Versandhandel: Märkte schrumpfen, Kosten steigen, Laufzeiten sinken

28.06.1999 - Uwe Drescher zu aktuellen Trends im Versandhandel

Der Mann dürfte eigentlich gar keine Zeit für Interviews haben. Schließlich ist Uwe H. Drescher nicht nur Chairman von Bozell Direct Friends in Hamburg und CEO des neu gegründeten Versandhauses MoBiTec mit Sitz in Florida, er ist auch Aufsichtsratsmitglied des Börsenneulings Beate Uhse AG, Bauherr, Geschäftsführer des Grömitzer Golfclubs und Berater amerikanischer Versandhäuser. Und er ist jemand, der jahrzehntelang Versandhandels-Know-how gesammelt hat. Anläßlich des Hamburger Versandhandelskongresses war Uwe Drescher in Deutschland. ONEtoONE fragte ihn nach aktuellen Trends im Versandhandel.

ONEtoONE: Feiner segmentierte Zielgruppen und individuell zugeschnittene Angebote sind derzeit beherrschende Trends in der Dialogmarketing-Branche - Trends, die an den großen deutschen Versandhäusern offenbar vorbeigehen. OTTO, Quelle, Neckermann & Co. versenden nach wie vor zweimal jährlich in Millionenauflage ihre dicken Hauptkataloge. Warum?

Uwe H. Drescher: Bisher haben die Versender noch keine Möglichkeiten gefunden, den eintausenddreihundert Seiten starken Katalog in alternative Angebotsformen umzuwandeln. Der Versandhandel in der tradierten Form arbeitet zweimal jährlich, also pro Saison, mit einem Basiskatalog. Da diese Versender als Vollsortimenter aktiv sind, ist dieses Basisangebot für sie Verkaufsfläche. Wenn man so eine Verkaufsfläche plötzlich nicht mehr präsentiert, weiß man ja nicht, was passiert. Also muß man sich erst mal Alternativen überlegen. Die Laufzeiten der Kataloge sind inzwischen nur noch in Wochenzeiten zu rechnen. Früher gab es einen Katalog und einen Schlußverkauf, und die Sache war geritzt. Zwischenzeitlich mußte man, um diesen Katalog zu aktivieren, eine sogenannte Anstoßkette entwickeln - mit Mailings, Zwischenkatalogen, Telefonaktionen, öffentlichen Medien usw. Großversender tun sich natürlich schwer, ihr Basisangebot für was auch immer zu opfern. Aber beim OTTO Versand oder auch bei Quelle oder Klingel wird derzeit überlegt, was man anstelle des Basiskataloges entwickeln kann. Da werden demnächst höchstwahrscheinlich sehr große Testbatterien abfahren, um zu testen, inwieweit der Hauptkatalog zugunsten von Alternativinstrumenten aufgegeben werden kann. Das ist eine schwere Entscheidung.

OtO: Es gibt ja schon eine große Zahl an Special-interest-Katalogen. Die Response- und Umsatzzahlen müßten doch zeigen, ob individueller zugeschnittene Angebote im Versandhandel funktionieren oder nicht.

Drescher: Nein. Mit allen Aktivitäten der Versender werden ja immer die großen Hauptkataloge aktiviert, und wenn man einen Rücklauf hat, der - sag´ ich mal - hunderttausend Bestellungen bringt, setzen sich diese hunderttausend Bestellungen ja auch aus Bestellwerten zusammen. Diese Bestellwerte kommen sowohl aus den Nachfaßaktionen als auch aus dem Hauptkatalog. Wenn man nun dieses Angebot aus dem Hauptkatalog nicht mehr hätte, würde ja die Rentabilität in den Keller gehen. Also braucht man den Hauptkatalog.

OtO: So ein Vollsortiment-Katalog geht im Durchschnitt an rund 12 Millionen Verbraucher, das birgt doch einen sehr großen Streuverlust.

Drescher: Ja, das ist ja das Dilemma. Die Versender sind einem hohen Kostendruck ausgesetzt: Die Werbekosten werden immer höher, die Laufzeiten der Kataloge immer geringer und die Aktivierungsmaßnahmen immer teurer - der Hauptkatalog ist mit Abstand das teuerste Werbemittel. Also muß man wohl oder übel Alternativen suchen und finden. Der erste Versender, der diese Alternative findet, wird derjenige sein, der vorankommt.

OtO: Die Versender verfügen doch alle über eine ausgezeichnete Database, die müßten doch genau wissen, wer wann was bestellt und dieses Wissen entsprechend nutzen können?

Drescher: Aber es ist ja nicht so, daß die aktuelle Bedarfssituation rein rechnerisch über Scoring-Systeme festzustellen ist. Auch das Autohaus weiß ja nicht, wann Sie sich ein neues Auto kaufen wollen.

OtO: Dafür gibt es doch Statistiken.

Drescher: Ja, aber Statistiken ergeben immer nur Mittelwerte, die nicht auf den einzelnen Kunden abgeleitet werden können. Es gibt sogenannte Kaufwahrscheinlichkeiten, aufgrund derer man sagen kann: Diese Zielgruppe ist in der Gesamtheit eher geneigt, ein Fernsehgerät oder eine Gartenschere oder ein Sonderangebot zu kaufen. Aber angesichts des Breitbandangebotes der Vollsortimenter ist es schwer zu sagen, wo welcher Bedarf besteht. Die Nachfaßaktionen aktivieren ja den Gesamtkatalog und nicht irgendeine spezifische Ware.

OtO: Demnach ist ein One-to-one-Marketing im Kataloggeschäft kaum zu realisieren?

Drescher: Das ist schwer. Derzeit wird nur so weit selektiert, daß man Zwischenkataloge entwickelt, die nicht an die 12 Millionen Kunden verschickt werden, sondern zum Beispiel an drei bis vier Millionen weibliche Zielpersonen, die in der Wahrscheinlichkeit Modeangebote akzeptieren. Das heißt, man reduziert in der Streuung der Nachfaßaktionen schon - und das macht man im Laufe der Saison zigmal.

OtO: Kundenprofile liegen den Versendern also durchaus vor?

Drescher: Ja. Es ist aber kein Geheimnis, daß das Letztkaufdatum immer noch alle anderen Daten und Kriterien schlägt. Aber das Letztkaufdatum sagt natürlich gar nichts über die Art des nächsten Kaufes aus. Es besagt höchstens, daß diese Leute wieder bestellen.

OtO: Was geschieht denn mit denen, die nur alle drei Jahre mal etwas bestellen? Drescher: Die hat man hoffentlich in der inaktiven Datei und versucht, sie über Reaktivierungsmaßnahmen zu erreichen.

OtO: Anderes Thema: Macht das Internet den Katalog überflüssig?

Drescher: Nein. Das Bestellverhalten wird sich sicherlich mit dem Internet gewaltig verändern. In absehbarer Zeit wird man Bestellungen nicht mehr über das Telefon und nicht mehr schriftlich oder per Fax abwickeln, sondern überwiegend über das Internet. Das ist die Konsequenz - dabei bleibt es aber auch. Ich glaube nicht, daß Frauen im Internet nachsehen, um sich über die neueste Mode zu informieren.

OtO: Wenn ich mir die Mode dort von allen Seiten angucken kann - warum nicht?

Drescher: Tun Sie das?

OtO: Sorry, ich gucke mir weder im Katalog noch im Internet Mode an, wenn ich Interesse hätte, würde ich das Internet als Medium aber auf jeden Fall vorziehen. Drescher: Das ist der Punkt: Über das Internet kann man sehr gut neue Zielgruppen erschließen. Aber der typische Versandhauskäufer ist heute so um die 45 Jahre alt und gehört bestimmt nicht zu der Generation, die sich mit Freude aufs Internet stürzt. In 20, 25 Jahren wird die Welt sicher ganz anders aussehen, aber Tageszeitungen und Kataloge wird es dann immer noch geben.

OtO: Welche Trends gibt es derzeit im deutschen Versandhandel?

Drescher: Zur Zeit gibt es keine Trends. Der deutsche Versandhandelsmarkt stagniert, die Märkte schrumpfen. Die Konzentration auf dem Markt wird mit der Fusion von Karstadt/Neckermann und Quelle abgeschlossen sein.

OtO: Wie beurteilen Sie die Fusion?

Drescher: Für die Wirtschaft gibt es keine Alternative, für den Verbraucher wird es kritisch. Wir kommen ganz klar in eine oligopolistische Marktsituation.

OtO: Die Konzentration auf dem deutschen Versandhandelsmarkt löst die Probleme der Branche, also stagnierende Umsätze, angestaubtes Image etc., ja auch nicht.

Drescher: Vor 30 Jahren wollten die Versender das moderne Versandhaus schaffen. Der Versandhandel sollte die absolute ultimative Einkaufsform der Zukunft werden. Aber in diesen 30 Jahren hat es noch keiner geschafft, den Versandhandel so attraktiv zu machen, so daß er über einen Marktanteil von fünf Prozent hinausgekommen wäre. Man hat ja auch noch keine neue moderne Form gefunden, das Einkaufen per Katalog zu einer lustvollen Sache zu machen. Es gibt eben nur einen gewissen Anteil an Postkäufern, aber vielleicht bricht das Internet das ja auf.

OtO: Ist die Führungsriege der großen deutschen Versandhäuser zu konservativ, um etwa zu verändern?

Drescher: Vielleicht liegt es am "alten" Management. Wissen Sie, wenn man ein gewisses Alter erreicht hat, fängt man an, Dinge zu bewahren, anstatt etwas visionär nach vorn zu entwickeln. Das soll keine Kritik an einzelnen Personen sein, es ist eine Frage des Lebensabschnittes. Und: Persönlichkeiten wie Gustav Schickedanz (Von der Quelle kaufen) oder Joseph Neckermann (Neckermann macht´s möglich) oder Dr. Michael Otto (Go global) hatten Visionen und die Kraft zur Umsetzung, die man heute bei den managementgeführten Unternehmen doch stark vermißt.

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