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Glosse

Aus dem Tagebuch eines Agenturchefs (8): Der Agenturkauf - Teil 1: Wachsen oder weichen?

18.04.2024 - Wir blättern im Tagebuch von Andreas Haupt, Gründer, CEO und Zulangeschon-Chef der Agentur HAUPTGEWINN, der nach eigenen Angaben coolsten Agentur südlich des Polarkreises, der lernen muss, wie Wachstum funktioniert.

von Christian Faltin


Mitte Februar
Stillstand ist KEINE Option! Darüber sind wir uns einig. Maria, meine Co-Geschäftsführerin und -Gesellschafterin und ich. Nur leider hat unsere Agentur HAUPTGEWINN in den vergangenen zwei Jahren eher ein inflationsbereinigtes Null-Wachstum hingelegt. Die Zeiten, in denen unser Umsatz jährlich zweistellig nach oben kletterte, sind etwas länger passé. Im Augenblick stecken wir bei 28 Mitarbeitenden und knapp 3 Mio. Umsatz fest. Für größere Konzerne und Kunden sind wir zu klein, für den Mittelstand fast schon zu groß. Reinhard Sprenger, mein persönliches Vorbild in Führungsfragen, hat für so eine Lage mal das Adjektiv "dilemmatisch" erfunden.

Klar ist: Es MUSS was passieren. Schließlich sind Maria und ich Unternehmer und keine Unterlasser. Aber was? Deswegen haben wir uns vergangene Woche ein zweitägiges Offsite auf einem Wellness-Landgut gegönnt. Mit Bernd, unserem Berater, Coach und Mentor. Bernd war selbst mal CEO einer Großagentur. Er ist 63, mit allen Wassern gewaschen und logiert privat den Großteil des Jahres an der Côte d'Azur, wenn er nicht gerade Agenturen berät oder filetiert. Und seine beinharte Analyse unserer Lage war eher ernüchternd: "Eure Kunden kürzen die Etats, die Projekt-Laufzeiten und die Verweildauer der Mitarbeitenden wird auch immer kürzer. Das Einzige, was länger wird, ist euer Gesicht, wenn ihr in der BWA seht, was am Ende des Jahres noch übrigbleibt."

Das war die Kurzform. In der Langversion klang das eher noch deprimierender. "Und jetzt? Was ist Dein Vorschlag?", habe ich ihn gefragt. Bernd meint: "Entscheidet Euch. Entweder ihr wachst oder ihr verkleinert Euch. Und positioniert Euch dann deutlich spitzer. Wenn ihr mich fragt - und das werdet ihr sicher gleich tun -, die Chancen zu wachsen, waren noch nie so gut wie jetzt."

Maria grätscht dazwischen: "Bernd, du willst uns verarschen, oder? Was glaubst Du, was versuchen wir hier die ganze Zeit? Wir reißen uns auf der Suche nach neuen Kunden den Allerwertesten auf. Mein New Business-Motor rotiert auf 5.000 Touren und trotzdem kommt viel zu wenig ums Eck. So ganz gelegentlich wirfst Du von der Côte schon mal einen Blick aufs deutsche Konjunkturklima, oder?"

Maria schäumt, aber Bernd bleibt souverän: "Maria, cool down. Alles eine Frage der Perspektive. Gerade an der Côte. Ich sitze zum Beispiel gerade im Les Graniers in St. Tropez bei einem Hugo und schaue auf die Plage. Es geht nicht um New Business via Akquise. Wir reden über einen Agenturkauf. Angebote gibt es aktuell wie Sand am Meer. Eine ganze Generation von Boomer-Agenturgründern hat keinen Bock mehr auf die operative Arbeit an der Kundenfront, aber leider leider bis dato auch keine Nachfolgeregelung gefunden. Weil die nachrückenden Generationen keine Lust mehr haben, ihren Vorturnern absurde Kaufpreise für bröckelnde Agenturruinen zu bezahlen.

Und über Chefs motzen, ist wesentlich bequemer, als selbst eine/r zu sein. Ich weiß das. Wir suchen für fünf meiner Kunden seit anderthalb Jahren vergeblich eine Nachfolge. In einer Branche, in der Jede/r selbständig sein kann, der Laptop, Telefon und ein paar Saas-Plattform-Abos finanziert, ist der Verkauf bzw. die Übergabe kleinerer und mittlerer Agenturen ungefähr so schwierig wie Friedensverhandlungen zwischen Moskau und Kiew. Warum wollt ihr Euch nicht eine dieser Agenturen dazu kaufen und in euer Portfolio integrieren?"


Puh, das müssen wir erst mal sacken lassen.


28. Februar
Maria und ich sind nochmal in uns gegangen. Nicht zu weit, aber weit genug, um eine Entscheidung zu treffen. Wir wollen angreifen. Lieber wachsen als weichen: No risk, no fun. Ist auch meine persönliche Devise. Maria meint: "No pain, no gain. Hoffentlich wird's nicht zu viel pain in the ass."

Hilft ja nix. Kommende Woche treffen wir uns auf Vermittlung von Bernd mit Anita. Sie ist Gründerin und Chefin der Agentur CONTENTHEROES. Einer 8-Frau-Butze in unserer Stadt, die sich auf PR und Content Marketing für Lifestyle und Consumer Produkte spezialisiert hat. Anita ist Ende 50, hat - laut Bernd - nach 30 Jahren operativem Frontkampf keinen Bock mehr auf den täglichen Wahnsinn. Und, wenn wir - Stichwort Kaufpreis - Glück haben, schlottern ihr auch ein bisschen die Knie wegen dieser ominösen KI, die so etwas wie der Voldemort für Content-Agenturen sein soll. Bernd meinte auch, dass das operative Ergebnis der CONTENTHEROES aktuell eher weniger heldenhaft aussieht.


6. März
Wir haben uns zum gegenseitigen Beschnuppern zum Lunch verabredet. Maria, Anita und ich. Ruhige Ecke bei unserem Stamm-Italiener. Anita macht einen sympathischen Eindruck. Gepflegte Erscheinung und sie hat sich gut gehalten für ihr Alter. Ich wäre froh, wenn ich in 10 Jahren noch so gut in Schuss wäre.

Wir plänkeln zum Einstieg ein bisschen im Privaten rum. Anita ist kinderlos (wie Maria und ich), geschieden (wie ich) und lebt mit Lebensgefährten und Hund (Cocker Spaniel) im Outback. Nach drei Jahrzehnten Knochenmühle in der Selbständigkeit schwebt über ihr die Sinnfrage: "Warum noch? Und wie lange?" Ansonsten ist in ihrer Agentur alles (fast) wie bei uns: "Kunden wollen weniger zahlen, aber die Ansprüche werden immer höher. Retainer gibt es immer seltener und die Schere zwischen den Gehaltswünschen der Mitarbeiterinnen und den Budgets der Kunden öffnet sich kontinuierlich weiter." Anita ist halbwegs ehrlich. Das imponiert uns. Ich habe eher erwartet, dass Sie uns von ihren großartigen Kunden und ihrem hochbegabten Team vorschwärmt. Das hätten wir gemacht.

Wir erzählen ihr die Erfolgsstory von HAUPTGEWINN und unsere Motivation, warum wir zukaufen wollen. Bei Content und PR sind wir relativ schwach auf der Brust, da könnten wir gut ausbauen. Voraussetzung: die persönliche Chemie passt, das Team harmoniert halbwegs und nicht zuletzt: Der Preis muss stimmen.

Wir vertagen uns - positiv gestimmt.


7.März
Ich rufe Bernd an und berichte ihm. "Allright", sagt Bernd, "dann gehen wir den next step. Ich fordere von Anita die BWA der letzten drei Jahre an und eine aktuelle Kundenliste mit den jeweiligen Vertragslaufzeiten. Dann schaut ihr drauf und wir zünden Stufe 2."


8. März
Mail von Bernd: "Anita möchte, dass ihr einen NDA unterschreibt, sonst rückt Sie keine Zahlen raus." Ich antworte ihm: "Kein Problem, soll Sie rüberschicken, dann unterzeichnen wir ihn." Nachmittags geht der NDA unterschrieben an Anita.


12. März
Anita hat die BWAs geschickt, mit einem ausführlichen Hinweis, dass die letzten drei Jahre von "erheblichen Sondereffekten" geprägt gewesen seien. Anderthalb Jahre Corona, Umsatzprobleme beim größten Kunden und zwei Etatverlusten durch Abgänge im Team. Eine aktuelle Kundenliste möchte Sie in dem Stadium nicht schicken, da sei ihr das Risiko zu groß, dass die Kunden abgeworben würden.

Maria und ich werfen einen Blick in die Zahlen: zwei Jahre eine schwarze Null, ein Jahr merklich in den roten Zahlen. Puh, gesund sieht anders aus. Klingt eher nach einer kleinen Sanierungsaufgabe. Maria meint spontan: "Minus und Minus ergibt leider nicht Plus. Wir müssten uns bei den CONTENTHEROES mindestens von zwei Mitarbeiterinnen verabschieden, damit der Laden ohne neue Kunden wieder schwarz wird."

"Maria, warum gleich den Rotstift auspacken und Kündigungen schreiben. Wir können doch erst mal versuchen, das Service-Portfolio der CONTENTHEROES an unsere Bestandskunden weiterzuverkaufen. Cross- und Upselling ist doch viel smarter als sofort die Kostenkeule auszupacken", versuche ich gegenzuhalten. "Und stell Dir mal die Headline in unseren Branchenfachmedien vor: HAUPTGEWINN übernimmt CONTENTHEROES. Das klingt doch mega und wird unsere Kunden und den Markt bestimmt beeindrucken."

Bezahlen werden wir Anita für die CONTENTHEROES natürlich nicht viel. Der Wert ihrer Agentur ist ja eher sehr überschaubar. Rechnet mal ein Multiple von 3 auf das Durchschnitts-EBIT der letzten drei Jahre, lande ich sogar bei einer roten Zahl. Gut, wir werden sicher nicht verlangen können, dass sie uns noch Geld drauflegt.

Wir einigen uns mit Maria darauf, dass Bernd im nächsten Schritt Anita mal fragen soll, was Sie sich preislich vorstellt.


15. März
Mail von Bernd: "Anita will 180.000 Euro all inclusive für ihre Agentur plus einen Jahresvertrag als Beraterin bei Übernahme, der mit 120.000 Euro dotiert ist. Dafür würde Sie zwölf Monate dranhängen und dafür Sorge tragen, dass ihre Kunden und Mitarbeitenden auch in der neuen Konstellation an Bord bleiben."

Hui, Maria und mir bleibt kurz die Luft weg. Als wir wieder zu uns kommen, müssen wir beide lachen: Maria sagt: "Das ist ein Scherz, oder? Die Alte hat sie doch nicht alle. Hat die noch einen goldenen Server im IT-Raum, von dem wir noch nichts wissen?"

Ich rufe Bernd an. Ist nur die Mailbox dran: "Äh, Bernd, Du hattest doch was von günstig gesagt? Die Preisvorstellung von Anita ist ja Lichtjahre von der Realität entfernt. Bitte ruf uns doch mal zurück!"

Hat Bernd noch eine Lösung? Wird Anita ihre Preisvorstellung revidieren? Werden Andreas und Maria weiterverhandeln? Die Antworten auf diese und noch viel mehr Fragen gibt es in Teil 2.


Zum Autor: Christian Faltin und Andreas Haupt kennen sich schon lange. Beide schreiben regelmäßig Tagebuch - schonungslos fiktiv, gnadenlos persönlich und nichts für schwache Nerven. Mit der Realität hat das natürlich gar nichts zu tun, deswegen ist auch keine künstliche Intelligenz im Spiel. Bis auf eine kleine Ausnahme. Mehr über den einen Autor unter Christianfaltin.de   . Er hat auch ein ganz tolles Linkedin-Profil.

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