Glosse

Aus dem Tagebuch eines Agenturchefs (12): Die Workation

30.07.2024 - Wir blättern weiter im Tagebuch von Andreas Haupt, Gründer, CEO und Zulangeschon-Chef der Agentur HAUPTGEWINN, der nach eigenen Angaben coolsten Agentur südlich des Polarkreises, dem es wie üblich nicht an Optimismus fehlt - dafür aber immer noch an Mitarbeitern, die sich so richtig gerne und lange committen.

von Christian Faltin

9. Juli
Sommerloch ist was für Angestellte. Und für Kunden. Agenturchefs sind immer on fire. Wenn unser Team mehrheitlich die Koffer packt und sich mit einem Tinto de Verano auf den Liegestuhl fläzt, da kommen wir erst so richtig ins Schwitzen. Auch und gerade in den Ferien.

Maria und ich müssen nämlich eine Menge vorbereiten: Unsere Agenturstrategie für Q4 und Q1/25. Und dann arbeiten wir intensiv an der Akquisestrategie und am Employer Branding. Ihr kennt das Dilemma: Haste Aufträge, haste zu wenig Mitarbeiter. Haste dann die Mitarbeiter mühsamst rangeschafft, haste wieder zu wenig Aufträge. Angeblich gibt es ja rein wissenschaftlich kein Perpetuum Mobile. In der Agenturwelt aber irgendwie schon.

Maria meint, Employer Branding sei richtig wichtig, wenn wir zukunftsfähig sein wollen. Kann man nix gegen sagen. Wobei, die ganze Diskussion um Remote Office, Workation, Benefits & Co meines Erachtens am Kern vorbeigeht. Machen wir uns nichts vor: Letztendlich entscheidet die Kohle, ob jemand bleibt und kommt oder geht. Das ist in der Gen Z nicht anders als bei den Boomern oder bei X und Y. Der einzige Unterschied ist: Die Jungen verbrämen das heute wesentlich cleverer als wir damals. Können sie auch. Zu meiner Zeit haben sich noch 10 Menschen auf eine Stelle beworben. Jetzt müssen wir froh sein, überhaupt ein bis zwei Bewerbungen zu bekommen. Aber im Vergleich zum Handwerk, der Pflege, der Gastronomie oder anderen Dienstleistungsbranchen dürfen wir nicht jammern.

Gut, imagetechnisch haben wir als Branche die rote Laterne - Werber liegen auf einem Level mit Versicherungsvertretern (6 Prozent)   . Für viele unserer Kunden spielen wir aber jede Woche aufs Neue Feuerwehr. Und die geniesst bei 94 Prozent der Deutschen ein hohes Ansehen. In unserer nächsten Stellenanzeige suchen wir deshalb ?Feuerwehrleute, die für unsere Kunden die Sterne vom Himmel holen, Brände löschen und immer im Einsatz sind?. Mal schauen, wer sich als "Ad- und Firefighter" bewirbt.

Willste modern sein, MUSST Du als Agentur vernünftig zahlen UND mindestens eine Workation anbieten. Darin sind wir uns mit Maria einig. Und nächste Woche reden wir drüber.


16. Juli
Der Konfi ist aufmunitioniert. Wir setzen uns mit Maria zum BRUNCH, einem Brain-Lunch, zusammen. Creative Lunch haben wir verworfen, das hat uns zu sehr an Bauchpresse und schweißtreibende Anstrengung erinnert. Nein, die besten Ideen kommen einem im Flow, quasi anstrengungslos. Idealerweise zwischen einem Espresso Macchiato und einem stillen Wasser aus einer kleinen Brauerei im Spessart (Auflösung folgt noch).

Ich eröffne: "Maria, lass uns bitte drei Dinge klären. Wann? Wohin und wie viele? Im Sommer sind eh alle privat unterwegs, deshalb würde ich als Termin für die Workation Herbst 24 oder Frühjahr 25 vorschlagen. Idealerweise irgendwo, wo noch die Sonne scheint und angenehme Temperaturen sind. Und ein Branding für unsere Workation habe ich auch: Wir nennen das ganze HAUPTSAISON. Was meinst Du?"

Maria nickt: "Termin und Branding finde ich ok. Allerdings bedeutet das, dass wir eher mit dem Flieger anreisen müssen. Nicht sonderlich nachhaltig. Dann sind wir eher so Richtung Spanien, Italien, Südfrankreich oder Kroatien unterwegs. Oder, wenn wir ganz hip sein wollen: Albanien ist gerade schwer in. Wir könnten natürlich auch in den Winter switchen und Südafrika in Erwägung ziehen."

Ich seufze: "Uh, da habe ich ganz üble Geschichten von anderen Agenturen gehört. Denen haben Sie zu Start gleich mal das komplette Remote Office in der Nähe von Kapstadt leergeräumt ? mit allen Laptops, Kameras, Kreditkarten, Bargeld, Führerscheinen, Ausweisen und Sonnenbrillen. Und das Internet funktioniert auch eher gelegentlich. Das wird dann eher vacation statt work. Was hältst Du davon, wenn wir das Team entscheiden lassen, wohin es gehen soll?"

Marias Blutdruck steigt: "Bist du wahnsinnig. Ich kann Dir jetzt schon sagen, was rauskommt. 200 Prozent höhere Kosten. Nein, wir müssen da selbst in den Lead gehen, sonst läuft uns das Thema aus dem Ruder. Und ich sag?s Dir gleich: Mallorca kannst Du knicken. Da kannst Du privat zum Segeln und zum Hugo nuckeln hinjetten, aber wir als Agentur fahren da nicht hin."

Ich versuche zu entkräften: "Maria, wir müssen doch nicht an den Ballermann. Wir würden doch eher eine Finca im Hinterland nehmen. Vielleicht im Norden oder Osten der Insel, mit Pool und Ruhe zum ungestörten Arbeiten und Relaxen."

Maria nimmt Fahrt auf: "Hast Du mal die Berichterstattung der letzten Monate verfolgt? Die Mallorquiner demonstrieren gerade vehement gegen solche Finca-Besetzer, die ihnen bezahlbaren Wohnraum wegnehmen und die Insel überschwemmen. Willst Du mit HAUPTGEWINN so ein gewissenloses Touri-A?loch sein? Da kannst Du den positiven Employer Branding Effekt komplett vergessen."

Mir platzt ein bisschen der Kragen: "Ja, wo um Himmels willen darf man denn noch hinfahren oder -fliegen? Was ist denn die perfekte Workation-Destination für eine Agentur im politisch korrekten Sinne?"

Maria beruhigt: "Lass uns die Perspektive wechseln, Andreas. Wie viel Geld können und wollen wir ausgeben?"

"Das hängt davon ab. Wollen wir die komplette Agentur mitnehmen? Wollen wir die Leute in mehreren Schichten hinschicken?"
, frage ich zurück.

Maria öffnet die Taschenrechner-App auf ihrem Smartphone: "Dann machen wir mal die Rechnung auf: Was kostet uns der Spaß pro Person ungefähr? Minimum 250 bis 300 Euro für die Hin- und Rückflüge, 100 Euro für die Übernachtung mit Selbstversorgung pro Nacht und nochmal 300 Euro pro Woche für Remote Office, einen Mietwagen und ein Mini-Event. Das wären 1300 Euro pro Person und Woche, aber sehr sparsam kalkuliert. Ich rechne eher mit 1500 Euro pro Woche. Macht bei 30 Mitarbeitenden schlappe 45.000 Euro."

"Puh, das ist bei der augenblicklichen Auftragslage und wenn ich kurz mal einen Blick in die BWA werfe, eigentlich nicht drin", seufze ich.

"Ok, lass uns das Thema vertagen", sagt Maria. "In einer Woche treffen wir uns wieder und jeder hat bis dahin eine Lösung."


23. Juli
Diesmal will Maria zum Start den Punkt setzen: "Das mit Albanien finde ich keine schlechte Idee, Andreas. Da gibt es mit Wizz Air im November Flüge nach Tirana für unter 100 Euro pro Person. In der Lazit Bay gibt es eine Villa für maximal 14 Personen für weniger als 3000 Euro pro Woche. Das ist weniger als eine Stunde Transfer vom Flughafen entfernt. Und die Destination ist gerade ziemlich hip. Ich habe es mal durchkalkuliert. Ich denke, wir landen in Albanien bei knapp unter 20.000 Euro für alle."

Mein Spitzname wäre nicht "The Creative One", wenn ich nicht noch eine bessere, weil günstigere Variante im Köcher hätte. "Maria", sag ich, "wir kriegen eine Workation für alle unter 10.000 Euro hin."

"Wie willst du das anstellen?", fragt Maria skeptisch.

"Wir sind doch Werber, also im eigentlichen Sinne Influencer. Wir lassen uns die Workation sponsern. Ich habe vergangene Woche mit Wizz Air und dem albanischen Tourismusverband gesprochen. Außerdem mit Solarcar, dem Mietwagenanbieter, und unserem Kunden StandUP Sport. Wir schnüren ihnen ein Gesamtpaket mit einer garantierten Reichweite in den Sozialen Netzwerken. Wir posten alle auf Facebook, LinkedIn, Insta und TikTok, drehen Videos über die schöne Landschaft, den Super-Service an Bord von Wizz Air, den tollen Strand an der albanischen Riviera, unsere Super-SUP-Boards, das Buffet im Hotel und loben die nette, sympathische Bevölkerung vor Ort. Und dann bekommen wir noch einen Code mit 15 Prozent Ermäßigung für alle Agenturen, die auch nach Albanien wollen. Da alles für 10 Mille und 30 Personen. Was sagst Du?"

Maria überlegt lange: "Ich bin mir nicht sicher. Lass uns die Idee lieber doch mit dem Team diskutieren."


30. Juli
Puh, vergangene Woche war anstrengend. Viel haben wir nicht geschafft in der Agentur, weil es jede Menge Diskussion um unseren Workation-Vorschlag gab. Gut die Hälfte der Agentur wollte wissen, ob Maria und ich auch auf die Workation mitkommen. Das wäre fürs Teambuilding vielleicht nicht so produktiv, meinte das Team. Die andere Hälfte votierte gegen Albanien ("Vielleicht muss man dort noch als Frau Kopftuch tragen?") und startete eine eigene Umfrage unter den Mitarbeitenden zur gewünschten Location. Das Ergebnis war: Ein Drittel pro Mallorca, ein Drittel will nach Südafrika und ein Drittel bleibt lieber ganz zuhause. Posten will eigentlich niemand von unserer Workation, nur unsere neue Volontärin Viola.

Maria und ich haben das Thema daraufhin erstmal vertagt und arbeiten stattdessen an einem neuen Konzept für unsere Weihnachtsfeier   . Employer Branding ist nämlich richtig wichtig.


Zum Autor: Christian Faltin und Andreas Haupt kennen sich schon lange. Beide schreiben regelmäßig Tagebuch - schonungslos fiktiv, gnadenlos persönlich und nichts für schwache Nerven. Mit der Realität hat das natürlich gar nichts zu tun, deswegen ist auch keine künstliche Intelligenz im Spiel. Bis auf eine kleine Ausnahme. Mehr über den einen Autor unter Christianfaltin.de   . Er hat auch ein ganz tolles Linkedin-Profil.

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