Merck: "Neugier ist Kern-Skill"

Brigitte Alexander, Head of Brand, Merck Group (Bild: Merck)
Brigitte Alexander, Head of Brand, Merck Group

22.06.2021 - Pharmahersteller Merck gehört zu den Gewinnern des Pandemiejahres 2020. Hinter dem Erfolg des Konzerns steht vor allem die Lust am Neuen seiner Mitarbeitenden als treibende Kraft. Wie man diese hochhält, verrät Brigitte Alexander, Head of Brand und Live Communication, im Gespräch mit ONEtoONE.

von Christina Rose

Während andere Unternehmen Verluste und Kurzarbeit machten, hat Merck im Pandemiejahr 2020 ein Rekordergebnis eingefahren.Das Geschäft mit Produkten und Dienstleistungen für die Arzneimittelherstellung, neu zugelassene Medikamente sowie das Halbleitergeschäft brummen. Entsprechend will Merck   zum führenden Wissenschafts- und Technologieunternehmen aufsteigen. Was ist die Marketingstrategie? Welche Kanäle werden wichtiger und warum?

Sie implizieren die Antwort schon in Ihrer Frage. Merck ist ein auf Wissenschaft und Technologie ausgerichtetes Unternehmen. Der wissenschaftliche Fortschritt, der dem Weiterkommen der Menschheit dient, steht bei uns in allen Geschäftsbereichen im Mittelpunkt, sowohl in unserem Handeln als auch in der Kommunikation. Wir fördern das innovative Denken unserer MitarbeiterInnen durch spezielle Programme und richten auch unsere Kommunikation auf Themengebiete aus, die sich mit wissenschaftlichem Fortschritt, wissenschaftlicher Produktivität und Forschungsbereiche, die den Erfolg unserer wissenschaftlichen Neugier zeigen, beschäftigen. Das bestätigt auch klar unser "Daseins-Zweck", unser Purpose: Wir sind neugierige Köpfe und dem menschlichen Fortschritt verpflichtet. Unsere kommunikative Ausrichtung - hinsichtlich unserer Themen und die Art und Weise der Zielgruppenansprache - hat sich auch in diesem Jahr nicht geändert. Im Gegenteil, wir sehen derzeit die Bestätigung für diese Ausrichtung. Viele unserer Themen haben durch die Pandemie eine stärkere Bedeutung bekommen. Darüber hinaus setzen wir schon seit Jahren auf eine ausgewogene Mischung aus Information und Engagement. Dabei schlagen wir auch immer wieder kommunikative Wege ein, die im B2B-Bereich noch etwas ungewöhnlich sind.

Inwiefern und was genau machen Sie?
Wir bedienen uns aktuell beispielsweise bei der Kommunikation von Nachhaltigkeitsthemen, "Gamification"-Lösungen, setzen Spiele ein. Bereits in 2018 starteten wir mit einer Podcast-Serie, "Future Talk", in der wissenschaftliche Themen verständlich erklärt werden. Außerdem arbeiten wir seit mehreren Jahren in sieben Ländern mit B2B-InfluencerInnen im Kontext unserer Social-Media-Aktivitäten zusammen. Derzeit bauen wir ein Netz von internen InfluencerInnen auf, also MitarbeiterInnen, die Unternehmensinhalte in ihren eigenen Social-Media-Kanälen teilen. Wir haben für dieses Programm bereits über 1.300 KollegInnen gewinnen können und streben an, am Ende des Jahres bei 2.000 zu sein.

Wie läuft das bei Ihnen ab: Sind diese internen InfluencerInnen KollegenInnen, die per se Social-Media-erfahren sind oder schulen Sie sie?
Es handelt sich dabei um ein Programm, das allen Mitarbeitenden weltweit und über alle Konzernfunktionen hinweg offensteht, die in den sozialen Medien aktiv sind oder es werden möchten. Wir folgen damit bereits seit längerem dem Wunsch einiger Mitarbeitenden, mehr über ihre Arbeit in den eigenen Kanälen erzählen zu wollen. In Zusammenarbeit mit unseren drei Geschäftsbereichen haben wir dazu ein Employee Advocacy Tool eingeführt und bieten dazu regelmäßig Einstiegsschulungen an. Viele Mitarbeitende sind so aktiv, dass sie proaktiv Input für bestimmte Themen liefern und eigene Inhalte vorschlagen, die dann wiederum von ihren KollegInnen geteilt werden. Das verschafft uns eine zusätzliche Reichweite, stärkt das Netzwerken im Unternehmen und das Wichtigste: Es stellt die Mitarbeitenden von Merck in den Vordergrund.

An der Social-Media-Front geht es mitunter ruppig zu. Welche Erfahrungen haben die Merck-InfluencerInnen hier gemacht? Gibt es Feedback?
Das Feedback und der Austausch sowohl mit unseren Mitarbeitenden als auch mit der Community sind uns sehr wichtig. Dabei bleiben wir stets im engen Dialog mit unseren internen InfluencerInnen. Die Rückmeldungen waren bislang durchweg positiv. Die Möglichkeit, regelmäßig qualitativ hochwertige Inhalte teilen zu können, stärkt die persönliche Reputation der Mitarbeitenden in ihren Social-Media-Kanälen. Auch die Tatsache, dass sie die Themen aktiv mitgestalten können, hat einen hohen Reiz und führt dazu, dass die Anzahl der internen InfluencerInnen unentwegt zunimmt.

Der Erfolg des Unternehmens steht und fällt vor allem in einem wissenschafts- und technologiegetriebenen Umfeld mit der Entdeckerfreude der Mitarbeitenden. In der Neugier-Studie ist eine Erkenntnis, dass der Förderung von Neugier eine besondere Rolle zukommt. Wie wird das umgesetzt?
Die menschliche Neugier ist die treibende Kraft hinter Innovationen. Sie ist die wichtigste Eigenschaft im Streben nach Fortschritt und in unserer Unternehmenskultur eine tragende Säule. Vor diesem Hintergrund haben wir uns seit 2016 zur Aufgabe gemacht, Neugier im unternehmerischen Kontext zu definieren und messbar zu machen. Ziel ist es, die Auswirkungen von Neugier in verschiedenen Märkten und über verschiedene Branchen hinweg mit führenden ExpertInnen auf diesem Gebiet zu analysieren, zu validieren und auf lange Sicht zu fördern.

Das hat offenbar schon Früchte getragen: In unserer Neugier-Studie 2020 konnten wir feststellen, dass Merck-Mitarbeitende besonders entdeckungsfreudig und offen gegenüber Ideen Anderer sind. Auch beim Antrieb durch Wissenslücken erreichten wir hohe Scores. Wir fördern diesen Antrieb, indem wir bei unseren Mitarbeitenden viel Wert auf Autonomie, Selbstständigkeit und Eigenverantwortung legen. Und auf eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit, die weit über das eigene Fachgebiet hinausgeht. Dafür gibt es viele gute Beispiele, wie etwa die Erforschung von Flüssigkristallen, die als vielseitiges Material für immer neue Einsatzgebiete infrage kommen. Die Neugier unserer Forschenden und ihrer akademischen Kooperationspartner bewegt diese dazu, neue Einsatzgebiete für dieses vielseitige Material zu entdecken. Die Verwendung von Flüssigkristallen für Displays zum Beispiel war ein Zufallstreffer. Glück gehört dazu, aber auch Menschen mit einer Vision und vor allem Zeit und Ausdauer, diese zu verwirklichen.

Laut Studie haben 48 Prozent der Mitarbeitenden das Gefühl, "sich frei entfalten zu können und geistige Eigentümer ihrer Projekte" zu sein. Auf welche konkreten Maßnahmen und Umstände führen Sie das zurück?
Innovation gelingt am besten in einer Atmosphäre, in der Menschen offen und frei sind, mit neuen Ideen und Konzepten zu experimentieren und ihr volles Potenzial zu entfalten. Und die tatsächlich das Gefühl haben, dass ihre Entwicklungen und Forschungsergebnisse ihr geistiges Eigentum sind. Wir glauben fest an eine Innovationskultur, die nicht auf einer Top-Down-Mechanik, sondern auf Autonomie, Selbstständigkeit und Eigenverantwortung basiert.



Die spannende Erkenntnis aus unserer jahrelangen Neugier- Forschung ist: Neugier lässt sich lernen. Wir haben mit "Activate Curiosity" ein Programm entwickelt, das darauf abzielt, Teams bei der Lösung von Innovationsherausforderungen zu unterstützen. In spezifischen Teamübungen und mit technischen Anleitungen werden die Teilnehmenden in punkto Neugier darauf geeicht, in Projektgruppen kreative Lösungen zu finden. Mit unserem HR-Team bei Merck haben wir eine umfassende Strategie entwickelt, um dies zu erreichen - wir sprechen neugierige Talente an und verstärken unsere Bemühungen, durch spezifische Programme und Mitarbeiterförderung ein innovationsfreundliches Umfeld zu schaffen.

Begriffe wie Nachhaltigkeit und Diversity sind oft auf Ihren Webseiten zu finden. Was bedeutet das in der Praxis?
Beide Themen spielen für Merck eine große Rolle. Als zukunftsorientiertes Wissenschafts- und Technologieunternehmen setzen wir alles daran, um in puncto Nachhaltigkeit noch besser zu werden. Bis 2040 wollen wir bei unseren Treibhausgasemissionen klimaneutral sein. Außerdem zielen wir darauf ab, unseren Fußabdruck hinsichtlich Wasserqualität und -quantität zu verbessern - das anvisierte Jahr dafür ist 2030. Unser Ziel für eine nachhaltige Abfallentsorgung wollen wir bis 2025 erreicht haben. Wir haben verschiedene Programme entwickelt, die genau diese Optimierung möglich machen: zum Beispiel unser "Design for Sustainability (DfS)" oder das SMASH-Packaging-Programm, das die Nachhaltigkeit von Verpackungen deutlich verbessert.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgen wir bei dem Thema Diversity. Studien - auch unsere eigenen - belegen, dass vielfältige Unternehmen bis zu sechsmal innovativer und agiler sind. Eine breite Basis an kultureller Vielfalt, eine Belegschaft mit Gleichverteilung der Geschlechter und einem wesentlichen Anteil an Frauen in Führungspositionen macht Unternehmen langfristig erfolgreicher. Das deckt sich auch mit unseren Erfahrungen: Vielfalt macht uns stärker. Sie hat bei uns viele Facetten: Alter, Geschlecht, kulturelle Prägung, Sprache, Religion - die Liste ließe sich ewig fortsetzen. Der wichtigste Punkt ist sicherlich, dass wir bei Merck einander mit Offenheit und Toleranz begegnen und respektvoll miteinander umgehen. Wir glauben fest daran, dass wir aus all unseren Unterschieden Kraft ziehen und so gemeinsam Innovationen für KundInnen und PatientInnen vorantreiben können.
Wir haben immer wieder die positive Erfahrung gemacht, dass es hilfreich sein kann, ein bestimmtes Thema auch mal aus einer anderen Perspektive anzuschauen, sich mit KollegInnen auszutauschen, die komplett unterschiedliche Hintergründe haben. Um hier ein hohes Maß an Kollaboration sicherzustellen, gilt es natürlich, Silodenken nachhaltig zu überwinden. Da sind wir bei Merck auf einem guten Weg, aber es gibt noch Luft nach oben. Um Vielfalt zu fördern, müssen wir noch enger, auch abteilungsübergreifend, zusammenarbeiten.


Verraten Sie uns noch, was Sie konkret für die Zukunft planen, um Silos zu überwinden?
Ein großes Unternehmen mit unterschiedlichen Geschäftsbereichen wie unseres birgt immer die Gefahr von Silodenken. Das ist uns bewusst und wir steuern schon seit einiger Zeit ganz bewusst dagegen an. Ich hatte bereits unseren "Daseins-Zweck", unseren Purpose erwähnt. Wir sind neugierige Köpfe, dem menschlichen Fortschritt verpflichtet. Das ist eine große und wichtige Gemeinsamkeit, die alle MitarbeiterInnen vereint. Solche übergreifenden gemeinsamen Ziele zeigen, dass wir mehr im Blick haben als unseren eigenen Arbeitsbereich. Dazu ist natürlich auch viel interne Kommunikation nötig und die Möglichkeit zum informellen Austausch und Networking. Zudem gibt es immer wieder Cross-funktionale Projektteams, die gemeinsam an Zukunftsprojekten arbeiten.



Lesen Sie neben diesem Interview, weiteren Themenschwerpunkten, wie beispielsweise Femvertising oder Stellenwert der Print-Kataloge in der sich digitalisierenden Welt hier   als E-Paper, Ausgabe 06/2021.

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