Sharing Economy

Wie Handelsmarketer von der Sharing-Lust profitieren

Leihen statt kaufen: VR-Brillen stehen hoch im Kurs. (Bild: Pixabay / Eugene Capon)
Leihen statt kaufen: VR-Brillen stehen hoch im Kurs.

15.10.2019 - Die Akzeptanz von Sharing-Angeboten steigt mit der Vielfalt der Produkte. Auch Händler wie Tchibo, Otto, Media-Markt und Ikea haben die Vorteile von Mietmodellen entdeckt und sprechen damit gezielt neue Kundengruppen an. Wo noch Potenziale liegen.

von Frauke Schobelt

Die Entwöhnung von Eigentum ist weit fortgeschritten, vor allem jüngere Kunden schätzen den nur zeitweiligen Besitz von Produkten, Dienstleistungen und Inhalten - und zwar dann, wenn sie sie gerade brauchen. Ob Streaming-Dienste, Carsharing, E-Scooter, Kindermöbel, Metallsuchgeräte, Waschmaschinen, VR-Brillen - die Liste an Dienstleistungen und Produkten, die abonniert oder gemietet werden können, wird immer länger.

Eine nachvollziehbare Entwicklung, denn die Akzeptanz für Sharing-Angebote ist hoch. Das ist ein Fazit der repräsentativ erhobenen Studie 'Sharing Economy: Teilen statt besitzen' von YouGov   , für die im August 2.047 Personen befragt wurden. Demnach haben zwei von fünf Deutschen Sharing-Angebote bereits genutzt (19 Prozent) oder haben es noch vor (19 Prozent). Die große Mehrheit der Sharing-Nutzer (81 Prozent) gibt an, die Angebote in Zukunft noch häufiger nutzen zu wollen. Etwas über die Hälfte der Deutschen (53 Prozent) hat gegenwärtig kein Interesse an Sharing-Angeboten. Das bedeutet: Hier schlummert Potenzial.

Airbnb ist die bekannteste Marke

Zumal die Markenbekanntheit der Anbieter oft noch deutlich ausbaufähig ist. Für die Analyse fragte YouGov die Bekanntheit von 18 Marken in den Bereichen Coworking, Haushalts- und Gartengeräte, Kleidung & Mode, Mobilität, Reisen und Technik ab. Ergebnis: Fast die Hälfte der Befragten (47 Prozent) kennt Airbnb   , die US-amerikanische Plattform zur Buchung und Vermietung von privaten Unterkünften. Auch die Mitfahrzentrale BlaBlaCar   (42 Prozent) und die Tausch- und Verkaufsplattform Kleiderkreisel   (40 Prozent) sowie Uber   (39 Prozent) haben eine hohe Bekanntheit. Es folgen Flinkster   (16 Prozent), Call a Bike   , ShareNow   und Sixt Share   mit jeweils 14 Prozent und Nextbike (9 Prozent). Viel Luft nach oben, auch bei den anderen abgefragten Marken, die nur wenige der Befragten kennen, etwa FreeNow   (mytaxi, Chauffeur Privé, Clever Taxi, Beat), Lime   , Moia   , Otto Now   , ReachNow   (moovel, ReachNow), Tier   und WeWork   . Immerhin: 36 Prozent der Deutschen kennen den Begriff 'Sharing Economy' - aber nur knapp jeder Fünfte (18 Prozent) weiß, was er bedeutet.

Sharing-Angebote werden am häufigsten in den Bereichen Mobilität (67 Prozent) und Reisen und Touristik (61 Prozent) genutzt. Weniger beliebt sind laut YouGov aktuell noch die Bereiche Kleidung und Mode (44 Prozent), Haushalts- oder Gartengeräte (28 Prozent), Technik (25 Prozent) und Coworking (22 Prozent). Oft übertrifft allerdings die Nutzungsbereitschaft deutlich die aktuelle Nutzung - so können sich etwa zwei Drittel (68 Prozent) der Befragten vorstellen, Haushalts- oder Gartengeräte zu mieten, während es nur 28 Prozent aktuell wirklich tun.

Gut für die Kundenbindung

"Die Vielfalt von Sharing-Angeboten nimmt zu, wodurch diese für immer mehr Verbraucher attraktiv werden", sagt Philipp Schneider, Head of Marketing bei YouGov. "Unsere Daten zeigen, dass Sharing-Nutzer mit den Services mehrheitlich so zufrieden sind, dass sie grundsätzlich bereit sind, Angebote wieder zu nutzen. Damit handelt es sich um eine für Unternehmen attraktive Zielgruppe mit hohem Kundenbindungspotenzial in einem noch wachsenden Markt. Neben etablierten Anbietern bieten sich hier auch Newcomern Potenziale, um sich mit weiteren Services am Markt zu etablieren."

Ein "branchenübergreifendes Potenzial" schreibt auch der 'Online Mietservice Monitor' von Splendid Research   dem Miet-Geschäftsmodell zu. Demnach sind für die rund 1000 Befragten der Elektronikbereich und Heimwerken, gefolgt von Einrichtung, Sportgeräten, Kinderausstattung und Kleidung besonders interessant.

Der Handel wird zum Vermieter

Auch der Handel hat längst erkannt, dass Konsum nicht mehr alleine durch den Verkauf von Gegenständen angekurbelt wird. Immer mehr Händler bieten eigene Mietmodelle oder kooperieren mit Start-ups, die Mietservices anbieten. Beispiele sind Media-Markt   , Saturn   , Conrad   , Gravis   , Tchibo   - alle mit Grover   , Euronics   , Tchibo Share   mit Kilenda   , Otto Now   , Baumärkte wie Obi   und Hornbach   und neuerdings auch Ikea   .

2020 startet ein entsprechender Test in allen 30 Ikea-Märkten, darunter Deutschland. Die Motivation dahinter: Angebote zur Miete sollen Möbel auch für Käufer erschwinglich machen, die sich den Gesamtpreis nicht leisten können. Auch Nachhaltigkeit führt Ikea ins Feld: Wer gemietete Produkte mehrfach einsetzt, verlängert deren Lebensdauer. Der Vorteil von Mietabos für Ikea: Der Möbelhändler bleibt Eigentümer des Produkts und kann dessen Weiternutzung sicherstellen, bevor das Material und die Komponenten am Lebensende des Produkts recycelt werden. Die Abo-Modelle sind Ergebnis einer großem Umstrukturierung im Ikea-Konzern. Das Unternehmen baut derzeit komplett um und fokussiert sich verstärkt auf das Digitalgeschäft und den E-Commerce.

Plattform für Neukunden

Otto Now sieht die Miet-Aktivitäten des Wettbewerbers Ikea gelassen. Schon seit 2018 testet das Otto-Start-up die Vermietung von Möbeln. Kunden können unter anderem Stühle, Büromöbel, Schränke und Betten mieten. "Aus unserer Sicht ist es noch zu früh, hier Bilanz zu ziehen", erklärt Co-Founder David Rahnaward. Für die Vermietung von Home&Living-Produkten sehe das Unternehmen allerdings so großes Potenzial, dass es in diesem Jahr weitere 50 Artikel aus dem Bereich wie Teppiche und Lampen mit ins Angebot aufgenommen hat. "Aber wir testen und beobachten natürlich selbst auch, wie die Produkte angenommen werden und sind dementsprechend offen für zukünftige Anpassungen und Ergänzungen", so Rahnaward.

2016 ging Otto Now mit 100 Produkten an den Start, seitdem hat Otto weiter kräftig investiert. Heute bietet das Start-up mehr als 1.000 Artikel aus den Bereichen Multimedia, Haushaltselektronik, Sport und Möbeln an. Neu seit 2019 ist eine Kooperation mit Möbelhersteller Hülsta   . Gemeinsam bieten die Partner Kindermöbel wie Wickelkommoden, Kleiderschränke und Betten zur Miete an. Ein Babybett gibt es ab rund 15 Euro monatlich, eine mehrteilige Einrichtung fürs Baby- und Kinderzimmer ab 72 Euro pro Monat. "Wir arbeiten immer daran, Otto Now weiterzuentwickeln, dementsprechend sind wir für weitere Kooperationen offen und im Austausch mit möglichen Partnern", sagt David Rahnaward.

Im Mai 2019 verkündete Otto Now weitere Neuerungen: Seitdem ist auch die Kurzmiete für nur einen Monat möglich. Mit der kürzeren Mietdauer will das Unternehmen noch stärker Kunden ansprechen, die etwa eine Kamera nur für einen Sommerurlaub benötigen. Oder die mit der Anschaffung einer Drohne oder einer Virtual-Reality-Brille liebäugeln und diese erst testen wollen. Was gefällt, können sie dann gleich behalten, denn ebenfalls neu ist die Kaufoption. Die bereits geleisteten Mietzahlungen werden auf den Kaufpreis angerechnet. "Da wir als internes Start-up von Otto und aufgrund unserer Strukturen sehr flexibel sind, können wir auf Kundenwünsche recht schnell reagieren", erklärt Rahnaward. Der Vorteil für die Mutter Otto: "Mithilfe von Otto Now gelingt es Otto vor allem, eine weitere Kundengruppe zu erschließen: Menschen, die nicht an einem Kauf, sondern daran interessiert sind, Produkte vorübergehend nutzen zu können."
Entsprechend sieht die Kundenstruktur aus: "Otto Now befindet sich derzeit in einer Wachstumsphase, in der erfreulicherweise besonders viele Neukunden generiert werden. Generell ist der durchschnittliche OttoNow-Kunde eher männlich, jung und technikaffin", sagt Rahnaward. Um weiter zu wachsen, soll die Marke zukünftig stärker beworben werden: "Aktuell testen wir die aktive Bewerbung der Dienstleistung auf unterschiedlichen Kanälen." Otto Now öffnet sich mit seinem Mietangebot außerdem für Geschäftskunden, mit Fokus auf Einzelunternehmen und Freiberufler.

Retouren sinnvoll nutzen

Im ständigen Testmodus ist auch Tchibo Share, das mit dem Startup Kilenda zusammenarbeitet und seit Januar 2018 Baby- und Kinderkleidung anbietet. Neu im Sortiment sind seit kurzem auch Kindermöbel, in Kooperation mit Hersteller Pinolino   .

Im Mai zog das Unternehmen eine erste Bilanz: Sowohl die Größe des Warenkorbs als die Conversion Rate steigen stetig an. "Je mehr wir Angebot verbreitern, desto mehr leihen sich unsere Kunden aus", erklärt Sarah Herms, Kreislaufwirtschaftsexpertin von Tchibo. "Die Tchibo Share Kundinnen, die zu uns gefunden haben, sind sehr loyal und treu und mieten immer weiter", ergänzt Sandra Coy, Sprecherin für Nachhaltigkeit und Qualität bei Tchibo. Ein Invest, das sich für den Händler also lohnt. Zumal 90 Prozent der vermieteten Kleidungsstücke wieder einsetzbar seien, so Herms.

Um Tchibo Share langfristig und damit nachhaltig zu betreiben, so Herms, brauche es aber ein breiteres Kundenfundament. Daran arbeitet Tchibo verstärkt in diesem Jahr. Was geplant ist: Ausbau des Sortiments alle sechs Wochen, Erweiterung des Mietsortiments für die Zielgruppe Mütter und Mietprodukte für Familienurlaube und Kinderausstattung. Um Kunden zu gewinnen, nutzt das Unternehmen die Tchibo-Vertriebskanäle, außerdem gibt es Medienkooperationen mit Utopia   sowie Medien und Plattformen für Lifestyle und Familien.

Von Partnerschaften profitieren

Die Ausweitung des Sortiments soll auch dem Tchibo-Partner Kilenda die Zukunft sichern, das neben Kindermode und Spielzeug seit Dezember 2018 unter der Marke 'Stay awhile' auch Damenmode anbietet. Das Unternehmen arbeitet dabei mit kleinen nachhaltig und fair produzierenden Labels zusammen, unter anderem Armedangels   . "Die Nachfrage ist großartig - es wächst schneller, als wir erwartet hatten - deshalb hatten wir zeitweise sogar zu wenig Kleidung", berichtet Hendrik Scheuschner, der das Magdeburger Start-up 2014 zusammen mit Patrick Trübe gegründet hat. Kilenda ist ihm zufolge 2018 weiter gewachsen und mittlerweile profitabel. "Das gibt uns viel Selbstbewusstsein, neue Themen zu beginnen und auch an weiteren Partnerschaften nach dem Vorbild Tchibo-Shares zu arbeiten."

Kooperationen gehören auch zum Geschäftsmodell von Grover, das unter anderem mit Media-Markt, Saturn, Conrad, Gravis und Tchibo zusammenarbeitet. Das Berliner Start-up bietet in seinem Onlineshop mehr als 2.000 Produkte aus zehn Kategorien zur Miete an. Zu den beliebtesten Produkten zählen Smartphones, Laptops, Gaming Equipment und Wearables. Auch die Nachfrage nach VR- und Smart-Home Equipment wächst kontinuierlich, so das Unternehmen. Das Sortiment wird stetig ausgeweitet und neue Produktkategorien geprüft, "der Fokus bleibt aber vorerst auf Hightech", erklärt Michael Cassau, CEO und Gründer von Grover.

Die meisten Stores und die längste Partnerschaft hat Grover mit Media-Markt. In seinem Onlineshop bietet der Elektronikhändler seit Anfang 2017 Produkte zur Miete an. 2019 weitete Media-Markt diesen Service auf alle 275 Standorte in Deutschland aus, bundesweit können Kunden seitdem direkt in den Filialen Produkte mieten, die mit dem Hinweis "Miet mich" gekennzeichnet sind. Vertragspartner ist Grover.

Konsumentenwunsch nach Nachhaltigkeit

Die Prognose von Michael Cassau für die Entwicklung von Mietmodellen in den nächsten fünf Jahren: "Der Markt birgt enormes Potenzial und wird stark wachsen.". Tchibo Share sieht im Markt für Mietservices ebenfalls "ein großes Potenzial, da immer mehr Menschen die Notwendigkeit erkennen, nachhaltiger konsumieren zu müssen", so Sprecherin Sandra Coy. "Wir sehen die Entwicklung positiv. Sobald das Thema 'Sharing'/Mieten im Mindset der Konsumenten verankert ist, wird es einfacher. Aber: das Mieten von Produkten wird immer nur einen Bruchteil im Vergleich zum Kauf ausmachen."

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