11.05.2023 - Wie weit müssen Marketingverantwortliche künftig ihre Zielgruppen fassen? Wenn Cookies und Werbe-IDs für Werbung über Apps und Websites nicht mehr zur Verfügung stehen, werden Alternativen nachgefragt - und kontrovers diskutiert.
von Christina Rose
Man reibt sich verwundert die Augen, welche Phänomene auf einmal ein Revival erleben. Wenn der Weg zur datenbasierten Verfolgung von NutzerInnen und ihren Interessen durch die Abschaffung von Third-Party-Cookies versperrt ist, machen Hilfskonstrukte Karriere, wie beispielsweise die guten alten Personas. "Wir entwerfen Personas 2.0, damit targeten wir Personas, keine Personen", erklärt Jan Heumüller, Managing Director des Adtech-Unternehmens Ogury Germany
. Personifizierung statt Personalisierung, so sein Credo. Wortspielerei oder was steckt dahinter?
Das Thema Personas treibt den Erfolg oder Misserfolg einer Kampagne, erklärt Thomas Koch
, Media-Urgestein und Gründer von The DOOH Consultancy. Personas sind ein Gedankenkonstrukt erfand, um den Kreativen eine Vorstellung davon zu geben, wer eigentlich die Zielgruppe ist. Koch: "KundInnen mochten diese neue Idee, Menschen zu beschreiben." Das Ganze scheiterte ein paar Jahre später daran, dass es nicht umsetzbar war, erzählt er: "Die Medialeute bekamen die Personas vorgesetzt, die sie aber nicht in ihre Systeme eingeben konnten. Also muss man aus der 'Persona Angelika' wieder eine Hausfrau zwischen 30 und 49 Jahren machen."
Die Diskussion um Personas zeigt vor allem, wie viel Verunsicherung zum Thema Personalisierung eigentlich herrscht. "Durch technische Möglichkeiten war es fast eine Perversion, NutzerInnen hyperpersonalisiert anzusprechen", sagt Heumüller. "Denn eigentlich ist das nicht im Sinne des Marketers, der nicht den einen Nutzenden mit bestimmten Produktvorlieben erreichen möchte, sondern 100, 200 oder 500.000 NutzerInnen, die dafür in Frage kommen, ein bestimmtes Produkt zu kaufen. Wie granular ist Werbung überhaupt sinnvoll?", holt er aus und teilt die Beteiligten im Adtech-Markt in drei Gruppen:
1. Walled Gardens wie Amazon, Facebook oder Google sowie reichweitenstarke Händler wie Edeka, Media Markt Saturn oder Rossmann. Heumüller: "Sie werden dank ihres Zugangs zu wertvollen First-Party-Daten, die mit Nutzereinwilligung erhoben wurden, weiter wachsen und wichtige Player in der Branche bleiben - insbesondere mit dem Aufstieg von Retail Media."
2. Eher "traditionelle" Adtech-Player, die weiterhin Kampagnen auf der Grundlage von Cookies und Werbe-IDs ausliefern: "Sie haben immer noch einen beträchtlichen Marktanteil, müssen sich aber an die bevorstehenden Veränderungen anpassen oder riskieren es, sich überflüssig zu machen", erklärt er. Unternehmen, die auf Unified IDs setzen, fallen ebenfalls in diese zweite Kategorie. Sie reproduzieren ID-basierte Technologien innerhalb nicht skalierbarer, reichweitenarmer Ökosysteme, die isoliert voneinander und nicht interoperabel sind. Alternativen, wie kontextbezogenes und semantisches Targeting mögen als einfacher Ersatzstoff erscheinen, doch reicht hier das Verständnis der Nutzerinteressen nicht aus. Diese Technologien bieten nicht die Nuancen, auf die Advertiser für ihre Zielgruppenansprache angewiesen sind.
3. Zu dieser Gruppe von Playern, die zukunftssichere Lösungen entwickeln, gehören Unternehmen aus dem offenen Internet, die sich eine neue Generation von Technologien zu eigen machen, die die Privatsphäre der NutzerInnen respektieren und unabhängig von Cookies und IDs funktionieren. Darunter zählt sich Ogury natürlich auch. "Sowohl NutzerInnen als auch Gesetzgeber schränken Nutzung von Daten immer mehr ein: Jede Cookie- und Ad-ID-basierte Ansprache wird schwieriger, Reichweiten sinken", argumentiert Heumüller.
"Allein die NetID verfügt Stand heute bereits über elf Millionen aktive NutzerInnen, was circa 15 Prozent der deutschen Internetnutzer entspricht", hält NetID
-CEO Jörn Strehlau dagegen. Statistisch würde man also bereits nur über den NetID Identifier in dieser Rechnung 750.000 Menschen seiner Zielgruppe ansprechen, mit dem inhärenten Vorteil, dass man verlässlich wisse, welchen Anteil man seiner Zielgruppe angesprochen hat und auch mit wie vielen Kontakten, rechnet er vor. "Deswegen sind und bleiben ID-basierte Angebote der Goldstandard, während kontextuelle Angebote die Nischen und Lücken abdecken werden, die von den IDs nicht geschlossen werden können." Darüber hinaus sei die Situation, dass man gegebenenfalls mehrere Angebote benötigt, um seine Zielgruppe in der Reichweite bestmöglich anzusprechen mediaplanerische Realität, seitdem es Mediaplanung gibt. Strehlau: "Wer behauptet, dies mit einer einzigen Lösung ändern zu können, bedient sich aus meinen Augen an zweifelhaften Praktiken."
Unbeeindruckt von dem Streit um den Königsweg der Post-Cookie-Ära sind Werbungtreibende aber gerade noch ganz anders unterwegs. Für viele Marken ist es schlicht praktisch, Drittanbieter-Cookies weiterhin als Teil ihrer Marketingbemühungen zu nutzen - solange es sie noch gibt. Auch wenn sie mit dieser Abhängigkeit ihre Chancen senken, auch zukünftig Wettbewerbsvorteile zu haben, so das Ergebnis einer Adobe-Studie. Demnach setzen 71 Prozent der Marketing- und CX-Verantwortlichen in Deutschland immer noch primär auf Drittanbieter-Cookies. Obwohl die Abschaffung von Cookies in Aussicht steht, geben 38 Prozent der Führungskräfte mindestens die Hälfte ihrer Marketingbudgets für Cookie-basierte Aktivitäten aus - und 59 Prozent planen sogar, ihre Ausgaben für Cookie-abhängige Aktivitäten in diesem Jahr zu erhöhen.
Dabei lassen die Unternehmen viel Geld liegen. 83 Prozent der Führungskräfte von Unternehmen, die auf Cookies angewiesen sind, geben an, dass sich mindestens 30 Prozent ihres gesamten potenziellen Marktes in Umgebungen befinden, in denen Cookies von Drittanbietern nicht funktionieren, wie beispielsweise auf Social-Media-Plattformen und auf Apple-Geräten. 47 Prozent sagen, dass sich 50 Prozent oder mehr ihres potenziellen Marktes in Umfeldern ohne Cookies befinden.
"Innovatoren verzichten komplett auf Ad-IDs, Cookies und Identifier und sind überzeugt, über Personas NutzerInnen zielgerichtet zu erreichen", sagt Jan Heumüller. Er ist Verfechter der 'Personified' Ansprache: "Es werden unterschiedliche Layer genutzt, um nicht mehr die einzelnen NutzerInnen zu identifizieren, sondern die jeweilige Ad Impression für eine Werbeauslieferung so zu qualifizieren, dass sie sehr genau den Merkmalen entspricht." Ogury arbeitet mit unterschiedlichen Datenlayern: zum einen mit semantischen Daten/kontextuellem Targeting, also klassischen Umfelddaten. Außerdem mit Bit Request: Um welche Uhrzeit, aus welcher Location und mit welchem Verbindungtyp greifen NutzerInnen auf diese Ad Impression zu? Heumüller: "Diese beiden Layer kann im Grunde jeder Marktteilnehmer einsetzen."
Außerdem kommen historische Mobile-Journey-Daten zum Einsatz: Auf Basis historischer Daten wird rekonstruiert, dass beispielsweise im Spiegel-Sportressort NutzerInnen eine 85 Mal höhere Wahrscheinlichkeit haben, Vielreisende zu sein, weil sie die Miles-and-More-App installiert haben, als die Grundgesamtheit des Internets. Und schließlich greift Ogury auf Survey-Daten zurück. Der Werbedienstleister kauft dazu bei Publishern Werbeslots, bei denen seine Lösung zum Einsatz kommt und liefert darüber generische Umfragen aus. Heumüller: "Das machen wir für unsere KundInnen auch kampagnenspezifisch. Diese Resultate verknüpfen wir mit den Ad Impressions."
Das Zusammenspiel der unterschiedlichen Layer erlaube auf dieser Basis Werbung auszuspielen: "Ich habe in Hamburg um 15 Uhr mit einem iPhone 13 bei Sonnenschein einen Zugriff bei einem Publisher, der sehr hohe Zustimmungswerte hatte bei dem Thema 'Ich bin auf der Suche nach einem neuen Elektrofahrrad'. Auf dieser Basis entscheide ich mich, Werbung auszuspielen." Heumüller nennt dies personifizierte Werbung - "weg von Hyperpersonalisierung hin zu personifizierter Werbung, dazu brauchen wir keine persönlichen Nutzerdaten." NutzerInnen sollen also nicht getargeted, sondern Ad Impressions qualifiziert und klassifiziert werden.
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