Glosse

Aus dem Tagebuch eines Agenturchefs (13): Die Female Empowerment-Kampagne

27.08.2024 - Wir blättern im Tagebuch von Andreas Haupt, Gründer, CEO und Zulangeschon-Chef der Agentur HAUPTGEWINN, der nach eigenen Angaben coolsten Agentur südlich des Polarkreises, der auch nicht an Geschlechterrollen rühren kann.

von Christian Faltin


3. August

"Wir haben einen neuen Super-Kunden, Andreas. Und ich brauche Dich dafür ganz dringend." Maria, Co-Geschäftsführerin und Mitinhaberin von HAUPTGEWINN, kommt freudestrahlend auf mich zu. "Das wird uns als Agentur jede Menge Publicity und Sichtbarkeit bringen." "Super" antworte ich. "Lass mich raten: Ein Unternehmen aus dem EURO STOXX 50 oder gar ein DAX-Mitglied oder ein Deep-Tech-Unternehmen?" "Ganz kalt und voll die falsche Ecke. Es ist viel besser: Es geht um Female Empowerment", sagt Maria. "Wir haben den Etat von EWA gewonnen, der European Womens Association."

"Wow, wie sind wir da ran gekommen, Maria?", frage ich. "Über FED." "Haben die so einen dicken Etat, dass sich sogar die FED damit beschäftigt?" "Nein, FED ist das Female Empowerment Dinner zu dem sich interessante Frauen aus Wirtschaft, Gesellschaft und Politik einmal im Quartal treffen. Da bin ich auch. Und weil Du es gerade ansprichst: EWA ist ein Non-Profit-Unternehmen und unser Auftrag ist ein Pro bono-Job."

"Aber Du weißt schon, dass wir ein Profit-Unternehmen sind, oder?", antworte ich etwas kleinlich. "Entspann Dich, Andreas. Wir haben gerade Luft im Team. Das habe ich vorher gecheckt." "Und wofür genau brauchst Du mich?" "Na ja, die Kampagne dreht sich auch um das, was Frauen auf dem Weg nach vorne behindert: 'Männer'. Und wir sind lauter Frauen im EWA-Team. Du musst uns das Verhalten Deiner Geschlechtsgenossen erklären. In einer Woche treffen wir uns zu einem ersten Brainstorming."


20. August

Der Konfi von Hauptgewinn sieht anders aus als sonst. An den Wänden hängen Grafiken, Statistiken und verstörende Bilder. Ich setze mich zu Maria und dem EWA-Team und habe ein leicht mulmiges Gefühl, was mich erwartet. Maria eröffnet:

"Guten Morgen Team, ihr habt alle das Briefing des Kunden bekommen. EWA hat anhand der vorliegenden Daten klar herausgearbeitet: 'Männer sind ein Problem. Rund 90 Prozent aller Morde in Deutschland begehen Männer. Die Attentäter von Solingen, Hanau, Mannheim oder vom Berliner Breitscheidplatz: Alles Männer. Die Zahl der Opfer von Vergewaltigung und sexueller Nötigung in Deutschland ist 2023 auf einen neuen Höchststand gestiegen. Weit über drei Viertel der Täter sind männlich. Gewalt in Partnerschaften, auch weit überwiegend männlich. Schauen wir uns an, wer die aktuellen Kriege vom Zaun bricht und welche Diktatoren ihr Land knechten: alles Männer. Es gibt haufenweise Beispiele rund um den Globus für toxische Männlichkeit: Von den Mullahs im Iran über die Taliban in Afghanistan bis hin zu komischen republikanischen Politikdarstellern in den USA und thüringischen Rechtsextremen. Die Liste der männlichen Gewalttäter, Diktatoren und Machthungrigen ist fast endlos.' Kannst Du uns das erklären, Andreas?"

Ich öffne eine Flasche stilles Wasser aus der kleinen Brauerei im Spessart und nehme einen langen Schluck. Und ich glaube, jetzt zu erwähnen, dass Alice Weidel, Georgia Meloni und Marine Le Pen keine Männer sind, wäre die falsche Eröffnung. "Ihr habt mit eurer Analyse ja vollkommen recht, Maria. Die Zahlen und Fakten sind eindeutig. Irgendwas läuft da schief bei den Vertretern der XY-Chromosomen. Irgendwann zwischen spätkindlicher Entwicklung, Pubertät und früher Adoleszenz. Man weiß ja beispielsweise auch, dass Gesellschaften mit einem zahlenmäßig starken Überhang junger Männer zu Aufruhr und Gewalt neigen. Ich fürchte, die Erklärung ist fast zu einfach: Junge Männer, die keine Frau finden, verirren sich leichter in jede Art von Extremismus ? politisch wie religiös."

"Und deswegen sollten wir für FEM eine Kampagne gegen Männer entwickeln", ergänzt Viola, unsere Volontärin, voller Überzeugung. "Was wir in der Welt brauchen, ist weniger Testosteron. Was haltet ihr vom Kampagnenslogan 'LESSTOSTERON'?"

"Was wollt ihr denn mit den Männern machen?", frage ich Viola. "Mit Östrogenen füttern, in Reservate abschieben, in denen es Kneipen mit kostenlosen DAZN- und Sky-Übertragungen gibt und ein monatliches Biergeld, das jedem Reservatmitglied zugeteilt wird? Es gibt doch auch Milliarden Männer auf diesem Globus, die sich sozialkompatibel verhalten. Liebende Söhne, Ehemänner und Großväter, die keine Gewalt gegen Frauen ausüben. Es gibt doch nicht nur Elon Musks und Donald Trumps, sondern auch Robert Habecks. Was ist mit denen?"

"Guter Punkt, Andreas", antwortet Maria, "aber das löst das Problem der toxischen Männlichkeit nicht."

"Stimmt. Vielleicht liegt eine Ursache des Problems ja auch darin, dass Männlichkeit so negativ konnotiert ist. Es gibt doch in unserer Sprache kaum etwas anderes. Bei 'Mann' fallen einem maximal die Attribute viril, ritterlich, Gentleman ein. Frauen sind empathisch, liebevoll, mütterlich, zugewandt, fürsorgend, die Liste der positiven Attribute ist fast endlos. Ich glaube, wir haben es einfach versäumt, den Mann in einer neuen, nicht-toxischen Rolle zu definieren. Einer Rolle mit Wertschätzung und Respekt, die dem toxischen etwas entgegensetzt. Der Mann an sich braucht ein Rebranding!"

"Ein gutes Schlusswort für heute, Andreas", lobt mich Maria. "Lasst uns überlegen, ob und wie man den 'Mann' anders, positiver definieren kann und was das für unsere Female Empowerment-Kampagne bedeutet."


27. August

Ich habe viel gelesen seit vergangener Woche. Über den Anstieg männlicher Gewalt. Über Teenager, die dem selbsternannten Frauenhasser Andrew Tate millionenfach folgen. Und dann sitzt man vor dem Fernseher, sieht die Ereignisse aus Solingen und die üblichen, immergleichen Reflexe von Politik, Staat und denen, die aus persönlichem Leid politischen Profit schlagen wollen. Da fällt es echt schwer, positive Argumente für den Mann an sich zu finden. Ist jemand zu helfen, der glaubt, dass im Paradies Jungfrauen auf Attentäter warten? Was muss in jemandem schieflaufen, der Asylbewerberheime anzündet oder Menschen abknallt, weil sie fremdländisch aussehen?

Es ist ja nicht so, dass Frauen sich grundsätzlich nicht radikalisieren, aber sie bringen deutlich seltener Menschen um. Ich gehe rüber zu Maria ins Büro: "Maria, Du kennst mich. Ich bin unkonventionell, kreativ und ich habe für die allermeisten Herausforderungen bisher eine Lösung gefunden. Aber ich fürchte, an der Aufgabe scheitere ich. Weil ich glaube, dass eine Werbekampagne niemals in der Lage sein wird, dieses Problem zu lösen. Wäre ich in der Politik, würde ich jetzt einen Expertenrat einberufen, der Männlichkeit neu und positiv definieren soll. Da wäre dann ein breites Spektrum der Gesellschaft vertreten ? von Mario Barth bis hin zu Feministinnen, aber vor allem jede Menge Alltagspragmatiker:innen."

"Andreas, Du enttäuscht mich ... wieder mal nicht", antwortet Maria mit einem Zwinkern. "Wir haben im EWA-Team nochmal intensiv diskutiert und sind auch zur Ansicht gekommen, dass politische Lobbyarbeit wohl der sinnvollere Weg für EWA ist als eine Werbekampagne. Und unter uns, Andreas: Wir haben auch keine Lösung gefunden, die uns als Agentur gut aussehen lässt."
Darauf habe ich dann nichts mehr gesagt und Maria nur kurz umarmt. Mann muss ja nicht immer das letzte Wort haben.



Zum Autor: Christian Faltin und Andreas Haupt kennen sich schon lange. Beide schreiben regelmäßig Tagebuch - schonungslos fiktiv, gnadenlos persönlich und nichts für schwache Nerven. Mit der Realität hat das natürlich gar nichts zu tun, deswegen ist auch keine künstliche Intelligenz im Spiel. Bis auf eine kleine Ausnahme. Mehr über den einen Autor unter Christianfaltin.de   . Er hat auch ein ganz tolles Linkedin-Profil.

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