Mit der fehlenden Adaption haben nicht wenige Unternehmen möglichweise die beste Möglichkeit, um besser auf Risiken und Probleme in Liefer- und Wertschöpfungsketten reagieren zu können, schlichtweg verschlafen. Für einen Turnaround ist es aber noch nicht zu spät, wie eine neue Studie von IDC
zeigt:
- Gerade einmal 29 Prozent der befragten Industrieunternehmen setzen aktiv IIoT-Projekte um.
- Davon misst nur ein Drittel auch den Erfolg seiner IIoT-Projekte, lediglich ein Viertel hat umfassende Entscheidungsregeln entwickelt, um IIoT-Projekte zu steuern.
- Nur gut jedes zehnte Unternehmen hat bisher eine ganzheitliche Daten- und Analytics-Strategie definiert, die eine kritische Voraussetzung für eine ganzheitliche IIoT-Strategie und die gesamte industrielle Digitalisierung ist.
Um zu diesen Erkenntnissen zu kommen, hat IDC im Januar und Februar 2022 in Deutschland 250 industrielle und industrienahe Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitern zum Thema Industrial IoT befragt. Der Gesamteindruck der Studie ist eher ernüchternd, denn die Adaption von IIoT hat sich in den letzten Jahren verlangsamt und verharrt auf der Stelle. Natürlich hat sich auch das Thema IIoT inhaltlich weiterentwickelt und Industrieunternehmen mit ihrem wachsendem Wissen über IIoT werden selbstkritischer bei der Beurteilung ihrer eigenen Fortschritte. Nach wie vor stehen aber zu viele Unternehmen an der Seitenlinie, sie recherchieren (20 Prozent), evaluieren (30 Prozent) und planen (20 Prozent) zwar, sie kommen aber nicht ins Handeln und ihnen droht, deswegen abgehängt zu werden.
Deutsche Industrie im Krisenmodus - Stabilität und Resilienz stehen im Vordergrund
Dass sich die IIoT-Adaption in den letzten zwei Jahren verlangsamt hat, liegt natürlich auch an der wirtschaftliche Gesamtsituation. Gestörten Lieferketten, hohe Frachtkosten, steigende Energiekosten und nun noch der Ukrainekrieg haben die deutsche Industrie in Alarmbereitschaft versetzt und Budgets für strategische Maßnahmen belastet. Kein Wunder also, dass betriebswirtschaftliche Kennzahlen wie Gewinn und Kosten (40 Prozent), Produktivität (38 Prozent) und Kundenbindung (29 Prozent) für die Business-Seite im Vordergrund stehen, während die operative Seite sich auf Kontinuität in der Produktion (29 Prozent), die Senkung von Energie- und Ressourcenkosten (28 Prozent) und die Verringerung von Ausschussraten konzentriert (26 Prozent). Umso ärgerlicher, dass deutsche Industrieunternehmen nicht in den letzten Jahren und schon vor den aktuellen Komplikationen die notwendigen Vorbereitungen getroffen und sich zum Vorreiter für IIoT und damit auch für die digitale Transformation in der Industrie gemacht haben, um flexibler auf Krisen reagieren zu können. Denn IIoT und eine datenzentrierte Unternehmenskultur bieten potenziell den optimalen Werkzeugkasten, um Unsicherheiten und kurzfristigen Veränderungen möglichst effektiv zu begegnen und mit neuen datenbasierten Produkten, Services und Geschäftsmodellen auf diese zu reagieren.
Mangelnde Kontrolle
Ein großes Problem vieler Unternehmen, das die erfolgreiche IIoT-Adaption hemmt, ist die mangelnde Kontrolle über die IIoT-Umsetzung. Von den Unternehmen, die bereits IIoT-Projekte umgesetzt haben oder IIoT-Pilotprojekte durchführen, erfasst lediglich ein Drittel regelmäßig geeignete Metriken zur Erfolgsmessung, 22 Prozent prüfen erste Metriken auf Eignung. Nur ein Bruchteil kann also aktuell überhaupt feststellen, ob die IIoT-Projekte auch die gewünschten Ziele erreichen - falls überhaupt entsprechend klare Ziele gesetzt wurden. Ähnlich sieht es auch bei der Projektsteuerung aus, also welche Projekte intensiviert, angepasst, optimiert oder eingestellt werden sollten. Nur 24 Prozent der befragten Industrieunternehmen haben dafür umfassende, objektive Entscheidungsregeln eingeführt, weitere 28 Prozent zumindest erste Prozesse und Entscheidungsregeln. "Bei der Erfolgsmessung und Projektbesteuerung besteht deutliches Nachholpotenzial, damit wertvolle IIoT-Budgets nicht versanden und gescheiterte IIoT-Projekte neue Maßnahmen wegen schlechter Erfahrungen nicht verhindern" sagt Marco Becker, Senior Consultant bei IDC und Studienleiter.
Ganzheitliche Daten- und Analytics-Strategie nur in gut jedem zehnten Industrieunternehmen
Lediglich 13 Prozent der befragten Industrieunternehmen haben eine definierte und ganzheitliche Daten- und Analytics-Strategie für IIoT, die sämtliche Projekte und Daten integriert. Diese ist allerdings eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg von IIoT und der übergreifenden digitalen Transformation in der Industrie, für die IIoT ein zentraler Baustein ist: Erst wenn Daten aus der OT und dem Business in einer holistischen Plattform verlässlich aggregiert sind und je nach Anforderungen des IIoT-Anwendungsszenarios zur richtigen Zeit am richtigen Ort verarbeitet werden können, kann eine stimmige IIoT-Strategie definiert und erfolgreich umgesetzt werden. 58 Prozent haben aber ihre Daten- und Analyseziele zumindest auf ihre kurzfristigen Business-Ziele abgestimmt und bereiten Daten zur erneuten Verwendung auf. Das ist immerhin eine gute Basis, auf der Unternehmen für eine ganzheitliche Datenplattform aufbauen können.
Die strategischen Defizite spiegeln sich auch in den größten Herausforderungen in Bezug auf Analytics, AI und ML wie hohen Kosten und mangelnden Budgets (30 Prozent), Sicherheit und Compliance (24 Prozent) sowie fehlender Integrationsfähigkeit von Datenquellen und dem Datenwachstum (jeweils 20 Prozent) wider. Eine saubere Datenstrategie und daraus abgeleitete technologische Maßnahmen könnten jedes dieser Probleme deutlich verringern. Die Defizite sind auch ein Grund, warum unter den 37 Prozent der befragten Unternehmen, die bereits KI/ML für ihre IIoT-Projekte nutzen, nur jedes Dritte dies auch umfangreich und im Einklang mit seinen Geschäftszielen macht. Moderne Anwendungen wie Digital Twins werden am seltensten umgesetzt. Diese virtuellen Abbilder realer Produkte und Prozesse haben zwar großes Potenzial in industriellen Anwendungsszenarien, sind allerdings auch besonders abhängig von ganzheitlichen und verlässlichen Daten.
Mangelnde IT/OT-Integration von Teams und Security hemmen die Umsetzung
Die IT/OT-Integration ist weiterhin ein schwieriges Thema, obwohl sie kritisch für IIoT ist. Der Anteil der Unternehmen mit optimaler Zusammenarbeit zwischen IT und OT soll künftig immerhin von rund 17 auf 33 Prozent steigen und der Anteil an Unternehmen, in denen IT und OT komplett getrennt sind, von 28 Prozent auf 5 Prozent deutlich sinken. Dazwischen stehen aber weiterhin viele Unternehmen mit nur informellen Austausch oder in denen die IT viel der Verantwortung übernehmen muss. In 52 Prozent der befragten Unternehmen trägt beispielsweise momentan noch die IT die Verantwortung für die Absicherung von IIoT- und OT-Umgebungen. Im Zuge dessen werden auch häufig klassische IT-Security-Ansätze und -Lösungen wie VPNs und Firewalls für die IIoT-Absicherung genutzt werden - also zweckentfremdete IT-Lösungen, die nicht für OT oder IIoT optimiert sind und damit ein Sicherheitsrisiko darstellen können.
Die häufigste Sorge beim Thema Cybersecurity für 28 Prozent der Befragten ist zudem die mangelnde Kommunikation zwischen IT und OT über gemeinsame Gefahren. "Umso wichtiger ist es, dass auch wirklich umgesetzt wird, was viele Unternehmen aktuell planen: die Verantwortung stärker auf IT und OT zu verteilen bzw. beiden die gemeinsame Verantwortung für die gesamte IT/OT-Umgebung zu übertragen, damit Fachwissen beider Seiten in die ganzheitliche Absicherung der Umgebungen fließt", kommentiert Becker. In 42 Prozent der Unternehmen laufen aktuell entsprechende Initiativen für die IT/OT-Integration, in weiteren 20 Prozent sind sie geplant. Die bereits abgeschlossenen Aktivitäten zeigen aber, dass diese nicht banal sind und gut moderiert werden müssen, denn die Initiativen scheitern mindestens genauso oft (16 Prozent) wie sie erfolgreich verlaufen (10 Prozent). Herausforderungen und Hindernisse bei der Integration sind für 29 Prozent mangelndes Fachwissen und Ressourcen für die Durchführung der Initiativen, für jeweils 28 Prozent technologische Probleme und Sicherheitsbedenken und für 27 Prozent die organisatorische Komplexität.
Bereits 75 Prozent sind Teil von Industry Ecosystems - Zusammenarbeit aber nur oberflächlich
Erfreulich ist die positive Grundstimmung der Befragten bezüglich Industry Ecosystems. Drei Viertel der Befragten geben an, bereits Teil solcher Zusammenschlüsse aus Industrieunternehmen und zunehmend auch zwischen Unternehmen verschiedener Branchen zu sein, beispielsweise aus Industrieunternehmen und dem Gesundheits- oder Versicherungswesen. Die Ziele der Teilnahme in Industry Ecosystems sind dabei für 31 Prozent schnellere Innovationen, für 29 Prozent neue Umsatzpotenziale zu erschließen und für 26 Prozent die Sicherheit und Qualität der eigenen Produkte zu fördern. Die Bedeutung von Industry Ecosystems für die Zukunft ist enorm: IDC geht davon aus, dass bereits 2026 fast ein Drittel aller Umsätze der größten Unternehmen weltweit, den G2000, aus gemeinsam genutzten Daten, Anwendungen und operativen Initiativen innerhalb solcher Industry Ecosystems stammen.
Der Umfang der Zusammenarbeit in den befragten Industrieunternehmen ist allerdings noch verbesserungswürdig: nur in gut einem Viertel der Fälle ist er umfassend und zielt auf neue Business-Chancen ab. Für erfolgreiche datenbasierte Zusammenarbeit in Industry Ecosystems sind ein einwandfreies Datenmanagement, der Schutz von geistigem Eigentum und damit die Kontrolle über Daten und Datenzugriffe notwendig. Und hier schließt sich der Kreis, denn genau das kann die häufig fehlende ganzheitliche Datenplattform auf Basis der Daten- und Analytics-Strategie leisten und auch dabei unterstützen, neue Geschäftsmodell und eine faire Monetarisierung zu ermöglichen, die für jedes vierte befragte Unternehmen eine Herausforderung für die Teilnahme an Industry Ecosystems ist.
Fazit: Industry Ecosystems sind die Zukunft - aber sind deutsche Industrieunternehmen dabei?
Insgesamt zeigt die Studie, dass die Adaption von IIoT Licht- und Schattenseiten aufweist. Das Feld spaltet sich auf in einige wenige starke Vorreiter mit fortschrittlicher und strategischer Adaption, Organisation und Integration und viele Nachzügler auf der anderen Seite, die weiterhin sehr isolierte Initiativen durchführen oder nur beobachten und evaluieren, ohne das Thema richtig anzugehen. Die fehlende Aufbruchstimmung zeigt sich auch in den genutzten IIoT-Anwendungsszenarien, die stärker auf die Optimierung des Status quo fokussiert sind als auf die Transformation und notwendigenfalls auch Disruption von traditionellen Prozessen und Geschäftsmodellen. Der globale Wettbewerb schläft aber nicht und deutschen Industrieunternehmen droht, nicht nur bei der Massenfertigung ausgestochen zu werden, sondern auch bei Produkten und Dienstleistungen, die sich durch Innovationskraft und Ingenieurskunst auszeichnen.
Bei der Transformation des Mobilitätssektors musste das industrielle Deutschland schon die Verfolgerrolle im globalen Wettbewerb einnehmen. Die Adaption von IIoT ist ein wichtiger, existenzieller Meilenstein, um in der Industrie nachhaltig relevant zu bleiben, datenbasierte Geschäftsmodelle zu verfolgen und in Zukunft agile und resiliente Wertschöpfung in Industry Ecosystems zu betreiben. Eine grundsätzliche Basis für erfolgreiches IIoT ist in der deutschen Industrie durchaus zu erkennen, diese muss jetzt aber dringend ausgebaut, professionalisiert und mit ganzheitlicher Digitalisierung und Datenstrategien begleitet werden. Die industrielle Transformation ist bereits voll im Gange und die deutsche Industrie muss jetzt aufwachen, wenn sie auch in Zukunft ein Teil lukrativer Wertschöpfungsmodelle bleiben will, schlussfolgern die Studienautoren.