08.07.2021 - In Zeiten der Digitalen Transformation und eines rasant wachsenden E-Commerce dominiert die Sortimentspräsentation im Internet. Doch wie sieht es mit den klassischen Print-Katalogen aus? Gibt es sie überhaupt noch, sind sie überflüssig oder braucht man sie womöglich gar zum Einlösen des digitalen Versprechens? Eine Standortbestimmung.
von Harald Nebel
Die "Legenden", die Kataloge von Neckermann
und Quelle
, sind schon lange Geschichte, weil beide große Versandhändler Nachkriegsdeutschlands aufgeben mussten. Die Otto Group
hat ihren Hauptkatalog 2018 eingestellt, und selbst für die Ikone der neuen Generation, den Ikea
-Hauptkatalog, fällt dieses Jahr der Vorhang. Bei Otto und Ikea allerdings aus ganz anderen Gründen als bei Quelle und Neckermann: Weder der Hamburger Handelsgruppe noch dem schwedischen Möbelhaus droht das Ende. Nein, es ist die Ära der Massendruckerzeugnisse, über die scheinbar unaufhaltsam die Götterdämmerung hereinbricht.
Ende 2020 hatte die weltweite Ikea Franchisegeberin Inter Ikea Systems
den Klassiker eingestellt, der in einer Millionenauflage erschien und zu dem Erfolg des Konzerns entscheidend beigetragen habe. "Allerdings ist Ikea in der Zwischenzeit digitaler geworden und hat neue Wege gefunden, um die Menschen zu erreichen", begründet das Unternehmen den Schritt. Der Ikea-Katalog gehöre zu den "bekanntesten und beliebtesten Produkten" des Konzerns und habe "Milliarden Menschen weltweit inspiriert", sagt Konrad Grüss
, Managing Director Inter Ikea Systems
. Die Nutzung der Printausgabe sei jedoch stark rückläufig. Die Entscheidung, das Kapitel "Ikea Katalog" zu beenden, war eine Folge des veränderten Medienkonsums und Verbraucherverhaltens.
Bereits in den vergangenen Jahren hatte Ikea rund um den Katalog neue Formate wie Augmented-Reality-Anwendungen und neue Verbreitungswege getestet. Aus Rückmeldungen der KundInnen und Erfahrungen aus den Ikea-Einzelhandelsmärkten zeichnete sich ab: Die Verbrauchen planen ihre Einrichtung zunehmend von zu Hause aus - mit bestehenden, aber auch neuen Tools. Basierend auf diesem veränderten Konsumentenverhalten will Ikea die künftig Kundenkommunikation weiterentwickeln, unter anderem durch den Ausbau digitaler Services und über neue Apps.
"Die Frage lautet: Braucht es überhaupt noch einen klassischen, also gedruckten Katalog?", provoziert Jens-Christian Jensen
, Chefstratege bei Digitas Pixelpark
, und prognostiziert: "Die einzige Antwort darauf lautet: Gestern ja, heute noch hier und da, morgen definitiv nein. Denn seien wir doch mal ehrlich, wir alle wissen eigentlich längst, dass der gedruckte Katalog in naher Zukunft Geschichte sein wird." Wenig überraschend: Jensen arbeitet in einer Digitalagentur.
Noch eindeutiger ist Thomas Janzon
, CCO bei Garpa Garten & Park Einrichtungen
, für dessen Vertrieb der Printkatalog immer noch die Hauptrolle spielt. Er sagt: "Der Garpa Katalog (...) ist weit mehr als ein Verkaufskatalog." Von seinen KundInnen weiß er, dass der Katalog über viele Monate immer wieder zur Hand genommen wird, zur individuellen Planung mit Notizen versehen und als nachhaltige Inspirationsquelle verwendet wird. Janzon: "Das haptische Erleben des Blätterns, die hohe Bildqualität und Wertigkeit machen ihn zum Coffee Table Book, für das man sich bewusst und gern Zeit nimmt."
Eine ausgemachte Sache ist das nahende Ableben des Print- Kataloges dann doch nicht. Zumal sein Rivale, der Online-Katalog, hier und da auch Schwächen hat: "Die Such- und Verweisfunktionen zeigen nur das Gefragte, nicht das Ungefragte, aber auch Interessante", betont Michael te Neues
, Regional-Vertriebsleiter bei Portica Marketing Support
, und fährt fort: "Hier ist auch der beste Suchalgorithmus immer noch eine Einschränkung. Der Printkatalog dagegen ermöglicht das nicht vorsortierte 'Querlesen', das 'Entdecken des Ungefragten'."
Andreas Siegel
, Director Creative Services bei Digitas Pixelpark, erklärt wie beides kongenial zusammengehen kann: "In der digitalen Form schlummert Automatisierungspotential. Für einige unserer KundInnen haben wir in den vergangenen Jahren den Produktionsprozess von Katalogen vollständig automatisiert. Für einzelne Regionen und Märkte, Branchen und Kunden können sie so Print Assets on demand produzieren, aber alles aus Inhalten, die längst automatisiert und digital generiert werden. Das verschlankt den Produktionsprozess und führt zu deutlich kosteneffizienterer Produktion."
Ähnlich sehen auch die Lösungen von Ikea und der Otto Group für ihre eigene Post-Printära aus. Die Entscheidung, den IKEA Katalog nicht weiterzuführen, fiel im Zuge einer fortlaufenden Transformation, durch die der Möbelhändler digitaler und besser erreichbar werden will. Das hatten zuvor schon erzielte Ergebnisse nahegelegt: Der Onlinehandel war 2019 weltweit um 45 Prozent gewachsen, die Webseite Ikea.com auf mehr als vier Milliarden Besucher gekommen. "Gleichzeitig hat Ikea den Bereich digitaler Services ausgebaut", teilt das Unternehmen mit, "und neue Apps entwickelt, um den Kunden ein noch besseres Erlebnis zu bieten - wann und wo immer sie es wünschen."
Wann und wo immer die Kunden es wünschen, ist ein ehrgeiziges Ziel, das bis auf Weiteres nicht ohne Print auskommt: In den Läden etwa gibt es den klassischen Ikea-Katalog immer noch. Und auch Otto kommt bei aller Digitalisierung ohne Print nicht aus. "Wir bei Otto", erklärt Direktor Vertrieb Dr. Nicolai Johannsen
, "ermitteln mithilfe von Datenprognosen die Sortimentsvorlieben, die Printaffinität sowie die Kaufwahrscheinlichkeit von NutzerInnen und entscheiden auf dieser Basis, ob und welches Printformat für einen Kunden geeignet ist."
Im nächsten Schritt kommen personalisierte Werbemittel zum Einsatz, etwa eine Postkarte mit individualisierten Produktempfehlungen. Statt Gießkanne (für alle gleich viel) gebe es also datengetriebene Analysen und Scoringmodelle, die bei der Entscheidung helfen, ob ein Printwerbemittel zum Einsatz kommt oder nicht.
Lesen Sie weiteren Themenschwerpunkten, wie beispielsweise Influencer Marketing mit Avataren oder Femvertising hier
als E-Paper, Ausgabe 06/2021.
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