit, je nach Situation des Händlers.
Was ist Ihre Aufgabe dabei? Gehen Sie in die Filiale und schauen, wie der Verkaufsberater zurecht kommt? Es geht darum, die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Verkaufsbereichen, Retail und Wholesale mit E-Commerce zu koordinieren. Jeder hat unterschiedliche Anforderungen, die sich zum Teil nicht unbedingt leicht unter einen Hut bringen lassen. Ein Großteil meiner Arbeit besteht also darin, bestmögliche Wege für alle aufzuzeigen und diese mit dem Reich-Online-Team zu unterstützen. Das kann von Beratung bis hin zur Umsetzung in der IT gehen.
Welche Aufgaben haben Sie als CDO, die Sie vorher als Geschäftsführer der Unternehmenstochter nicht hatten? Wir betreiben in der Calida Group noch diverse Onlineshops, wie Aubade, Oxbow, Lafuma, Eider oder Millet. Hier stellt sich die Frage: Wo kann man Kompetenzen bündeln? Meine Aufgabe ist auch die Koordination dessen über alle Vertriebsdivisionen hinweg.
Das Interview erschien in Ausgabe 3/2019. Das Gespräch führte Christina Rose.
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