Glosse

Aus dem Tagebuch eines Agenturchefs (14): Die Vollkatastrophe

25.09.2024 - Und wir blättern weiter im Tagebuch von Andreas Haupt, Gründer, CEO und Zulangeschon-Chef der Agentur HAUPTGEWINN, der nach eigenen Angaben coolsten Agentur südlich des Polarkreises, der auch nicht an Geschlechterrollen rühren kann.

von Christian Faltin


2. September
Maria, meine Co-MD, hat mir für morgen einen "Walk and Talk-Termin" in Outlook eingestellt. Das hat sie noch nie gemacht. Sie liebt ihr Cabrio und hasst Spazierengehen. Ich würde sie ja gerne sofort fragen, was das soll, aber sie ist gerade auswärts in einem Workshop mit unserem Großkunden. Mein Blutdruck ist auf 160. "Wir müssen reden"-Termine einfach digital anzukündigen, ohne die Möglichkeit einer direkten Rückfrage, hat schon so viele schlaflose Nächte produziert. Und selten ist am Tag des Termins was Gutes rausgekommen. Wir haben erst vor wenigen Wochen über die Strategie und die next steps für HAUPTGEWINN für die nächsten Monate gesprochen. Das kann es eher nicht sein. Sie wird doch nicht kündigen wollen? Das geht doch nicht, ihr gehört doch ein Teil der Agentur. Sch..., der Tag ist im Eimer. Und die Nacht auch.


3. September
Maria kommt mir lächelnd im Büro entgegen: "Morgen Andreas, wie schaust Du denn aus? Hast Du die Nacht durchgemacht? Komm, lass uns in den Park gehen."

Maria hakt sich bei mir unter und wir laufen ein paar Schritte bis wir in den Stadtpark kommen. "Warum willst Du mit mir scheinbar wichtige Gespräche im Gehen führen, Maria? Das haben wir noch nie gemacht." "Ich habe in den letzten Wochen die Biografie von Steve Jobs gelesen", antwortet Maria. "Er hat es sehr oft mit Mitarbeitenden und Verhandlungspartnern gemacht. Und es hatte einen positiven Effekt. Also warum nicht mal ausprobieren, Andreas."

"Bitte überreiz den Spannungsbogen nicht, Maria. Was ist los? Was willst Du mir sagen.""Lass uns kurz auf die Bank dort drüben setzen, Andreas. Mir ist ein bisschen schwindlig.""Bist du ernsthaft krank, Maria? Willst Du mir das so schonend wie möglich beibringen? Bitte nicht!"

"Nein, Andreas, keine Sorge. Aber es ist tatsächlich etwas mit meinem Körper. Um es abzukürzen: Ich bin schwanger."

"Nein? Doch? Das kann nicht sein...Warum?...Du bist 42? Na und?.. Sicher?... Ja, im dritten Monat!...Gut, dass ich letztes Mal keine blöde Bemerkung darüber gemacht habe, dass dein Blazer spannt."

Lange Pause, Schweigen, nur die Vögel zwitschern.

"Das kannst Du mir nicht antun, Maria. Wir haben den Laden fast zusammen gegründet. Wir sind wie Bonnie & Clyde, wie Yin & Yang. Was soll ich ohne Dich machen. Du bist das Herz, das Hirn und der Bauch dieser Agentur."

"Ja, nur wächst der Bauch halt jetzt. Und ich bin ja nicht gleich weg."

"Wie hast du Dir das vorgestellt, Maria? Wie soll das mit Agentur und Kind weitergehen? Und überhaupt, wer ist der Vater."

"Bist Du eifersüchtig, Andreas? Oder ist das verletzter Männerstolz, nur weil wir mal ein paar Wochen zusammen waren? Aber keine Angst, Du wirst es erfahren, es hat nämlich auch was mit der Agentur zu tun. Lass uns ein paar Schritte um den Teich gehen."

Maria hakt sich wieder bei mir unter: "Schau mal, Andreas. Wenn mein Körper keine Fisimatenten macht und das Baby gesund ist, kann ich bis zum achten Monat arbeiten. Und wir können bis dahin gemeinsam nach einer Lösung suchen, wer bei HAUPTGEWINN welche Aufgaben von mir übernimmt. Und wahrscheinlich werden wir jemand Seniorigen einstellen müssen, der meine Kunden betreut. Das ist sicher viel Arbeit und einige Zusatzkosten, aber machbar. Der zweite Teil ist etwas schwieriger."

Ich enthake mich bei Maria und stelle mich direkt vor sie hin: "Deine Schwangerschaft ist doch schon eine Katastrophe für die Agentur und jetzt kommt noch was? Bitte nicht."

"Leider doch, Andreas. Und das hängt mit dem Vater meines Kindes zusammen. Es ist Mario!"

"Super Mario, der Marketingfuzzi unseres Großkunden. Das ist nicht Dein Ernst, Maria? Der Typ, der uns kostentechnisch bis aufs Blut aussagt, weil er genau weiß, dass seine Firma 50 Prozent unseres Jahresumsatzes beisteuert. Der Mario, mit dem ich Händchen halten musste, damit wir Ende 2023 unseren dicksten Etat gewinnen konnten (siehe Folge 1: Der Etatgewinn   ). Dieser Schluffi, das kann doch nicht wahr sein. Der sieht ja noch nicht mal gut aus. Und überhaupt: Maria und Mario, wie kitschig klingt das den bitte. Das ist ja schlimmer als Romeo und Julia."

"Beruhig Dich, Andreas. Du bist ja doch verletzter, als ich dachte. Aber Mario ist nicht Dein Hauptproblem. Das Problem ist Marios Firma. Sie haben eine interne Compliance Richtlinie. Danach darf kein Mitarbeiter mit Budgetverantwortung Etats an Familienmitglieder oder Lebenspartner vergeben. Eine Zuwiderhandlung hat gravierende Folgen, bis hin zur fristlosen Kündigung."

"Und was heißt das konkret?"

"Wenn Mario, das Kind und ich eine gemeinsame Zukunft haben wollen - und das wollen wir - dann muss Mario den Agenturvertrag mit HAUPTGEWINN zum nächstmöglichen Termin auflösen. Ich habe gestern mit ihm gesprochen, er schickt uns morgen die offizielle Kündigung."

"Du willst mir also sagen, dass ich nicht nur Dich in absehbarer Zeit verliere, sondern in Kürze auch 50 Prozent unseres Jahresumsatzes. Ich muss mich setzen, jetzt ist mir schwindlig."

Ich bin dann später vom Park aus direkt nach Hause gegangen und hab mein Telefon ausgestellt. Ihr kennt mich: Ich bin ein grundloser Optimist, den schwer etwas aus der Bahn wirft, aber zwei Vollkatastrophen auf einmal sind einfach zu viel. Da war ja die Trennung von meiner Ex lächerlich dagegen. Keine Ahnung, wie ich morgen wieder in die Agentur gehen soll.


4. September
Ich habe mich für eine Woche krankgemeldet. Corona, da fragt keiner nach. Was ich jetzt brauche, ist vor allem Zeit. Ich habe einen Anruf von Mario auf meiner Sprachbox. Den höre ich jetzt sicher nicht ab.


10. September
Eine Woche habe ich mir jetzt das Hirn zermartert. Ohne wirkliches Ergebnis. Marios Konzern hat inzwischen die offizielle Vertragskündigung geschickt. Ab nächstem Quartal fehlt uns die Hälfte des Umsatzes. Früher haben wir solche Extremsituationen immer zu zweit - mit Maria zusammen - gemeistert. Jetzt bin ich auf mich allein gestellt. Maria hat mir auch schon xmal auf die Box gesprochen. Ich verlängere meine Krankheit nochmal um eine Woche.


17. September
Eigentlich ist die Lösung ganz einfach: Wenn 50 Prozent des Umsatzes fehlen, braucht HAUPTGEWINN auch keine zwei Geschäftsführer mehr. Und natürlich auch deutlich weniger Mitarbeitende. Wir konsolidieren! Morgen gehe ich wieder ins Büro und rufe als Erstes unsere Anwältin und unseren Steuerberater an. Und dann spreche ich auch nochmal mit Maria. Ich muss ihr noch zum Nachwuchs gratulieren.


Zum Autor: Christian Faltin und Andreas Haupt kennen sich schon lange. Beide schreiben regelmäßig Tagebuch - schonungslos fiktiv, gnadenlos persönlich und nichts für schwache Nerven. Mit der Realität hat das natürlich gar nichts zu tun, deswegen ist auch keine künstliche Intelligenz im Spiel. Bis auf eine kleine Ausnahme. Mehr über den einen Autor unter Christianfaltin.de   .

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