Tesco Clubcard: Kundenbindung auf englische Art

18.04.2000 - Terry Leahy: "Die Konzentration auf den einzelnen Kunden ist der Schlüssel zum langfristigen Erfolg“

Von Sven Künzel
Gerade Großbritannien hat innerhalb Europas eine Vorreiterrolle für Loyalitätsprogramme eingenommen. Vor allem im Einzelhandel sind Loyalitätsprogramme stark verbreitet. Tesco ist ein Musterbeispiel für die erfolgreiche Einführung eines solchen Programms. Tesco ist das größte britische Lebensmitteleinzelhandelsunternehmen mit 639 Geschäften, einem Umsatz von 55,1 Milliarden Mark und einem Gewinn von 2,97 Milliarden Mark 1999.Nach einer Testphase hat Tesco im Februar 1995 das Loyalitätsprogramm "Clubcard" eingeführt. Seitdem liegen in allen Tesco-Geschäften Antragsformulare für eine kostenlose Mitgliedschaft aus. Die Antragsformulare enthalten einige Fragen zu Person und Haushaltsgröße. Diese Informationen werden zentral gesammelt. Tesco verknüpft diese Daten mit späteren Einkaufsvorgängen. Die Kunden können die Karte sofort nutzen, denn den Antragsformularen liegt die Clubcard bei. Zum Einlesen wird die Magnetstreifenkarte an der Kasse überreicht. Für jedes ausgegebene Pfund erhält der Kunde einen Punkt, das entspricht einem Rabatt von einem Prozent.

In der Anfangsphase musste für mindestens zehn Pfund eingekauft werden, um Punkte gutgeschrieben zu bekommen. Aufgrund von Kundenwünschen wurde der Mindesteinkaufsbetrag auf ein Pfund verringert, denn viele, besonders ältere Kunden, kaufen häufig, aber nur in kleinen Mengen ein. Tesco hat sein Marketingbudget von der Fernseh- und Printwerbung hin zu Mailings verlagert. Regelmäßige Clubcard-Nutzer erhalten vierteljährlich eine Benachrichtigung über den aktuellen Punktestand sowie Belohnungsgutscheine. Diese Gutscheine ergeben sich aus dem erreichten Punktestand und können bei künftigen Einkäufen eingelöst werden. Zusätzlich erhalten die Kunden Produktgutscheine für besondere Preisaktionen, vor allem von Eigenmarken, die in vielen Produktkategorien bereits für über 50 Prozent der Umsätze verantwortlich sind. Tesco verschickt über neun Millionen Benachrichtigungen an die Mitglieder - diese Mailingaktionen sind, im entsprechenden Zeitraum, für über sechs Prozent aller Postsendungen in Großbritannien verantwortlich.

Die Mailings werden in über 80.000 Varianten verschickt. Eine eigene Kundenzeitschrift, das Clubcard Magazine, ist beigelegt. Tescos Clubcard Magazine ist Europas auflagenstärkste Kundenzeitschrift. Sie wird in vier verschiedenen Versionen produziert, um sie möglichst genau den Kundenbedürfnissen anzupassen. Seit der Einführung der Clubcard werden ständig neue Unternehmen in das Programm integriert. So können Kunden auch bei Reisebüros, Baumärkten, Sportgeschäften und Energieversorgern Punkte sammeln. Eine der neuesten Entwicklungen ist die Clubcard-Plus. Damit kann der Kunde Geld auf sein Clubcard-Konto überweisen und für Einkäufe bei Tesco nutzen. Der Vorteil für den Kunden: ein Zinssatz von fünf Prozent, der deutlich über dem der Geschäftsbanken liegt - der Zinssatz für den Dispositionskredit ist günstiger als bei normalen Bankkonten. Partner für die Clubcard-Plus ist eine der größten Banken Großbritanniens, die Royal Bank of Scotland.

Tesco verfügt dank der gesammelten Daten über ein detailliertes Bild der einzelnen Kunden. Tim Mason, Tesco-Marketing Direktor, sagt: "In Zukunft wird das Eingehen auf individuelle Kundenbedürfnisse der entscheidende Erfolgsfaktor sein." Mason glaubt, dass künftig jedes Geschäft eine eigene Marketingeinheit bilden und das Micro-Marketing an vorderster Front der Marketingstrategie stehen wird. Bekanntlich wächst echte Kundenbindung aus einer Kombination von finanziellen und emotionalen Aspekten. Die Käufer sollen das Gefühl haben, dass sie besondere Kunden sind und Tesco ihnen eine spezielle Wertschätzung entgegenbringt. Darum setzt Tesco exklusive Events in den Geschäften ein, die nur von den Top-Kunden besucht werden können. Zu diesen Events gehören vor allem Produktvorstellungen, Käse- und Weinabende sowie Kochkurse.

Jüngst hat Tesco das Clubcard-Programm durch bestimmte Ausgabenschwellen erweitert. Dadurch sollen gute und sehr gute Kunden noch bessere Leistungen erhalten. Diese Kunden können jetzt zum Beispiel sehr günstige Freizeitaktivitäten, etwa einen Kurztrip nach Disneyland Paris zum Viertel des normalen Preises oder Flugreisen - nach Amsterdam für rund 64 Mark - buchen. Allein im Jahr 1999 haben die Mitglieder Gutscheine im Gesamtwert von 839,4 Millionen Mark erhalten. Das Clubcard-Progamm fand bei den Kunden von Anfang an großen Anklang, mittlerweile besitzen mehr als zehn Millionen Haushalte eine Tesco Clubcard. Über 80 Prozent aller Umsätze werden über die Clubcard abgewickelt. Tesco konnte den Marktanteil von 15,7 Prozent 1994 (vor der Einführung der Clubcard) auf mittlerweile 20,5 Prozent erhöhen. Lord McLaurin, der ehemalige Tesco-Vorstandsvorsitzende, ist davon überzeugt, dass die Clubcard maßgeblich zu der Erhöhung des Marktanteils beigetragen hat. Tesco konnte außerdem aufgrund der Clubcard den durchschnittlichen Einkaufswert von 23 auf 26 Pfund erhöhen.

Ein eigens eingerichtetes Call Center beantwortet mittlerweile pro Jahr über drei Millionen Kundenanfragen. Via Internet können Tesco-Kunden nicht nur online einkaufen, sondern auch ihren aktuellen Punktestand abfragen. Zudem gewährt Tesco seinen Kunden seit kurzem einen kostenfreien Internet-Zugang samt eigener E-Mail-Adresse. Die einzigen Kosten, die für die Kunden beim Surfen anfallen, sind Telefongebühren zum Ortstarif. Für den Tesco-Vorstandsvorsitzenden Terry Leahy steht fest: "Die Konzentration auf den einzelnen Kunden ist der Schlüssel zum langfristigen Unternehmenserfolg."

Sven Künzel, der derzeit in Großbritannien promoviert, ist selbstständiger Unternehmensberater.

Ihr Guide im New Marketing Management - ab 6,23 im Monat!

Hat Ihnen diese Beitrag weiter geholfen? Dann holen Sie sich die ONEtoONE-Premium-Mitgliedschaft. Sie unterstützen damit die Arbeit der ONEtoONE-Redaktion. Sie erhalten Zugang zu allen Premium-Leistungen von ONEtoONE, zum Archiv und sechs mal im Jahr schicken wir Ihnen die aktuelle Ausgabe.

Diskussion:

Vorträge zum Thema:

  • Bild: Ralph Langner
    Ralph Langner
    (R+V Versicherung)

    Wie man Kundeninteraktionen stets menschlich bei gleichzeitig hohem Automatisierungsgrad gestaltet

    Die R+V Versicherung nutzt das CRM-System "emma" zur Automatisierung personalisierter Kundeninteraktionen, welches auf analytische Datenmodelle und maschinelles Lernen setzt. Customer Journeys und Next Best Actions werden hierbei durch präzise Algorithmen orchestriert und dafür sinnvolle Prozessautomatisierung eingesetzt. Wesentlich ist aber bei alldem, dass die Ansprachen Ihr Kernziel erfüllen: Aufmerksamkeit und Relevanz bei unseren Kunden zu erzeugen und überzeugende Kundenerlebnisse zu schaffen. Use Cases untermauern das Potenzial von "emma", die Kundenbindung durch kontextbezogene, automatisierte Kundeninteraktion zu stärken und eine konsistente Kommunikation über alle Kontaktpunkte zu erreichen.

    Vortrag im Rahmen der Dialog.Konferenz.24 am 03.09.24, 10:00 Uhr

Anzeige
www.hightext.de

HighText Verlag

Mischenrieder Weg 18
82234 Weßling

Tel.: +49 (0) 89-57 83 87-0
Fax: +49 (0) 89-57 83 87-99
E-Mail: info@onetoone.de
Web: www.hightext.de

Kooperationspartner des

Folgen Sie uns:



Besuchen Sie auch:

www.press1.de

www.ibusiness.de

www.neuhandeln.de