Social Media

Gesetz gegen Hassreden: NetzDG hat nahezu keinen Effekt

25.03.2021 - Mit dem 2017 in Kraft getretenen Gesetz wollte die Bundesregierung Hassrede im Internet bekämpfen und die sozialen Netzwerke zu einer schnellen Löschung bestimmter strafbarer Inhalte verpflichten. Forschungsteam hat nun die praktische Anwendung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) untersucht. Vernichtendes Ergebnis: Das NetzDG hat fast keinen unmittelbaren Regulierungseffekt bei den global agierenden Sozialen Netzwerken Facebook, YouTube und Twitter hat.

von Susan Rönisch

"Die allermeisten Inhalte werden von den sozialen Netzwerken aufgrund ihrer eigenen Community-Standards geprüft und entfernt, nicht jedoch wegen des NetzDG", erläutert Studienautor Marc Liesching , Professor für Medienrecht und Medientheorie an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK Leipzig)   . Zudem erfolgten bei Facebook   und YouTube   mittlerweile mehr als 90 Prozent der Inhaltsentfernungen automatisiert und proaktiv, also noch bevor überhaupt eine Nutzerbeschwerde eingeht". Das NetzDG gilt demgegenüber ohnehin nur für Inhalte, von denen die Sozialen Netzwerke auf Beschwerde hin erfahren. Facebook habe beispielsweise im zweiten Halbjahr 2020 allein im Bereich "Hassrede" 49 Millionen Inhalte aufgrund Verstoßes gegen seine eigenen Gemeinschaftsrichtlinien entfernt. Demgegenüber wurden im gleichen Zeitraum lediglich 154 Inhalte bei NetzDG-Beschwerden wegen Verstoßes gegen die dort genannten deutschen Strafvorschriften gelöscht.

Auch Monitoring im Auftrag des Bundesamts kann keinen Effekt belegen

Im Rahmen der Studie wertete das HTWK-Forschungsteam auch erstmals die bislang unveröffentlichten NetzDG-Monitoringberichte aus, die das Bundesamt für Justiz   im Zeitraum 2019/2020 für rund 1,4 Millionen Euro beauftragt hatte. Demnach ist der Anteil "eindeutig rechtswidriger" Inhalte, die den sozialen Netzwerken Facebook, YouTube und Twitter testweise gemeldet und durch die Plattformen entfernt worden sind, gegenüber den Monitoring-Daten vor Inkrafttreten des NetzDG im Mittelwert sogar gesunken. Zwar seien die Daten der unterschiedlichen Monitoring-Berichte aufgrund methodischer Unklarheiten nur eingeschränkt vergleichbar, "zumindest aber können die Berichtsdaten einen Regulierungseffekt des NetzDG nicht belegen", so Liesching.

Hinzu komme, dass das auf Bußgeldahndung ausgerichtete NetzDG praktisch keine Rechtsfolgen hat. Ursprünglich rechnete der Gesetzgeber 2017 mit jährlich rund 500 begründeten Bußgeldverfahren wegen Nicht-Löschung strafbarer Inhalte. Tatsächlich sei laut den Forschern in diesem Bereich aber seit über drei Jahren kein einziger Bußgeldbescheid ergangen. Auch dies deute auf eine kaum vorhandene praktische Relevanz des NetzDG hin.

Anhaltspunkte für Overblocking

Zudem hat das Forschungsteam an der HTWK Leipzig erstmals Kriterien entwickelt, die als Anhaltspunkte für ein "Overblocking" qualifiziert werden können. Hiermit gemeint ist die seit 2017 in der Rechtswissenschaft geäußerte Sorge, dass die im NetzDG geregelten engen Löschfristen und hohen Bußgelddrohungen die Sozialen Netzwerke dazu anreizen, im Zweifelsfall mehr zu löschen, als sie es nach dem deutschen Strafrecht müssten. Dies gehe zu Lasten der Meinungs- und Kommunikationsfreiheit. Auch die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages   und der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Hans-Jürgen Papier , hatten schon 2017 verfassungsrechtliche Bedenken aus diesem Grund geäußert.

In der unabhängigen Gesetzesevaluation an der HTWK Leipzig werden nun mehrere Anhaltspunkte für einen solchen Effekt ausgemacht. Wenn das NetzDG überhaupt einen Effekt habe, s"dann ist es ein tendenzielles Ausweichen der Sozialen Netzwerke in eine vorgeschaltete Lösch-Compliance nach eigenen, eher weit gefassten Community-Standards", so Liesching. Durch eine solche - durchaus legale - "Flucht vor dem NetzDG in die AGB" werde Overblocking befördert. Auch weitere geprüfte Kriterien sprächen nach der Studie für einen solchen Effekt.

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