Bild: Christian Faltin / Flux.AI
14. Oktober
Einige von euch sind echt cute (Schreibt man jetzt so, hat unsere Volo gesagt). Ihr habt mir auf LinkedIn nette DMs geschrieben, um mich nach der Vollkatastrophe vom letzten Monat aufzuheitern. Ich danke euch von ganzem Herzen. Das hilft. Ehrlich. Die ersten Kündigungen im Team sind Anfang Oktober raus. Das war echt hart. Und mit Maria haben wir vereinbart, dass wir nach der Geburt ihres Kindes noch einmal darüber reden, wie es mit unserer Agentur weitergeht.
Apropos weitergehen: Heute habe ich einen Brief von meinem Vater bekommen. Vielleicht erinnert ihr euch? Im Konfi von HAUPTGEWINN steht doch immer das Heilwasser von einer kleinen Brauerei im Spessart. Und ich hatte euch versprochen, bei Gelegenheit zu erzählen, warum. Dieses Versprechen löse ich heute ein: Die kleine Brauerei ist der BRUNNBRÄU mit Sitz in Kreuzostheim an der Mainschleife. Dort, wo das beliebteste Erfrischungsgetränk Limo heißt und Spezi ein Cola-Mix-Getränk ist. Wo das Helle noch für den großen Durst ist und das Pils Premium. Wo das Etikett noch eine dralle, blonde BeDDienung zeigt. Da, wo ich nach meinem Abi schnell weg bin. Aus Gründen.
Ich muss vorwegschicken: Zu meinem Vater habe ich eigentlich keine Beziehung. Er ist der klassische Wirtschaftswunder-Unternehmer. Disziplin first und schuften bis zum Umfallen. Die Familie geht vor - vorausgesetzt, es ist nichts mit der Firma. Aber natürlich ist immer was mit der Firma. Und selbstverständlich wollte mein Vater, dass sein einziger Sohn Brauwesen studiert. Und als Diplom-Braumeister später die Firma übernimmt.
Das wollte ich nicht. Deshalb bin ich gleich nach dem Abi in den wilden Osten abgehauen und habe mein neues Leben in den neuen Bundesländern mit einem Praktikum bei Jung und Matt begonnen. Gute Schule fürs Werber-Leben! Aber weil ich jung und dynamisch war, gründete ich zwei Jahre später HAUPTGEWINN, meine eigene Agentur.
Das hat meinem Vater nicht gefallen. Werbung ist für ihn etwas völlig Unseriöses. Schlimmer als Gebrauchtwagenhändler und Versicherungsvertreter zusammen.
"Mach endlich was Gscheites", hat er immer wieder genölt. Und ich habe zurückgerotzt:
"Du meinst halb Mainfranken unter Alkoholeinfluss zu setzen. Zu welchen Exzessen das führt, kann man jedes Jahr beim Fasching in Veitshöchheim live erleben. Wenn mein Beruf am unteren Ende der Reputationsskala steht, dann bist du ein Dealer, der mit legalisierten Drogen handelt."
Danach war meist länger wieder Funkstille. In seinem heutigen Brief schlägt mein Vater überraschend versöhnliche Töne an: Er würde mich
"gerne mal wieder persönlich treffen". Es gäbe etwas zu besprechen, was er nicht am Telefon tun wolle. Wann ich Zeit hätte, ihn zu besuchen?
Wird er mit Mitte 70 altersmilde? Ist er krank? Will er mir gar den BRUNNBRÄU vererben? Boah, da muss ich erst mal eine Nacht drüber schlafen.
15. Oktober
Heute Nacht konnte ich lange nicht einschlafen, bin dann endlich aber doch weggenickt. Ich habe mal durchgespielt, was ich als neuer Inhaber des BRUNNBRÄU mit maximaler Freiheit alles tun würde. Klar ist, man müsste dringend an die Marke ran. Sie ist alt und verstaubt.
"Der BRUNNBRÄU muss dringend in den Jungbrunnen!" Das wäre doch auch eine Top-Headline für meine erste Ansprache an die Belegschaft. Oder?
Wir brauchen ein komplettes Redesign. Vom Packaging (Bügelverschluss neu einführen) bis zum Design der Etiketten (das Helle mehr im Retro-Style, das Pils einen Ticken mehr Premium, und die Limonaden moderner, fritziger eben). Und natürlich müssen wir auch an die Produktpalette ran. Der Absatz von Pils ist seit Jahren rückläufig, das Helle oszilliert. Die Leber wächst mit ihren Aufgaben, aber die Zahl der Bierdimpfl sinkt. In den vergangenen 30 Jahren ist der Bierkonsum in Deutschland um gut 30 Prozent zurückgegangen. Zwar gibt es inzwischen mehr E-Bikes, aber auch der Radler-Absatz rettet die Bilanz des BRUNNBRÄU leider nicht. Und im Markt der Erfrischungsgetränke muss man clever sein, um sich gegen Aldi, Lidl, Coca-Cola, PepsiCo und Refresco zu behaupten.
Da können wir nur mit Kreativität und Regionalität punkten. Wenn ICH für das Marketing des BRUNNBRÄU verantwortlich bin, veranstalte ich als erstes einen großen Agentur-Pitch. Dazu lade ich alle Wettbewerber von HAUPTGEWINN ein, die uns in den letzten Jahren immer wieder geärgert haben. Und natürlich schreibe ich für sie ein maximal verlockendes Briefing:
1. maximale kreative Freiheit, um Marke und Produkte zu verändern
2. starkes Budget (mit maximal angedeuteter Größenordnung), um die neue Marke und die neuen Produkte einzuführen
3. große Bereitschaft, die Marke zu verjüngen (auch mit großem Einsatz von Social Media)
4. kurzum ein großer Spielplatz für alle Kreativen, die sich schon immer mal in der Foodbranche so richtig austoben wollen
Und klar setze ich eine richtige enge Deadline für die erste Pitchpräsi. Damit Nachtschichten vorprogrammiert sind. Endlich bin ich mal Kunde! Und natürlich müssen alle Teams persönlich zur Präsentation nach Kreuzostheim anreisen. Das wird ein Spaß!
Weil, selbstverständlich werde ich keine der Agenturen wirklich beauftragen. Die besten Ideen werden wir mit HAUPTGEWINN selbst umsetzen. Aber natürlich so, dass uns niemand wegen Copyright drankriegen kann.
Vor lauter Vorfreude bin ich aus dem Bett gefallen. Und aufgewacht. Erst einen Schluck stilles Wasser getrunken und dann wieder eingeschlafen.
16. Oktober
Selten erinnert man sich am Morgen an das, was man in der Nacht geträumt hat. Heute ist das anders. Hernach werde ich im Büro meines Vaters anrufen und mit seiner Assistentin einen Termin für kommende Woche vereinbaren. Mal schauen, was er mir anbieten will.
P.S.: Liebe treue Leserinnen und Leser meines Tagebuchs. Die neuen Aufgaben werden mich sicher zeitlich sehr in Anspruch nehmen. Deshalb ist die 15. Folge meines "Tagebuchs eines Agenturchefs" die (vorerst) letzte. Werde ich in die Firma meines Vaters einsteigen und den BRUNNBRÄU umkrempeln? Wie geht es weiter mit unserer Agentur HAUPTGEWINN? Bekommt Maria ein Mädchen oder einen Jungen? Und bleiben Mario und sie ein Paar? Ich weiß es (noch) nicht. Aber vielleicht schreibe ich ja mal ein Buch darüber, wenn ich die Antworten und ganz viel Zeit habe. Bis dahin ade, wie man in Franken sagt.
Zum Autor: Christian Faltin und Andreas Haupt kennen sich schon lange. Beide schreiben regelmäßig Tagebuch - schonungslos fiktiv, gnadenlos persönlich und nichts für schwache Nerven. Mit der Realität hat das natürlich gar nichts zu tun, deswegen ist auch keine künstliche Intelligenz im Spiel. Bis auf eine kleine Ausnahme. Mehr über den einen Autor unter Christianfaltin.de
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