09.03.2023 - Mit der Strategie, Instagram, Facebook und TikTok den Rücken zu kehren, hat sich Lush viel Zustimmung und auch Kritik eingehandelt. Tanja Hofmann, Strategy Lead Lush Deutschland, erzählt im Gespräch mit ONEtoONE, wie Lush seitdem seine Kundenkommunikation weiterentwickelt und unternehmerische Ziele umsetzt, ohne die eigenen ethischen Überzeugungen dabei in Frage zu stellen.
von Christina Rose
Wie geht es Lush nach 15 Monaten Social-Media-Abstinenz?
Nach 15 Monaten können wir sagen: Es war der richtige Schritt. Für uns war die Entscheidung eine moralische und keine kommerzielle. Ohne Instagram, TikTok und Facebook können wir uns auf andere Themen konzentrieren. Zum Beispiel unsere Lush-Shops: Sie sind das Herzstück unseres Unternehmens. Wir sehen sie als Community-Hubs, wo unsere KundInnen mit uns in Verbindung treten und wir sicherstellen können, dass das Erlebnis und der Service vor Ort ein positives Gefühl erzeugen. Trotz des herausfordernden Jahres haben wir nach unserem Abschied von Social Media global die besten Zahlen im Weihnachtsgeschäft seit zwei Jahren verzeichnen können. Das zeigt, dass wir als Unternehmen nicht von den Social-Media-Plattformen von Meta abhängig sind. Auch ohne Likes und Reichweite läuft es. Wir haben uns auf das konzentriert, was uns am Herzen liegt: Sinnvolle und reale Erlebnisse für unsere KundInnen zu schaffen, die das Wohlbefinden fördern.
Lush hat Facebook und Instagram schonmal 2019 verlassen und ist zurückgekehrt. Was war dieses Mal anders?
Wir setzen uns bei Lush schon lange mit dem Thema Digital Ethics auseinander, daher haben wir uns 2019 in Großbritannien schon einmal von Instagram verabschiedet. Diese Entscheidung war allerdings im Vergleich zu heute keine globale, sondern stand jedem Markt offen. Zudem machte uns die Pandemie einen Strich durch Rechnung, denn uns war klar, dass wir mit der Schließung unserer Shops in dieser Zeit den für uns wichtigsten Kommunikationskanal verlieren. 2021 haben wir eine weltweite moralische Entscheidung getroffen. Wir wollen nicht, dass unsere KundInnen auf Plattformen mit uns in Kontakt treten, die nachweislich ihrer mentalen Gesundheit schaden. Die vor unserem Austritt veröffentlichten Berichte der Whistleblowerin Frances Hogan haben einmal mehr bewiesen, wie wenig sich Meta derzeit gegen Falschmeldungen und Hatespeech engagiert.
Euer Rückzug stößt bei Marketing- und Social-Media-ExpertInnen teilweise auf Unverständnis: Was entgegnet Ihr der Kritik, Ihr hättet Eure Reichweite besser nutzen können?
Die moralischen Zweifel haben für uns die Frage nach dem Mehrwert überschattet. Dass unser Handeln in der Marketingwelt für derartigen Trubel sorgen würde, haben wir zwar nicht einkalkuliert, aber es ist auch nicht verwunderlich. Doch für uns ist es nicht von der Hand zu weisen, dass die Plattformen - ihre Funktionalität, das NutzerInnenverhalten und ihre Rolle in der Gesellschaft - zunehmend aus dem Ruder laufen. Das Problem ist eine Kombination aus konstantem Input. Mit jedem Refresh sieht man neue Inhalte, es wird bewusst FOMO ("Fear of missing out") getriggert und als Treiber genutzt. Aus psychologischer Sicht ist das wirklich problematisch. Der Begriff "Internetsucht" beschreibt keinen Mythos. Hinzu kommt, dass durch die Algorithmen Clickbait und Werbung im Vordergrund stehen. NutzerInnen können sich dem nicht entziehen.
Der Rückzug von Lush aus Social Media war nachvollziehbar, aber nicht unbedingt die beste Strategie, urteilt Silvia Lange. Die Mitgründerin und CEO des Influencer-Tech-Anbieters hi!share.that erklärt im Gespräch mit ONEtoONE, wie Unternehmen das Markenerlebnis für VerbraucherInnen und Haltung in Einklang bringen. Hier lesen Sie das Interview
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Welche Kommunikationskanäle werden in Zukunft für welchen Content wichtig(er) und warum?
Wir konzentrieren uns seit dem Ausstieg aus den Meta-Plattformen und TikTok mehr auf YouTube und Pinterest. Hier geht der Content eher in die Tiefe, ist langfristig relevant und NutzerInnen werden weniger zu endlosem Scrollen und Verweilen auf der Plattform getrieben. Für uns bieten sie aktuell eine Möglichkeit, die sozialen Netzwerke zu nutzen, die besser mit unserem Werteverständnis vereinbar ist. Natürlich ist kein Filter oder Kontrollmechanismus gegen Hatespeech oder andere gefährliche Inhalte komplett wasserdicht, aber in unseren Gesprächen mit Pinterest haben uns deren Engagement und erfolgreiche Bemühungen, die NutzerInnen zu schützen, überzeugt. Abgesehen davon ist und bleibt Newsletter-Marketing für uns von großer Bedeutung. Wir wollen unsere Reichweite hier noch weiter ausbauen und arbeiten an kreativen Ideen jenseits von Rabattaktionen, um mehr SubscriberInnen für unsere wöchentlichen Mailings zu gewinnen.
Hat sich die Kommunikation verändert? Gab es Aha-Momente?
Das letzte Jahr hat gezeigt, dass die Kommunikation mit unserer Community auch ohne Facebook, Instagram und Co. funktioniert. Es gab natürlich Veränderungen - schließlich sind durch unsere Entscheidung einige Kommunikationskanäle weggefallen. Was viele jedoch vergessen, ist, dass es neben der Kommunikation online auch andere, viel persönlichere Wege gibt, mit der Zielgruppe in Kontakt zu treten. Gerade nach den letzten Jahren, in denen der Kontakt zwangsläufig in den digitalen Raum verlegt wurde, haben wir gesehen, dass unsere KundInnen gerne wieder in die Shops kommen. Wir glauben, dass dieser Trend in Kombination mit spannenden Erlebnissen einen Mehrwert bieten kann, der sich nachhaltig positiv auf unser Geschäft auswirken kann. Beispielsweise stieg unser gesamter Traffic online und in den Shops zu unserer Aktion am World Bath Bomb Day um 60 Prozent im Vergleich zu einem durchschnittlichen Tag. So einen Effekt haben wir durch Marketingaktionen auf Instagram bis dato nie beobachtet.
Wie hat sich die Arbeit für Dich und Deine KollegInnen mit dem Ausstieg aus Social Media geändert?
Wir stehen nach wie vor hinter der Entscheidung und bereuen es nicht, den sozialen Medien den Rücken gekehrt zu haben. So haben wir mehr Kapazität in den Teams, die wir für andere Marketingaktivitäten nutzen können. Beispielsweise haben wir im letzten Jahr eine eigene App auf den Markt gebracht, die das Wohlbefinden beim Baden fördern soll. Im Grunde hat sich unsere Arbeit dahingehend verändert, dass unser Fokus nicht nur darauf ausgelegt ist, in der digitalen Welt präsent zu sein, sondern eben auch in der realen Welt. Genau da, wo der echte Kontakt mit unseren KundInnen stattfindet. Wir schätzen den persönlichen Kontakt mit unserer Community über unsere Filialen. Wir wollen unseren KundInnen ein Erlebnis bieten und haben dafür verschiedene Events organisiert. So wurde beispielsweise der erste World Bathbomb Day ins Leben gerufen, um die Erfindung von Lush-Mitbegründerin Mo Constantine zu feiern.
Macht Euer Beispiel Schule? Was beobachtet Ihr?
Tatsächlich sind uns bisher keine Unternehmen bekannt, die unserem Beispiel gefolgt und komplett aus den entsprechenden sozialen Medien ausgestiegen sind. Zeitgleich zu unserem "Switch Off" hat aber Patagonia beispielsweise die Werbeaktivitäten auf Instagram eingestellt. Es war klar, dass unsere Entscheidung nicht unbemerkt bleibt, sondern viele zum Nachdenken angeregt hat. Uns ist aber auch klar, dass sich nicht von heute auf morgen alle Unternehmen aus den sozialen Medien zurückziehen werden - das ist auch gar nicht unsere Intention. Vielmehr wollen wir auf die Missstände aufmerksam machen, um eine langfristige Veränderung zu bewirken.
Du hast auf der OMR geschildert, dass mit dem Rückzug aus Social Media Eure Integrität als wirtschaftliches Unternehmen in Frage gestellt wurde. Wie hat sich das entwickelt? Wie reagiert Ihr darauf?
Das stimmt - kritische Stimmen unterstellten uns, die Entscheidung sei eine kalkulierte Marketingaktion gewesen. Andere prognostizierten nicht nur den Verlust von Umsatz, sondern auch von Glaubwürdigkeit. Rückblickend lässt sich sagen, dass unser Weg bei anderen zwar weiterhin Fragen aufwirft, aber auch zu einem bereichernden und spannenden Austausch mit anderen Unternehmen, KonsumentInnen und Menschen vor allem aus der digitalen Branche geführt hat. Uns wird sehr viel Neugier und aufrichtiges Interesse an den Beweggründen entgegengebracht und die Rückmeldungen sind überwiegend positiv. Wir zeigen eine Alternative auf und ich habe den Eindruck, dass wir so seit November 2021 an den richtigen Stellen wichtige Impulse setzen können, die andere zum Hinterfragen anregen und dazu, positiven Wandel mitzugestalten.
Welche Erfahrungen habt Ihr gemacht, Idealismus zu Eurem Treiber zu machen - auch angesichts von Inflation und Konsumkrise?
Wir haben uns als Unternehmen ein ambitioniertes Ziel gesetzt und möchten die Welt besser hinterlassen, als wir sie vorgefunden haben. Aus unternehmerischer Sicht haben wir bereits vielfältige Möglichkeiten gefunden, genau hier anzuknüpfen - durch regeneratives Wirtschaften oder durch Produkte, die es schaffen, das Leben und den Alltag unserer KundInnen zu bereichern. Mit unseren Produkten wollen wir auch unseren KundInnen die Möglichkeit geben, etwas Gutes zu tun. Zudem merken wir, dass auch unsere KundInnen zunehmend Wert darauf legen, dass ihre Kaufentscheidungen einen positiven Impact erzielen. Ein geteiltes Wertegerüst und der enge Kontakt zu unserer Community sind für uns daher maßgeblich mit der Loyalität unserer KundInnen verbunden - der Anteil an loyalen StammkundInnen in unserer Community ist hoch. Wir erzielen unsere Ergebnisse maßgeblich ohne Werbung, ohne Sonderangebote oder Bonusprogramme. So ist beispielsweise unser Charity Pot, bei dem wir die gesamten Erlöse spenden, unsere meistverkaufte Bodylotion. Insgesamt konnten wir so bereits über 13.000 gute Zwecke (mit-)finanzieren - viele davon auch Vorschläge unserer KundInnen.
Lush sei "kein Musterbeispiel für KundInnenbindung nach dem Lehrbuch für wachsende Unternehmen und Marken", sagt Tanja Hofmann. Das Unternehmen setzt auf organisches Wachstum und verspricht sich davon eine loyale Kundenbindung. Gemäß der Mission "to leave the world Lusher than we found it", positioniert sich Lush als "authentische Marke für bewussten Konsum". Unter dem Stichwort "Organic-Marketing-Mix" formuliert Lush seine Ziele und Maßnahmen mit Fokus auf Kundenbindung: Lush habe schon immer fast ausschließlich organisches Marketing betrieben. "Paid Marketing war und ist die Ausnahme." Spannende Bereiche in diesem Jahr und darüber hinaus sind:
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