One-to-one-Marketing im Internet

20.05.1999 - Lange Jahre verrichtete das Internet seine Dienste im Stillen. Vor allem als Kommunikationsmedium und hauptsächlich im universitären Bereich. Erst 1993 bekam es mit dem World Wide Web (WWW) eine graphische Oberfläche und trat damit seinen kommerziellen Erfolgszug an.

Von Andreas Cohen

Zuerst sahen viele im WWW nur ein Medium wie Print, Radio oder Fernsehen. Inzwischen wissen wir, wo die eigentliche Stärke des weltweiten Netzes liegt: Es ist ein ideales Vertriebsmedium.Unabhängig von Standort und Ladenöffnungszeiten können die Kunden bequem von zu Hause oder vom Büro bestellen. Für den Anbieter lassen sich die Vertriebskosten auf einen Bruchteil dessen senken, was herkömmliche Vertriebsorganisationen verschlingen. Viele neue Ideen für eine intensivere und aufmerksamere Kundenbetreuung, die Kostendruck und Rationalisierungsmaßnahmen nicht zulassen, können mit geringem Aufwand virtuell umgesetzt werden. Doch ganz so einfach ist der Erfolg mit dem Internet nicht. Das digitale Zeitalter erfordert eine vollkommene Neudefinition des Geschäfts. Ein modernes Warenwirtschafts- und Bestellsystem oder die Reorganisation der Marketing- oder Vertriebsabteilung genügen nicht. Der Fehler, den die meisten Firmen begehen, wenn sie One-to-one-Beziehungen mit ihren Kunden eingehen wollen, ist, den Grad zu unterschätzen, in dem jede Facette des Unternehmens in den Prozeß mit einbezogen und in die Beziehung zum Kunden integriert sein muß, gerade wenn das Internet die wichtigste Vertriebsplattform werden soll.

In der Consumer Industry wird auf absehbare Zeit niemand mehr die Wahl haben, die Strategie in Richtung E-Commerce mit One-to-one-Marketing zu lenken und das gesamte Unternehmen am Kundenbedürfnis auszurichten. Schon heute haben Internet-Pioniere wie Amazon oder Dell beachtliche Marktanteile, und ihr Druck auf den Markt wächst, denn sie gehören zu den ersten, die die Regeln des digitalen Zeitalters erkannt und nach ihnen gehandelt haben:

In der vernetzten Welt erhalten die Kunden mehr Macht

Durch One-to-one-Marketing werden aus diesen Veränderungen Vorteile

One-to-One-Marketing zwingt zur Veränderung des gesamten Unternehmens und zu neuen Ansätzen

In der vernetzten Welt erhalten die Kunden mehr Macht

Wissen ist Macht.

Und Wissen ist der Wert, der beim Kunden in der vernetzten Welt sprunghaft ansteigt. Jeder besitzt jederzeit und von überall Zugriff auf alle Informationen. Der Konkurrent mit dem besseren Service, besseren Preis für das gleiche Produkt oder längerer Garantieleistung ist nicht mehr in einer anderen Stadt, in einem anderen Land oder schlecht zu finden, in irgendeinem Hinterhof. Er ist nur eine Internet-Adresse, nur einen Mausklick entfernt.

Mehr Informationen durch Vernetzung bedeutet auch mehr Transparenz der wirtschaftlichen Prozesse. Undurchsichtige, vielstufige Vertriebskanäle sind für den Kunden jetzt durchschaubar geworden. Er muß nicht mehr am Ende des Vertriebsweges kaufen, wo alle Margen mitbezahlt werden müssen. Er kann am Anfang ansetzen, wo die Margen am niedrigsten sind. Er kann mit demjenigen aus der Vertriebskette in Kontakt treten, der sich am besten um ihn kümmert.

Durch One-to-one-Marketing werden aus diesen Veränderungen Vorteile Den Anteil am Kunden auszubauen ist neben den klassischen Marketingzielen Kundengewinnung und Kundenbindung das zentrale One-to-one-Ziel.

Die Frage ist: Wie läßt sich der einzelne Kunde nicht nur binden, sondern auch sein Ausgabenpotential maximieren? Das bedeutet nicht, daß der Kunde mehr kaufen soll, als er will, oder etwas kauft, was er nicht braucht. Die Maximierung des Ausgabenpotentials bedeutet einerseits, alle Transaktionen innerhalb eines Warenbereichs auf sich zu ziehen, andererseits, auch dem Kunden Möglichkeiten aufzuzeigen, von denen er vielleicht noch gar nichts wußte. Ein weiterer Aspekt dabei ist die Lebensdauer der Kundenbeziehung. Ziel ist es, den Kunden ein Leben lang zu behalten. Der Schrittmacher der Kundenbeziehung ist der Dialog mit dem Kunden. Ein One-to-one-Dialog ist mehr, als bisher unter Dialogmarketing verstanden wurde. Dialog im Sinne von One-to-one heißt nicht, den Kunden von einem Produkt zu überzeugen, ihn dazu zu bringen, den Kauf zu tätigen. One-to-one erfordert eine echte Zweiseitigkeit des Dialogs. Er ist eine intensive Lernbeziehung für den Anbieter. Je weiter diese Lernbeziehung fortschreitet, je genauer der Anbieter die Bedürfnisse des einzelnen Kunden kennt und diese individuell adressieren kann, desto höher werden für den Kunden die Übertrittsbarrieren zu anderen Anbietern.

Um in diese Beziehung treten zu können, muß der Kunde natürlich zunächst auf die Internet-Präsenz des Anbieters aufmerksam werden und diese besuchen. Dazu ist Werbung notwendig. Doch Werbung im Internet ist nicht vergleichbar mit Werbung in traditionellen Medien. Genau hier liegt der Fehler, den viele Werbungtreibende im Internet machen. Sie lassen entscheidende Vorteile des neuen Mediums ungenutzt, indem sie nach Pageimpressions und Bekanntheit einzelner Sites schalten.

Erheblich mehr Effizienz bietet das sogenannte Targeting. Unter Targeting versteht man die zielgruppengerechte Plazierung der Werbebanner. Dadurch lassen sich vor allem Streuverluste minimieren. Der amerikanische Marktführer DoubleClick (www.doubleclick. com), der vor kurzem auch in Deutschland gestartet ist, bietet beispielsweise folgende Möglichkeiten: Mit DART (Dynamic Advertising Reporting and Targeting) können Zielgruppen nach psychographischen (über Keywords und Affinitätsgruppen), nach geographischen (länder- oder regionenspezifisch) oder auch nach technischen Kriterien (welches Betriebssystem oder welchen Browser nutzt der Surfer) etc. selektiert werden. Die Anzeigen werden nur den Nutzern zugespielt, die der Kriterienvorgabe des Werbekunden entsprechen.

Für den sinnvollen Einsatz von Targeting benötigt man allerdings eine kritische Masse von Usern. Diese bieten Werbenetzwerke. Werbenetzwerke sind der Zusammenschluß von mehreren Websites zur Vermarktung ihrer Anzeigenplätze. Werbung kann also in allen dem Netzwerk angeschlossenen Seiten geschaltet werden und überall nach den Targeting-Kriterien zugespielt werden. Zu den bekannten Werbenetzwerken in Deutschland gehören u.a. AdPepper, RealMedia, 1&1, EMS, AdMaster und DoubleClick.

Die kritische Masse an Nutzerzahlen und Traffic (Verkehr auf einer Website) kann aber auch durch sogenannte Portal-Sites erreicht werden. Portale sind universelle Zugangsseiten, die Internet-Nutzern einen kompletten Service mit News, Shopping-Channels und Online-Banking bieten. Der internationale Marktführer Yahoo! verzeichnet beispielsweise auf seiner deutschen Seite (www. yahoo.de) circa 85 Millionen Pageimpressions im Monat (Stand 3/99). Portals wie Yahoo! bieten für Online-Werbungtreibende noch weitere Vorteile. Über die sogenannte Key Word Search können die Anzeigenschaltungen mit eingegebenen Suchbegriffen verbunden werden. Das heißt, der Nutzer kann die Anzeige eines Reiseanbieters zugespielt bekommen, wenn er beispielsweise nach Teneriffa sucht. Gerade für E-Commerce-Anwendungen sind Portals prädestiniert. Die meisten haben mit ihren Merchant-Programmen ideale Angebote für Händler. Die Portals geben Empfehlungen für bestimmte Online-Shops und heben diese in ihrem Angebot heraus. Dafür erhalten sie im Gegenzug von den E-Commerce-Betreibern einen vereinbarten Prozentsatz des Umsatzes, der durch die Portal-Site generiert werden konnte.

One-to-one zwingt zur Veränderung des gesamten Unternehmens und zu neuen Ansätzen One-to-one-Marketing verlangt die Ausrichtung des gesamten Unternehmens nach den Kundenbedürfnissen, nicht nur einzelner Abteilungen. Deshalb sind auch die meisten jungen Firmen, die sich von Anfang an als One-to-one-Unternehmen etablierten, im Internet wesentlich erfolgreicher als ihre großen, traditionsreichen Konkurrenten. Und das, obwohl sie bei weitem nicht deren Synergiepotential und Marktstärke besitzen. Wir stehen vor einer grundlegenden Veränderung unserer Handelswege und Handelsbeziehungen. Bisher konnte über klassische Medien ein Image aufgebaut werden, das innerhalb der herkömmlichen Vertriebswege kommuniziert wurde. Die Beziehung zum Kunden bestand nur mittelbar und war einseitig. Sie hatte keinen hohen Stellenwert. Doch im Internet, der neuen Vertriebsplattform, ist die Beziehung zum Kunden der alles entscheidende Erfolgsfaktor.

Das teuer über die Medien aufgebaute Image vieler Markenhersteller ist nicht mehr viel wert, wenn andere Unternehmen die intensiv gepflegte Beziehung mit dem Kunden unterhalten. Hier muß natürlich zwischen Low- und High-Involvement-Produkten unterschieden werden. Bei hochpreisigen Produkten mit intensiven Kaufentscheidungen (High Involvement) wie beispielsweise Automobile werden klassische Markenartikel auch in Zukunft, allein schon wegen des Know-how, wertvoller Garant für Qualität sein. Bei Produkten des täglichen Bedarfs, die weniger intensive Kaufentscheidungen erfordern (Low Involvement), können Marken nur durch intensive Pflege der Kundenbeziehung und durch die Qualitätserfahrung überleben.

Image verliert im digitalen Zeitalter gegen Transaktions- und Dienstleistungserfahrung an Bedeutung. Es zählt nicht mehr so sehr, welches Image eine Marke hat, sondern wieweit sie auf die individuellen Bedürfnisse der Kunden eingeht und was sie dem einzelnen Kunden bietet. Die zweiseitige Beziehung zum Kunden ist das wichtigste Kapital eines Anbieters. Angelehnt an den Werbeslogan von Dell ("they don't build computers, they build relations") könnte der Leitsatz zu One-to-one im Internet lauten: Stellen Sie keine Produkte her, sondern Beziehungen!

Der One-to-one-Marketingexperte Andreas Cohen ist Managing Partner bei Cohen New Media Consulting in München.

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  • Bild: United Internet Media
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