Glosse

Aus dem Tagebuch eines Agenturchefs (11): Die Recruiting-Kampagne

02.07.2024 - Wir blättern im Tagebuch von Andreas Haupt, Gründer, CEO und Zulangeschon-Chef der Agentur HAUPTGEWINN, der nach eigenen Angaben coolsten Agentur südlich des Polarkreises, dem es wie üblich nicht an Optimismus fehlt - aber an Mitarbeitern.

von Christian Faltin


10. Juni

Und ihr habt gedacht, ich kriege nix gebacken. Oder? Von wegen. Am 1. Juli fängt Carla bei uns an. Als Director Content. Falls ihr euch nicht mehr erinnert: Carla war bisher Unitleiterin bei den CONTENTHEROES   , der Agentur, die wir eigentlich komplett übernehmen wollten. Haben wir dann aber sein gelassen.

Carla ist unser Königstransfer. Mit ihr wollen wir den Content-Bereich bei HAUPTGEWINN zu einem der zentralen Umsatzbringer unserer Agentur ausbauen. Und wenn ihr jetzt sagt: "Du Spinner, Content das macht doch künftig eh alles die KI zum Spotpreis." Dann antworte ich: "Wart's ab. Wir werden anderen, geilen Content für unsere Kunden produzieren, den die KI never ever hinkriegt."

Blöd nur, dass wir aktuell noch niemand weiteren für Carlas Unit haben. Wir haben ihr aber im Einstellungsgespräch großzügig Support versprochen. Normalerweise hätten wir ihr Janette zur Seite gestellt, unsere Allzweckwaffe. Aber Janette wechselt ja leider bald zur Konkurrenz, zu HOUSE OF GLORY   . Das heißt im Klartext: Ab sofort schmeißen wir die Recruiting-Maschine an. Morgen rede ich mit Maria, meiner Co. Sie ist HR-Queen und hat für alles eine Lösung.


11. Juni

Maria reagiert leicht aggressiv in unserem Daily Morning Stand-Up auf meine kleine Einleitung, dass es doch kein Problem sein sollte, unsere beiden freien Stellen in vier Woche zu besetzen. Irgendwie kann ich sie gar nicht mehr bremsen:

"Hast Du eine Ahnung, wie ich mich abstrample, um jemand für das Volontariat zu finden? Und jetzt gleich zwei Leute auf einmal. Dir ist schon klar, was uns das an Geld und vor allem mich an Zeit und Nerven kostet? Weisst Du, was ich machen muss, um überhaupt ein paar wenige Bewerbungen zu bekommen, die halbwegs Deutsch sprechen und schreiben können und nicht aus Pakistan oder Bangladesh für uns arbeiten wollen? Wir geben pro Position einen mittleren vierstelligen Betrag aus: Für Online Stellenanzeigen auf indeed und stepstone, bei truffles über LinkedIn-Ads und Anzeigen in den passenden Fachmedien. Der Effekt: Extrem überschaubar. Wenn wir Glück haben, bleiben in einer Welle zwei KandidatInnen übrig, von denen uns mindestens eine oder einer dann ghostet. Andreas, sorry, aber du hast keine Ahnung, was da draußen im Recruiting gerade los ist."

Da muss ich natürlich kontern: "Also, Maria, ich bin doch kein Haubentaucher. Ich weiß, dass es nicht einfach ist für Agenturen unserer Größenordnung. Aber vielleicht muss man einfach die Strategie wechseln: Pull statt Push. Die Leute einfach mal direkt ansprechen."

Es kommt langsam Farbe in Marias Gesicht: "Super Idee, Andreas. Die hatte ich schon vor zwei Wochen. Da hab ich mir von unserer Assistentin Anna via LinkedIn 10 Junior-Content-ManagerInnen im Umkreis von 100 Kilometer recherchieren lassen und die persönlich mit einem netten Text angeschrieben. Wie viele meinst Du, haben geantwortet?"

Ich bin Optimist: "Na ja, man bekommt ja nicht jeden Tag ein Angebot von HAUPTGEWINN. Ich schätze mal acht."

Maria lacht hysterisch: "Eine einzige hat sich überhaupt gemeldet. Und weisst Du, warum sie mir dann nach zweimaligem Nachhaken meinerseits abgesagt hat? Weil wir auf zwei Tagen Präsenz-Office pro Woche bestehen und sie dann 7 Kilometer durch die Stadt zu uns fahren müsste. Und zwar hin und zurück. Da wüsste sie nicht, ob sie dann rechtzeitig daheim ist, um mit ihrem Hund rauszugehen. So schauts da draußen aus, im Land von Fachkräftemangel und Work-Life-Balance."

Ich finde ja, Maria übertreibt etwas. Deshalb sage ich zu ihr: "Maria, calm down. Wir sind doch ein kreativer Hotshop. Uns wird doch mehr einfallen, als langweilige Stellenanzeigen in Onlinebörsen, die sich eh vom Text her alle gleichen. Können wir nicht was Witziges für Social produzieren? Unsere Junior-Aspiranten sind doch viel eher auf Tiktok und Insta als auf Indeed."

Maria schlägt die Hände über dem Kopf zusammen: "Checkst Du gelegentlich deinen Insta- und TikTok -Account? Wenn Du dann mit der Kamera durch die Agentur läufst und deinen tollen Workspace, den Smoothies-Cooler oder den Billard-Tisch zeigst, dann lacht sich die Community tot: Der Alte hat nix, aber auch gar nix verstanden. Das ist komplett der falsche Move. Wir müssten unsere Crew dazu animieren, dass sie mehr auf Social präsent ist. Aber da hat keiner Bock, wenn es on top zur normalen Arbeit gemacht werden soll."

Ich gebe nicht auf: "Ok, verstanden. Dann drehen wir den Spieß um und geben den Mitarbeitenden Kohle. 1.000 Euro Kopfgeld für jede Empfehlung, die sie uns bringen, wenn wir den oder die dann einstellen. Das müsste doch ein Anreiz sein."

Maria ist etwas genervt: "Das ist ja ganz was Neues, Andreas. Hast Du in den letzten Wochen schon mal in unseren internen Teams-Channel geschaut. Da steht genau das drin. Und weisst Du, wie viele Vorschläge seitdem gekommen sind ...?"

Ich glaube, das mit dem Schätzen lasse ich. "Vorschlag zur Güte, Maria: Ich brainstorme mal mit mir und ein paar KollegInnen und dann setzen wir uns nächste Woche wieder zusammen. Du kennst mich, ich bin Mister Konstruktiv."


17. Juni

Maria wartet schon im Konfi auf mich. Ich gehe noch kurz zu unserer DeLonghi Siebträgermaschine (Modell La Baristissima) und brühe ihr einen Cappucino inklusive Schaumherzchen, um die Atmosphäre etwas zu entkrampfen. Für mich nehme ich nur ein kleines stilles Wasser aus der kleinen Brauerei im Spessart, zu der ich euch später mal eine interessante Geschichte erzähle.

In Marias Augen funkelt die emotionale Lava aus dem Herkunftsland unserer Kaffeemaschine. "Maria, ich möchte mich entschuldigen", eröffne ich. "Mir war nicht en Detail bewusst, wie schwer wir uns tun, gute Leute zu finden. Und wie viel Arbeit Du ganz persönlich investieren musst, um die Vorstellungsgespräche hinzubekommen, die wir dann gemeinsam führen. Sollte ich das in der Vergangenheit nicht genug wertgeschätzt haben, bitte seh mir das nach."

Maria nippt am Cappucino, das hat sie nicht erwartet. Ihre Körperspannung lässt langsam nach und sie rutsch tiefer in unseren Vitra-Stuhl. Das Entree hat geklappt, jetzt kommt der Hauptgang.

"Wir sind doch bestimmt nicht die einzige Firma, die sich so schwertut. Wenn ich rekapituliere, was wir alles unternehmen müssen, um eine Junior-Position zu besetzen, dann ist da doch ein ganz klarer Pain point bei ganz vielen. Lass uns das nutzen! Wir gründen eine spezialisierte Unit für Recruiting-Kampagnen. Den Firmen muss klar sein, dass sie anders um Nachwuchs werben müssen als bisher. Vielleicht hat nicht jeder das Budget wie Amazon oder Carglass, um Fernsehspots zu schalten. Aber gute Recruiting-Kampagnen haben doch sicher einen extrem positiven Impact auf das Markenimage. Hat nicht der Bundesnachrichtendienst vor kurzem via Außenwerbung Nachwuchs gesucht. Mit dem Slogan: 'Stell Dir vor DU wirst vom BND gesucht. (Als Teil des Teams)'. So was brauchen wir auch! Recruiting mit Humor und Intellekt. Das kommt gut an, wenn man es clever macht.

Damit das Ganze Fahrt aufnimmt, machen wir Carla erst mal zur Projektmanagerin und stellen ihr zwei Leute aus anderen Teams zur Seite. Und als Opener für unsere neue Recruiting Campaign-Unit schalten wir Todesanzeigen für die klassische Stellenanzeige. Das geht bestimmt viral und kann uns ganz neue Kundengruppen erschließen. Vom DAX-Konzern bis zum Mittelstand. Was meinst Du, Maria?"


Maria seufzt. Immerhin.


18. Juni

Maria hat eine Nacht drüber geschlafen. Wir probieren das. Ich stelle bei Teams für den 2. Juli einen Kickoff-Termin für Carla und mich ein. Die wird Augen machen. Bis dahin stell ich schon mal ein paar Beispiele für ungewöhnliche Stellenanzeigen und Recruiting-Maßnahmen zusammen. Mein Favorit ist jetzt schon ein Kläranlagenbauer aus Brandenburg. Der sucht Schlosser und Metallbauer mit dem Slogan: "Den ganzen Scheiß über Kläranlagen lernst Du bei uns." Ich merke, wie mich die Kreativität geradezu anspringt. Für die Juniors, die wir suchen, machen wir eine Joblotterie. Mit dem Slogan: "Du bist der HAUPTGEWINN!" Zu gewinnen gibt es 40.000 Euro und unterlegt wird das Ganze mit dem Song von Max Giesinger: "Einer von 80 Millionen". Das wird groß.


Zum Autor: Christian Faltin und Andreas Haupt kennen sich schon lange. Beide schreiben regelmäßig Tagebuch - schonungslos fiktiv, gnadenlos persönlich und nichts für schwache Nerven. Mit der Realität hat das natürlich gar nichts zu tun, deswegen ist auch keine künstliche Intelligenz im Spiel. Bis auf eine kleine Ausnahme. Mehr über den einen Autor unter Christianfaltin.de   . Er hat auch ein ganz tolles Linkedin-Profil.

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