Diversity

Diversitäts-Dilemma in deutschen Unternehmen spitzt sich zu

15.09.2021 - Deutsche Unternehmen stecken in einem Diversitäts-Dilemma. Regenbogenmarketing und Lippenbekenntnisse reichen den StakeholderInnen nicht mehr aus, der Veränderungsdruck steigt. Damit stehen viele Top-ManagerInnen vor der Wahl zwischen einem herausfordernden, tiefgreifenden Wandel und dem Ignorieren des Potenzials von Diversität als erfolgskritischem Wirtschaftsfaktor.

von Christina Rose

Das sind Ergebnisse des German Diversity Monitor, der unter der wissenschaftlichen Begleitung von Prof. Dr. Susanne Schmidt, vom Lehrstuhl für Internationales Management an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg   , in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal veröffentlicht wird. Während die Studie im Jahr 2020 zu der Erkenntnis "Diversität in deutschen Unternehmen ist mehr Lippenbekenntnis als Realität" kam, hat sich die Lage in diesem Jahr zu einem Diversitäts-Dilemma zugespitzt. Durch den zunehmenden Veränderungsdruck von StakeholderInnen, haben sich Unternehmen zu einem ausgeprägten Diversitäts-Aktionismus verleiten lassen. Das positive Engagement führt jedoch nicht zur gewünschten Verbesserung, vielmehr findet sich die deutsche Wirtschaft in einem Diversitäts-Stillstand wieder.

Viele Organisationen verharren in der Entscheidung zwischen einem tiefgreifenden Wandel oder der weitestgehenden Ignoranz von Diversität. "Unternehmen befinden sich aktuell in einem Diversitäts-Dilemma. Ist die notwendige Diversitäts-Transformation auf der einen Seite ein kostenintensiver und langwieriger Kraftakt für die gesamte Organisation, so hat die Entscheidung gegen diese unausweichlich zur Folge, dass Unternehmen sich im intensivierten Wettbewerb um Talente, Innovationen und die dringend erforderlichen Antworten auf die großen wirtschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit nicht werden behaupten können", kommentiert Victoria Wagner , Gründerin und CEO von BeyondGenderAgenda   , die Studienergebnisse.

Nur ein Viertel der Unternehmen macht Diversität zur ChefInnensache

Woher kommt der Stillstand bei der Diversitätsentwicklung? Der Großteil der Unternehmen befindet sich in einer Spirale der Ignoranz: Nur 26 Prozent der befragten Unternehmen siedeln die verantwortliche Person für Diversität im Vorstand bzw. der Geschäftsführung an und machen Vielfalt somit zur ChefInnensache. Liegt die Verantwortung für Diversität nicht im Top-Management, fehlen häufig auch die für die Transformation benötigten Ressourcen.

70 Prozent der Unternehmen stellen kein Diversitätsbudget zur Verfügung - auch personelle Ressourcen sind zu knapp

Der Großteil der befragten Unternehmen stellt überhaupt kein Diversitätsbudget zur Verfügung. Ist ein Budget vorhanden, geben 84 Prozent der Unternehmen an, dieses für Recruitingmaßnahmen zu nutzen. Eine einseitige Verwendung finanzieller Ressourcen kann jedoch zur Vernachlässigung wesentlicher Erfolgsfaktoren von Vielfalt führen, wie z. B. die Förderung eines inklusiven Arbeitsumfelds. Dies zeigt sich auch am Mangel personeller Ressourcen: In der Mehrheit der befragten Konzerne gibt es keine personellen Ressourcen, um Diversität nachhaltig in der Unternehmensorganisation und -kultur zu verankern. Wenn es Diversitätsverantwortliche im Unternehmen gibt, müssen sie diese Rolle und Aufgaben meist zusätzlich zu ihrer eigentlichen Tätigkeit erfüllen. Nur knapp 20 Prozent der Unternehmen mit einer verantwortlichen Person für Diversität haben eine hundertprozentige Diversitätsstelle.

Nur 26 Prozent der Unternehmen verfügen über Leistungskennzahlen zur Messung von Diversität

Für den Erfolg des Diversitätsmanagements ist es, neben der richtigen Verankerung der Verantwortung und der Bereitstellung angemessener Ressourcen, ebenfalls von wesentlicher Bedeutung, dass frühzeitig ambitionierte Leistungskennzahlen definiert, Ziele gesetzt und eine entsprechende Erfolgsmessung etabliert werden. Mehr als drei Viertel (88 Prozent) der befragten Unternehmen geben zwar aktuell an, dass Diversität einen Beitrag zur Erschließung neuer Zielgruppen leistet, nur weniger als ein Drittel halten jedoch die Auswirkungen von Diversität auch nach. Somit ist es den Unternehmen nicht möglich, den Beitrag von Diversität zum Erfolg zu erfassen und so ihr wahres Wirkpotential zu erkennen. Auf dieser Basis kann kein strategisches Diversitätsmanagement implementiert werden.

Fehlende nachhaltige Diversitätsstrategien in den meisten deutschen Unternehmen führen lediglich zu kurzfristigen Aktionen bei einzelnen Diversitätsdimensionen. Es fehlt in der Regel nicht nur ein ganzheitlicher, alle Diversitätsdimensionen umfassender Ansatz, einzelne Diversitätsdimensionen werden sogar gegenüber anderen diskriminiert. Besonders auffällige Ergebnisse zeigt der German Diversity Monitor 2021 bei den folgenden Diversitätsdimensionen auf:
  • Gender - Die männliche Dominanz in den DAX-Vorständen trotzt der gesetzlichen Mindestanforderung durch FüPoG II. Es gilt maximal eine Frauenquote von 25 Prozent zu erfüllen, eine paritätische Besetzung mit 50 Prozent Frauen ist somit noch weit entfernt. Die Erweiterung des DAX 30 auf DAX 40 senkt die Frauenquote im deutschen Aktienleitindex aktuell sogar noch von 19 Prozent auf knapp 17 Prozent. Es bleibt bei einer weiblichen CEO - also nur 2,5 Prozent weiblichen CEOs im DAX 40!
  • LGBT+ - Es zeigt sich eine starke Diskrepanz zwischen kommunizierter Ambition und tatsächlicher Umsetzung. Unternehmen präsentieren sich umfassend in Regenbogenfarben und 40 Prozent von ihnen bewerten die Relevanz der Dimension LGBT+ mit "hoch". Dennoch bieten weniger als 20 Prozent der befragten Unternehmen spezifische Maßnahmen zur Förderung in diesem Bereich an.
  • Disability - Die Abnahme der Relevanz der Diversitätsdimension Disability gleicht einer Talfahrt in die Bedeutungslosigkeit. Mehr als 30 Prozent der befragten Unternehmen schreiben dieser Dimension eine geringe Relevanz zu. Das sind 20 Prozent mehr als im Vorjahr.
"Das Missverhältnis zwischen der gesteigerten Außendarstellung von Diversität und den tatsächlich durchgeführten Maßnahmen ist erschreckend. Ich sehe hier die CEOs in der Verantwortung sich dem Thema anzunehmen und die Rolle des Chief-Diversity-Drivers persönlich einzunehmen", sagt Victoria Wagner. Für eine erfolgreiche Diversitäts-Transformation müssten budgetäre und personelle Ressourcen in kritischer Höhe bereitgestellt werden. Unternehmen sollten die gesetzlich vorgeschriebene Frauenquote in eine selbstverpflichtende Diversitätsquote wandeln, um Top-Führungspositionen tatsächlich mit Personen mit der besten Eignung, unabhängig von ihrer Prägung, besetzen zu können.

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