Karriere

Generation Krise: Die Gen Z gerät unter Existenzdruck

14.09.2022 - Ein aktuelles Karrierebarometer liefert tiefe Einblicke in den Gemütszustand der krisengeschüttelten jungen Talente. Dabei zeigt sich: Es regiert die Unsicherheit.

von Christina Rose

Studierende und AbsolventInnen sind nach über zwei Jahren Pandemie mit der nächsten Krise konfrontiert, die sie zunehmend verunsichert. Die meisten wissen inzwischen kaum mehr, was sie in der Arbeitswelt erwartet. Zwei zentrale Erkenntnisse des heute vorgelegten Karrierebarometers   , für das die Karriere- und Recruitingplattform Jobteaser   im August knapp 2.000 junge Talente befragt hat. Die StudienautorInnen machen hierfür unter anderem den Wegfall von Praktika und Nebenjobs verantwortlich. Neben dem spürbaren Mangel an Praxis hat das für die Betroffenen auch erhebliche Finanzierungslücken zur Folge. Zunehmende Inflation und steigende Energiepreise tragen ein übriges dazu bei. So fürchtet ein Großteil, das eigene Leben auf Dauer nicht finanzieren zu können. Vor dem Hintergrund dieser und weiterer Erkenntnisse sind Unternehmen nach Expertenmeinung gefordert, dem Nachwuchs klare Perspektiven zu bieten.

Sozial angeschlagen und besorgt

Zwar sind die Studierenden seit Sommer zurück an den Hochschulen - zwei Drittel erleben den Unibetrieb in Präsenz - doch die Hoffnung, dass sich im "Normalbetrieb" alles zum Guten wendet, hat sich nicht erfüllt. Inzwischen erschweren die wirtschaftlichen Folgen des Ukrainekriegs sowie zunehmende Inflation und steigende Energiepreise den Berufsstart zusätzlich. "Die vorgesehene Einmalzahlung von 200 Euro ist angesichts der Rahmenbedingungen eher ein Tropfen auf den heißen Stein", konstatiert Svenja Rausch , Head of Communication bei JobTeaser, dem Initiator der Studie.

Seit der ersten Befragung Anfang 2020 hat die Besorgnis konstant zugenommen. Mittlerweile sind es konkrete Zukunftsängste und existenzielle Nöte. So fürchten 44 Prozent der Studierenden und 59 Prozent der AbsolventInnen, ihr Leben nicht finanzieren zu können. Parallel sorgen sich 78 Prozent der Studierenden und 93 Prozent der AbsolventInnen auf Jobsuche um den beruflichen Lebensweg. Unter Studierenden hat sich dieser Wert seit 2020 mehr als verdreifacht.

Aus dem alten Kinderzimmer in die große, weite Arbeitswelt

Wie vorangegangene Karrierebarometer zeigten, haben nicht wenige ihr Remote-Studium zum Teil aus dem ehemaligen Kinderzimmer absolviert. Daher überrascht es kaum, dass mittlerweile 34 Prozent der AbsolventInnen auf Jobsuche die Sorge umtreibt, sich nicht in ein Team einfinden zu können. Für den Emotionsforscher Markus Küppers (September Strategie & Forschung   ) eine Folge der sozialen Isolation: "Nach langer Zeit allein zuhause gibt es zwangsläufig Schwierigkeiten mit der Wiedereingliederung in Präsenzstrukturen", erläutert er. "Wird man der Etikette gerecht? Kann man sich unterordnen? Sogar die Frage, was man anziehen soll, kann zur Herausforderung werden."

Neben der Sorge und Verunsicherung bleibt laut Studie auch die Orientierungslosigkeit der jungen Talente ausgeprägt. Mangels Praxis wissen viele inzwischen nicht mehr, was sie in der Arbeitswelt erwartet. Wie schon in der letzten Befragung haben 86 Prozent der Studierenden und AbsolventInnen keinen klaren Karriereweg mehr vor Augen.

Junge Talente gehen auf Nummer sicher

In Folge existenzieller Sorge ist das Bedürfnis nach Stabilität und Sicherheit weiterhin hoch. "Das einstige Jobhopper-Image der Gen Z ist nicht mehr erkennbar", resümiert Svenja Rausch. So erwägen 61 Prozent der Befragten, sich fünf, sieben oder gar zehn Jahre an ein Unternehmen zu binden. 31 Prozent können sich vorstellen, unbegrenzt beim selben Arbeitgeber zu bleiben. 73 Prozent wünschen sich einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Gleichwohl sind die jungen Talente auch kompromissbereit. Denn 53 Prozent geben an, im Krisenkontext auch einen befristeten Vertrag anzunehmen.

Auch bei der Wahl des künftigen Arbeitgebers ist das Sicherheitsbedürfnis aktuell groß. Bei den wichtigsten Kriterien rangiert das Gehalt (59 Prozent) ganz vorn. "Aufgrund der Sorge, den Lebensunterhalt nicht finanzieren zu können, verwundert das nicht", führt Markus Küppers an. "Viele Gewissheiten werden durch die Krise und die drohende Ressourcenknappheit in Frage gestellt. Weiche Kriterien werden unbewusst verrechnet gegen Sicherheit und Kontrolle."

An zweiter Stelle (54 Prozent) steht allerdings wieder die Work-Life-Balance, die zuletzt an Stellenwert verloren hatte. "Das ist keineswegs widersprüchlich", ergänzt der Emotionsforscher, "denn gerade in Krisenzeiten sind geschützte Räume wichtig."

Ansprüche an Arbeitgeber bleiben hoch

Gleichsam als Gegenpol zum Sicherheits- und Orientierungsbedürfnis behalten die jungen Talente den Anspruch einer sinnstiftenden Tätigkeit. 83 Prozent ist es auch in Krisenzeiten wichtig, dass ihre künftige Arbeit einen höheren Zweck verfolgt. Ebenso vielen setzen voraus, dass potenzielle Arbeitgeber Wert auf Gleichberechtigung und Diversität legen. 91 Prozent erwarten außerdem den Einsatz gegen Diskriminierung.

In puncto Homeoffice haben die jungen Talente hingegen ihre Schlüsse aus der sozialen Isolation gezogen: Nur noch 15 Prozent wollen komplett im Homeoffice arbeiten. 59 Prozent wünschen sich einen Mix aus Homeoffice und Büro, 25 Prozent bevorzugen die Arbeit im Büro. Trotz der Angst, sich nicht integrieren zu können, überwiegt auch hier der Wunsch, zu etwas größerem Ganzen beizutragen und sogar Teil davon zu sein.

Orientierung, Perspektive und Präsenz sind gefragt

Den jungen Talenten Orientierung zu bieten und passende Perspektiven aufzuzeigen, bleibt für Svenja Rausch eine wesentliche Aufgabe der Verantwortlichen: "Zumindest dieser Teil der Krise ist bewältigt, so dass Unternehmen ihre Tore wieder aufmachen und zeigen können, was für MitarbeiterInnen der neuen Generation drin ist."

Die Erkenntnisse des Karrierebarometers belegen, wie wichtig das ist: "Die jungen Talente suchen mittlerweile händeringend nach konkreter Beratung und Wegweisern in die Arbeitswelt", so Svenja Rausch, "sie sind orientierungslos und haben Existenzängste. Unternehmen sollten Abhilfe schaffen, wo immer sie können. Damit wirken sie aktiv dem eigenen Fachkräftemangel entgegen."

Wenn AbsolventInnen mittlerweile sogar befürchten, sich nicht ins Team integrieren zu können, sollten Unternehmen zumindest Brücken bauen, über die JobeinsteigerInnen gehen können, resümiert die Koordinatorin der Studie. "Wer die existenziellen Sorgen der jungen Talente ernst nimmt, sollte sich sogar bewogen fühlen, mit bezahlten Praktika, Werkstudierendenstellen oder auch der Vergabe von Stipendien entgegenzuwirken."

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