Dass der Job eines Generalsekretärs der SPD auch die Position eines Chief Digital Officers enthält, das hätte sich der leidenschaftliche Digitale Lars Klingbeil wohl nicht träumen lassen, als er im Dezember 2017 die Position antrat. Ein Jahr später verriet er gegenüber ONEtoONE seine Sicht auf den Zusammenhang zwischen Digitalisierung und dem Erfolg einer Partei.
Inzwischen steht der SPD-CDO auf dem Sprung zum Parteivorsitz. Wir dokumentieren das Interview von damals, weil es eindrucksvoll zeigt, wie der künftige erste digital getriebene Parteivorsitzende einer deutschen großen Partei tickt.
Herr Klingbeil, Ihr Parteifreund Thorsten Schäfer-Gümbel twitterte jüngst "Die SPD hat die Aufgabe, aus technischem Fortschritt sozialen Fortschritt zu machen. Deshalb brauchen wir neue Antworten für die Zukunft der Arbeitswelt und des Sozialstaats in Zeiten der Digitalisierung." Sehen Sie das genauso?Wir brauchen Zuversicht. Dafür müssen wir uns auch bewusst machen, dass wir die digitalen Entwicklungen selbst gestalten. Viele Menschen haben den Eindruck, dass Globalisierung und Digitalisierung einfach über unsere Gesellschaft hereinbrechen, ohne dass sie steuerbar sind.
Und wie wollen Sie Parteimitglieder und potenzielle Wähler überzeugen, dass die Digitalisierung für sie keine Bedrohung ist?Um es klar zu sagen: Ich halte von diesen pessimistischen Untergangsszenarien überhaupt nichts. Wenn wir die Herausforderung annehmen und uns in den kommenden Jahren darauf vorbereiten, können wir die Dinge zum Positiven wenden. Das sehen auch immer mehr Menschen in der SPD und in den Gewerkschaften so.
Und deswegen arbeiten wir an Ideen und Konzepten, wie wir diesen Wandel so gestalten können, dass alle davon profitieren.
Manche Aussagen von Mandatsträgern klingen anders.Was viele bei dieser Debatte übersehen: Unsere Arbeitswelt verändert sich ohnehin seit Jahrzehnten. In allen Bereichen fallen ständig Aufgaben weg oder verändern sich. Dabei sind es vor allem lästige, schwere Arbeiten, die wegfallen. Gleichzeitig entstehen neue Tätigkeiten, von denen vor zehn Jahren noch niemand wusste, dass sich damit Geld verdienen lässt oder dass wir sie überhaupt brauchen. Wir müssen noch stärker auf Qualifizierung und Weiterbildung setzen. Wir brauchen einen konsequenten digitalen Umbau unseres Bildungssystems, aber natürlich auch neue Antworten für mehr Absicherung.
Sie sind als Generalsekretär darum bemüht, die Partei zu konsolidieren und gleichzeitig wollen Sie sie digitalisieren. Ihre Parteichefin Andrea Nahles hat die Digitalisierung jedoch in ihrer Funktion als Arbeitsministerin scharf kritisiert und in Teilen abgelehnt. Steht das nicht deutlich im Widerspruch?Im Gegenteil, das passt gut zusammen. Andrea Nahles hat als Arbeitsministerin im Bereich Arbeit 4.0 Maßstäbe gesetzt und sehr gute Konzepte wie das Chancenkonto entwickelt, die die Herausforderungen der digitalen Gesellschaft annehmen. Die SPD wird mit ihr als Vorsitzende sichtbar sein und sich gleichzeitig erneuern. Die Digitalisierung der Parteiarbeit ist dabei für uns kein Selbstzweck, sondern eine Möglichkeit für mehr Beteiligung der Parteimitglieder an wichtigen Entscheidungen.
Was versprechen Sie Ihren Mitgliedern, dass diese Ihnen bei Ihrer Digitalisierungsstrategie folgen?Unser Ziel ist es, dass jeder in der SPD mitmachen kann, unabhängig von Zeit und Ort. Viele können bei klassischen Ortsvereinssitzungen nicht dabei sein, weil sie zum Beispiel kleine Kinder haben oder vorübergehend im Ausland leben. Das wollen wir ändern und dafür ist die Digitalisierung der Partei eine Riesenchance.
Sie sprechen damit den geplanten digitalen Ortsverein an. Reicht das, um eine Organisation wie die SPD digital fit und interaktiv zu machen?Wir werden die Mitglieder zukünftig auch regelmäßig online befragen und entwickeln gerade eine SPD-App. Bei unserer programmatischen Erneuerung werden wir nicht nur auf Veranstaltungen, sondern auch auf Online-Themenplattformen diskutieren. So können wir viel mehr Mitglieder einbinden als bisher.
Wie kann das bei einer hierarchischen Partei, bei der gerade erst die Basis durch eine sehr undigitale Mitgliederbefragung entschieden hat, dass die GroKo zustande kommt, funktionieren?Wir alle müssen die SPD neu denken und unsere Routinen hinterfragen. Auch wenn wir dafür unsere Komfortzone verlassen müssen. Nur dann schaffen wir es als Partei, uns auf wirkliche Veränderungen einzulassen. Das Mitgliedervotum über den Koalitionsvertrag hat mir gezeigt, wieviel Leidenschaft, Mut und Energie in der SPD steckt. Diesen Schwung möchte ich gerne mitnehmen in den Erneuerungsprozess.
Folgt Ihre Vision einer digitalen Partei eher dem Ansatz der Piraten-Partei mit Liquid Democracy - oder geht es schwerpunktmäßig darum, ein bisschen Social Media zu etablieren und die Partei in Facebook-Gruppen zu organisieren?Weder noch. Wir digitalisieren die SPD, weil das allen Parteimitgliedern mehr Beteiligung und damit auch mehr Demokratie innerhalb der SPD ermöglicht. Das nutzt am Ende allen Mitgliedern und deshalb gibt es dafür auch eine breite Unterstützung.
Als Juniorpartner in der großen Koalition müssen Sie aktuelle Entscheidungen mittragen. Wie zuversichtlich sind Sie, dass dadurch die Digitalisierung in Deutschland gefördert wird, wenn zugleich eine der ersten Handlungen dieser Koalition ist, gegen Internetapotheken vorzugehen?Die SPD war immer gegen ein Verbot des Online-Versandhandels - auch in der letzten Wahlperiode schon. Der Internet-Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten ist eine sinnvolle Ergänzung zu den Vor-Ort-Apotheken. Er schließt schon heute bestehende Versorgungslücken. Eine rechtssichere Regelung zu einem Versandhandelsverbot zu finden, wird schwierig. Ich kenne noch keinen solchen Vorschlag, der meine Zustimmung findet.
In den öffentlichen Diskussionen stehen sowohl die SPD als auch die Digitalisierung nicht gut da - neben der Tatsache, dass es eine Staatsministerin im Kanzleramt gibt, die der Meinung ist, 100MBit oder überhaupt flächendeckende Breitbandversorgung und schnelles Internet brauche keiner, dafür aber Flugtaxis.Visionäre Ziele sind immer gut, im Moment haben wir allerdings ganz andere, grundlegende Probleme, die wir angehen müssen. Der Breitbandausbau muss jetzt absolute Priorität haben, damit wir zum Ende der Wahlperiode endlich flächendeckend eine moderne digitale Infrastruktur in Deutschland haben.
Die Verantwortung für Digitalisierungsprozesse ist auf alle Ministerien verteilt, mit unklaren Zuständigkeiten. Wie können und wollen Sie sich und die Partei dazu positionieren?Ich will, dass dies die letzten Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene waren, in denen noch über Breitbandausbau geredet werden musste.
Um das zu realisieren, müssen sich die unterschiedlichen Ministerien, die für digitale Fragen zuständig sind, unbedingt besser als bisher koordinieren.
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Das Gespräch führte Susanne C. Steiger
Dies ist ein Auszug aus dem Exklusiv-Interview mit Lars Klingbeil, das am 25.6.2018 in ONEtoONE Ausgabe 7/2018 erschienen ist.
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