Permission Marketing -- Die neue Herausforderung

15.05.2000 - Der Kunde entwickelt sich zum "Master of Communication“

Und wieder steigt der Blutdruck bei Internet-Nutzer Harry D., Chef einer EDV-Unternehmensberatung in M. Beim Bearbeiten seiner elektronischen Post stellt er fest, dass unter seinen heutigen 125 Nachrichten über 65 unangeforderte Werbe-E-Mails zu finden sind. Mühsam arbeitet sich Harry D. durch die Informationsflut, um "gut" von "böse" zu unterscheiden - wobei aufgrund der heutigen Belastung von Harry D. alles "böse" ist, was wie Werbung aussieht. Mit dem Effekt, dass all dies ungelesen in den elektronischen Papierkorb wandert. Eine große Begeisterung zeigt er dabei nicht, schließlich kostet ihn die Bearbeitung der ungewollt zugeleiteten E-Mails wertvolle Arbeitszeit, die er gerne in wichtigere Aufgaben investieren würde. Und Harry D. steht hier nicht allein …

So wie Harry D. geht es heute vielen Internet-Nutzern in Deutschland, die aus den verschiedensten Quellen mit unangeforderten E-Mails bombardiert werden. Wer einmal an der falschen Stelle beim Internet-Surfen auf einen Ja-Button gedrückt hat, wer seine E-Mail-Adresse weitergegeben hat, weil er sich bei einem Anbieter in guten Händen vermutete, wird Tag für Tag eines Besseren belehrt. Spam, wie dieses Phänomen der Zuschüttung mit unangeforderten Werbe-E-Mails in den USA genannt wird, ist in aller Munde beziehungsweise in allen E-Briefkästen. Einen "Reklame - Nein Danke"-Aufkleber gibt es hierfür ja noch nicht; und als Direktmarketer haben wir daran ja auch kein Interesse.

Die USA wären allerdings nicht die USA, wenn auf ein solches Ärgernis nicht bereits bei vielen Internet-Start-ups ein entsprechendes Serviceangebot generiert worden wäre. Unternehmen wie YesMail.com oder individual.com bieten eine Dienstleistung, die genau an der Schnittstelle zwischen werbetreibendem Unternehmen und der E-Zielperson angesiedelt ist. Bei diesen Unternehmen können sich Internet-Nutzer mit ihrer E-Mail-Adresse und ihrem ganz spezifischen Informationsbedarf (zum Beispiel Reisen, Kfz-Kauf, Finanzierungsangebote) registrieren lassen. Das zwischengeschaltete Unternehmen, das die auf diesen Informationsangaben basierenden Opt-In-E-Mail-Listen generiert, bietet diese Adressen dann der werbetreibenden Wirtschaft an.

Allerdings wandert hier in keinem Fall die E-Mail-Adresse an das nutzende Unternehmen weiter, sondern verbleibt im Eigentum des Opt-In-E-Mail-Services, der wie ein Treuhänder agiert. So wird eine missbräuchliche Nutzung der E-Mail-Adresse vermieden und es liegt allein in den Händen des Kunden, ob er sich gegenüber dem werbetreibenden Unternehmen outet und in einen direkten Dialog einsteigt. Nur wenn der Kunde hier "Ja" sagt, kann das Unternehmen in direkten Kontakt zum Kunden treten - elektronisch oder auf dem bewährten Postweg. Was sich in den USA im E-Mail-Bereich ereignet hat, wird das Direktmarketing in Gänze umkrempeln. Über die Kundensouveränität haben wir alle bereits seit Jahren philosophiert; mit der Entstehung des Permission Marketing kommt sie zur ihrer Vollendung. Die im E-Bereich neu erlernte Mündigkeit wird sehr schnell auf die konventionellen Werbeformen abstrahlen. Permission Marketing, nach dem gleichnamigen Buch von Seth Godin, Yahoo, fokussiert dabei vier Fragen:

1. Lernen Sie aus Ihren Marketinganstrengungen, Ihre Zielpersonen immer wieder neu zu entdecken? Und zwar so, dass der Kunde bereit ist, von sich aus ständig in den Dialog zu Ihrem Unternehmen zu treten?

2. Haben Sie eine "Permission Database", in der nur Kunden geführt werden, die Ihnen erlaubt haben, einen Dialog mit Ihnen zu führen?

3. Worüber sprechen Sie mit Ihren Kunden außer über Ihre Produkte?

4. Fragen Sie Ihre Stammkunden regelmäßig, was Sie tun können, um den Dialog mit Ihrem Unternehmen zu verbessern?

Angesichts dieser Fragen werden sich alle werbetreibenden Unternehmen künftig mit einer zentralen Aufgabenstellung konfrontiert sehen: Wie erhalte ich vom Kunden die Erlaubnis, ihn mit Informationen versorgen zu dürfen? Denn es liegt allein beim Kunden, welchem Unternehmen er diese Zustimmung erteilt. Und der Kunde definiert dann, wann welche Art von Information über welches Medium an ihn übermittelt werden darf. Was hier passiert, stellt eine Revolution des bisherigen Marketing dar.

Bisher waren wir als kommunizierendes Unternehmen gewohnt, dass wir die Position des Dirigenten einnehmen, die Musik einstudieren, den Taktstock erheben und bestimmen, was, wann und für wen gespielt wird. Und das Ganze nannten wir Zielgruppen-Marketing - mit der Erwartung, dass möglichst viele Kunden interessiert lauschen. Diese Zeit geht ihrem Ende entgegen. Was sich jetzt abzeichnet, ist nichts anderes als ein kleiner Rollentausch. Auf einmal nimmt der Kunde den Taktstock in die Hand und fordert die Unternehmen auf, das, was er will, zu einem Zeitpunkt, den er bestimmt, über ein Medium, das er vorgibt, zu spielen. Und den Rhythmus des Ganzen kann er beliebig wechseln. Der Kunde entwickelt sich hier zum "Master of Communication". Er bestimmt, welches Informations- oder Angebotskonzert auf dem Spielplan steht … und die Unternehmen tun gut daran, ihre gesamten Prozesse auf diese neue Erwartungshaltung des Kunden auszurichten.

Dass Unternehmen von einer Ausrichtung der Kommunikationsprozesse auf die Anforderungen des Kunden noch weit entfernt sind, zeigt eine Studie, die die Deutsche Post Direkt in Zusammenarbeit mit ONEtoONE gerade abgeschlossen hat. So lange es sich 30 Prozent der per E-Mail angefragten Unternehmen immer noch leisten können, einfach mit Nicht-Reaktion der "Aufforderung zum Tanz" zu entsprechen, wird der Souverän Kunde schlicht ignoriert. Aber diese Unternehmen sind auf der Verliererstraße, denn immerhin 70 Prozent der Unternehmen reagieren.

Selbst wenn Unternehmen reagieren, dauert das häufig viel zu lange. Unternehmen nehmen sich selbst für die Bearbeitung von E-Mail-Anfragen immer noch im Durchschnitt fünf Tage Zeit. Durch ein Marketingfeuerwerk versuchen wir, den Kunden auf den Gipfel der Begeisterung zu bringen. Und dann lassen wir ihn häufig warten und warten und warten … Die Begeisterung sinkt, schlägt in Desinteresse um und erzeugt letzten Endes nur Verärgerung. Wenn wir dann überhaupt noch reagieren, hat der neue Souverän längst den Taktstock erneut in die Hand genommen, das Musikgenre, den Austragungsort und den Takt gewechselt und ganz andere Unternehmen zum Tanz aufgefordert. Im Internet wird heute Rock 'n' Roll getanzt; wer seine Company noch im Slowfox-Modus auf die Kundenanforderungen reagieren lässt, wird den Anforderungen des Marktes nicht gerecht. Denn diese Erwartungshaltung lässt sich heute ganz einfach beschreiben: "Ich", "alles", "sofort". Mehr will der Kunde gar nicht - aber auch nicht weniger.

Und was macht Harry D.? Er bearbeitet begeistert seine E-Mails, wobei er heute mit den Werbe-E-Mails begonnen hat. Denn sein E-Mail-ServiceProvider hat ihm heute drei Mails zugeleitet, die ihm noch fehlende Informationen für die Reiseplanung zur Verfügung stellen. Und bevor er seine geschäftlichen E-Mails bearbeitet, wird die so komplettierte Reise noch schnell über das Internet gebucht.

Harry D. ist begeistert und überlegt, ob er auch seine Business-Partner dazu bewegen kann, ihn nicht mehr mit Massen-E-Mails zu bombardieren, sondern ihn regelmäßig auf den Punkt zu informieren. Beim nächsten VIP-Event wird er die für ihn zuständige Key Accounterin einmal darauf ansprechen; denn auf die Beantwortung seiner entsprechenden E-Mail-Anfrage wartet er leider heute noch ...

Dr. Ralf T. Kreutzer ist Sprecher der Geschäftsführung der Deutschen Post Direkt in Bonn.
Holger Kuhfuß ist Geschäftsführender Gesellschafter der RBC DiaSys Consulting in München.

R.Kreutzer@deutschepost.de
holger.kuhfuss@rbc-gruppe.de

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