In Journalistenkreisen ist die Redewendung "schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten" oft die Basis der Inhaltestrategie. Gespeist durch die Annahme, dass sich negativen Nachrichten mehr Zeitungen verkaufen und in den Online-Medien bessere Einnahmen erzielen lassen als mit positiven Nachrichten. Ob es tatsächlich einen Zusammenhang von Negativität und Nachrichtenkonsum gibt, war jedoch bislang weitgehend unerforscht und wurde nun erstmals wissenschaftlich nachgewiesen.
Ein internationales Wissenschaftlerteam mit den beiden Erstautoren Prof. Dr. Nicolas Pröllochs
von der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU)
und Claire E. Robertson
von der New York University (NYU)
unterstützt von weiteren Wissenschaftlern haben in einer Studie den Einfluss von negativen Formulierungen auf die Klickraten von Online-Nachrichten untersucht. Der Beitrag ist am 16. März 2023 in der Fachzeitschrift "Nature Human Behaviour"
erschienen.
105.000 unterschiedliche Überschriften gestestet
Um den Einfluss von negativer Sprache auf den Nachrichtenkonsum im Internet zu untersuchen, analysierte das Forscherteam einen einzigartigen Nachrichtendatensatz der einflussreichen US-Nachrichtenwebsite
Upworthy.com
. Für jeden veröffentlichten Artikel testete Upworthy.com in randomisierten Kontrollstudien mehrere Formulierungsvarianten für die Überschrift und zeichnete die zugehörigen Klickraten auf. Der untersuchte Datensatz bestand aus mehr als 105.000 unterschiedlichen Nachrichtenüberschriften, die mehr als 370 Millionen Internetnutzerinnen und -nutzer erreicht haben. Anhand dieser Daten konnte das Autorenteam die kausale Wirkung von negativen und positiven Worten auf die Klickraten von Nachrichtenüberschriften empirisch untersuchen.
"Unsere aktuelle Studie liefert kausale Evidenz, dass negative Worte in Nachrichtenüberschriften zu höheren Klickraten führten bzw. dass positive Worte die Klickrate verringerten", sagt Prof. Pröllochs, der am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der JLU die Professur für Data Science & Digitalisierung innehat. Die Zahlen zeigten:
"Bei einer durchschnittlichen Nachrichtenüberschrift erhöhte jedes zusätzliche negative Wort die Klickrate um 2,3 Prozent", so der Experte. Dies impliziere, dass die Nutzung einer negativeren Formulierung in der Überschrift die Klickrate für ein und dieselbe Nachricht signifikant erhöhte.
Forderung nach transparenten Medienpraktiken
Die Ergebnisse der Studie sollen zum besseren Verständnis beitragen, warum und wie Nutzerinnen und Nutzer Nachrichten im Internet konsumieren. Insbesondere in einer Zeit, in der sich Falschinformationen, Fake News und Verschwörungstheorien zunehmend im Internet ausbreiten. Auf der einen Seite profitierten Verlage und Nachrichten-Websites von Negativität in Form erhöhter Klickraten - und generierten damit höhere Einnahmen. Auf der anderen Seite sei es denkbar, dass Menschen sich - vielleicht unbeabsichtigt - selektiv diesen negativen Nachrichten aussetzen. Die aktuelle Studie ist aus Sicht des Forscherteams daher ein wichtiger Schritt, um die Medienkompetenz von Nutzerinnern und Nutzern zu verbessern sowie transparentere Medienpraktiken zu entwickeln.