Interview

Recht gegen Rechts: "2,2 Milliarden Kontakte weltweit"

Jörn Menge, Vorsitzender des Vereins Laut gegen Nazis (Bild: Laut gegen Nazis e.V.)
Jörn Menge, Vorsitzender des Vereins Laut gegen Nazis

11.07.2024 - Der Verein Laut gegen Nazis gewann den diesjährigen Hauptpreis beim MAX-Award, das Publikumsvoting "Best in Show", mit der Kampagne "Recht gegen Rechts". ONEtoONE sprach mit dem Vereinsvorsitzenden Jörn Menge über seinen Kampf gegen den Rechtsextremismus in Deutschland und die Ziele seiner jüngsten Aktion.

von Christian Gehl

ONEtoONE 3/2024 - Dialogmarketing

Mit "Recht gegen Rechts" haben Sie eine der erfolgreichs­ten Social-Kampagnen der letzten Jahre gestartet. Wie hat das Ganze angefangen?
Jung von Matt   ist mit der Idee auf uns zugekommen, die Entwicklung dauerte dann ungefähr ein Jahr. Es war klar, dass das Thema Markenrechte von Nazi-Codes ein fragiles und auch ein gefährliches Thema ist. Deshalb hatten wir von Anfang an einen Anwalt dabei, der geprüft hat, wie und ob unsere Ideen juristisch umsetzbar sind. Kerngedanke der Kampagne ist ja und da waren wir von Anfang an sehr begeistert davon, der rechtsextremistischen Szene wirtschaftliche Möglichkeiten zu beschneiden. Aber nicht, weil wir die ärgern wollen, sondern weil wir der Zivilgesellschaft zeigen möchten, wie die extreme Rechte funktioniert. Wir haben den Verein gegründet, um Aufklärungsarbeit zu leisten und das können wir mit so einem Projekt ganz wunderbar. Dass wir kein Blatt vor den Mund nehmen, haben wir ja schon mit dem Fake-Nazisong "Hetzjäger" und dem Spotify-Bot H.A.N.S. gezeigt.

H.A.N.S. wurde beim letztjährigen Max-Award   ebenfalls ausgezeichnet. Wie hat sich die Aktion seither weiter entwickelt?
Allein am Anfang hatten wir über 5.000 Meldungen und das zog sich dann zwei Jahre durch. Aber leider müssen wir das Projekt jetzt aus finanziellen Gründen einstellen, das haben wir auch mit unserer Agentur Philipp und Keuntje   kürzlich so besprochen. Dabei war das Projekt ja sehr erfolgreich. Zuletzt, als der rechtsextremistische Hintergrund der Band "Weimar" bekannt wurde, wurde der Bot sehr intensiv genutzt. Aber jemand muss ihn pflegen und die Kosten dafür können wir im Moment nicht tragen. Dennoch wollen wir H.A.N.S. weiter zur Verfügung stellen und suchen einen Sponsor, um das Projekt zu reaktivieren. Dabei geht's gar nicht um Unsummen, sondern um ein paar tausend Euro. Was natürlich sehr wichtig wäre, weil Spotify gar nicht auf unsere Kampagnen reagiert hat, außer in Branchenheften, wo sie wiederholt behauptet haben, dass sie 90 Prozent der rechtsextremen Inhalte löschen. Nach dem Sylt-Fall habe ich das mal geprüft: Nein, sie löschen solche Inhalte nicht. Wir haben viel, viel Nazimusik allein in einer Playlist gestern gefunden. Und die habe ich auch bei Instagram veröffentlicht.

Wie viele Markenrechte von Nazi-Claims konnten Sie sich mit "Recht gegen Rechts" bereits schützen lassen?
Angefangen hat es mit "VTR LND" im vergangenen Oktober. Und vor einigen Wochen ist es uns gelungen, eine weitere Marke, die sehr wichtig für die Szene ist, zu schützen und sie damit für die rechtsextreme Szene unbrauchbar zu machen. "Enness" darf jetzt von niemandem mehr benutzt werden, von uns abgesehen. Und wir wollen uns noch viele andere Nazi-Codes schützen lassen. Da das aber alles immer monatelang dauert, haben wir inzwischen zusammen mit Zalando die Datenbank "Fashion Against Fascism" geschaffen, in der wir 205 Nazi-Codes veröffentlichen. Damit die Vertriebe von Textilien prüfen können, was sie da wirklich verkaufen. "Fashion Against Fascism" war anfangs ein bisschen eine Verlegenheitslösung von uns, weil wir gemerkt haben, wie lange es dauert, bis so ein Nazi-Claim markenrechtlich geschützt ist: von einem halben bis zu einem dreiviertel Jahr. Aber jetzt sind wir sehr froh über die Datenbank.

Wie wichtig ist denn das Merchandising für die rechte Szene?
Wir arbeiten sehr viel mit dem Neonazi-Aussteiger Philip Schlaffer zusammen, der selber dort rechtsradikales Merchandising vertrieben hat, auch viele Tonträger. Der hat sich über das, was jetzt passiert, sehr gefreut. In Thüringen hat der Rechtsextremist Tommy Frenck bei der jüngs­ten Kommunalwahl Chancen auf einen Landratsposten bekommen. Er lebt auch davon, dass er solche Textilien verkauft. Daneben betreibt er noch eine kleine Kneipe. Wir wissen schon seit 20 Jahren, dass der Verkauf von Nazi-Code-Merchandising und rechtsextremer Musik die Szene stärkt. Und das sind Umsätze, die sind nicht niedrig, die sind schon relativ hoch.

Wie haben die betroffenen Shops auf die Verbote reagiert?
Die rechtsextremistische Szene hat sich uns gegenüber nicht harsch gezeigt, das geht ja auch nicht, weil wir rechtliche Grundlagen haben. Wir schicken Unterlassungserklärungen an die Shops und da muss ich sagen, haben die sich sehr normal verhalten und uns angeschrieben, dass sie diese Unterlassungserklärungen akzeptieren und den betreffenden Code dann auch vom Markt nehmen.

Und wie war die Resonanz in der breiten Öffentlichkeit?
Wir konnten viele Menschen sensibilisieren, die das Thema noch nicht so auf dem Schirm hatten: "Echt? Die verkaufen T-Shirts?" Ja, das tun sie und zwar in einem erheblichen Maße. Wir konnten durch die Aktion Spenden generieren, was wichtig ist, weil, wenn man so einen Verein zum Thema Rechtsextremismus führt, und wir das machen das jetzt schon 20 Jahre, erlebt man leider immer wieder, dass das Thema im Keller landet. Keiner interessiert sich dann dafür. Im Moment, seit der Correctiv-Recherche und kürzlich dem Ereignis auf Sylt, ist das Interesse natürlich sehr hoch. Und durch unsere Kampagne haben die Leute erfasst, dass die rechtsextreme Szene Merch mit Abkürzungen für rechtsradikale Claims vertreibt. Auch für uns war die Resonanz von Anfang an sehr gut, was sich zum Beispiel in 8.000 Followern mehr auf Instagram allein in der ersten Woche niedergeschlagen hat. Auf Facebook haben wir inzwischen mehr als 220.000 Follower. Weltweit konnte "Recht gegen Rechts" 2,2 Milliarden Kontakte über medialen Traffic generieren. Über eigene Tools erreichen wir inzwischen wöchentlich 1 bis 2 Millionen Menschen.

Es gibt inzwischen also keine VTR LND-T-Shirts mehr?
Nein, die dürfen sie nicht mehr vertreiben, denn wenn wir sie erwischen, dann können wir den ganzen Klagewege gehen. Da geht's einmal um Geld, und wenn das immer noch einer verkaufen möchte, kann er dafür auch ins Gefängnis gehen. Das dauert natürlich. Rechtsstreitigkeiten dauern immer, nach Markenrecht ist das aber jetzt eine eingetragene Marke, die von anderen nicht verwendet werden darf. Offensichtlich haben die versäumt, diese Marken zu schützen. Und das ist natürlich eine Lücke, die wir gefunden haben, um Aufmerksamkeit dafür zu erlangen, dass diese Szene über ziemlich viel Geld verfügt.

Haben die nicht längst ihre anderen Umsatzträger geschützt?
Nein, so wie wir das erfahren haben, nicht. Wir prüfen das ja schon allein damit wir wissen, was wir schützen können. Und wir werden weitere Marken der rechtsextremen Szene für den Verein eintragen. Das ist auch für Spenden wichtig, damit wir uns finanzieren können. Jede Eintragung kostet um die 1.600 Euro. Und wir haben mehr als 200 Nazi-Codes gefunden. Es gibt also genug zu tun.

Wie hat sich die Spendenbereitschaft für Laut gegen Nazis entwickelt?
Den Verein Laut gegen Nazis e.V.   gibt es seit 16 Jahren. Ich habe 2004 eine Kampagne gegründet, die hieß Laut gegen Nazis. 2008 haben dann 13 Gründungsmitglieder den gleichnamigen Verein gestartet. Seitdem arbeiten wir damit. In den letzten 20 Jahren hat sich in der rechtsextremen Szene ganz viel aufgebaut. Und immer dann, wenn es einen Präzedenzfall wie Hanau, NSU, Chemnitz oder jetzt Sylt gibt, dann ist das Spendenaufkommen hoch. Das klingt sarkastisch, aber es ist halt so. So wie wir Öffentlichkeit haben, engagieren sich die Leute. Deswegen ist die Kampagne "Recht gegen Rechts" auch zum Überleben des Vereins doch sehr wichtig. Viele Menschen haben mir von ihrem Schockerlebnis erzählt, als sie diese Shops gesehen haben, die Merchandising mit rechtsradikalen Slogans verkaufen. Wir sind ja keine Stiftung, wir sind ein Verein, das heißt, wir leben davon, dass der Verein Spenden erhält, damit wir auch neue Kampagnen initiieren können. Immer dann, wenn eine Kampagne erfolgreich ist, generieren wir mehr Spenden und können unsere Aufklärungsarbeit fortführen.

Denken Sie an eine Ausweitung der Markenrechte ins Ausland?
Die nächsten Marken haben wir beim Europäischen Patentamt angemeldet. Bei VTR LND war das noch nicht der Fall, aber in der Regel melden wir wichtige Nazi-Codes international an. Merchandising mit rechtsextremistischen Parolen darf dann also EU-weit nicht verkauft werden.

Das Gespräch führte Christian Gehl

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