Wie in vielen Unternehmen in Deutschland ist seit März 2020 mobiles Arbeiten auch beim Otto-Konzern
der Regelbetrieb. Weit über 90 Prozent der rund 5.000 Beschäftigten arbeiten mobil, in einigen Verwaltungsbereichen sind es sogar bis zu 100 Prozent. Trotz der durch die Coronakrise erschwerten Arbeitsbedingungen kann der Konzern im Geschäftsjahr 2020/21 seinen ECommerce-Umsatz weltweit deutlich steigern
- um voraussichtlich 23 Prozent auf 10 Milliarden Euro. Treiber dieser Entwicklung seien die seit Jahren vorangetriebene Digitalisierung der Geschäftsmodelle der eigenen Konzernunternehmen und Vertriebskanäle sowie das veränderte Einkaufsverhalten aufgrund der Corona-Pandemie.
Welche Herausforderung die Umstellung auf den virtuellen Betrieb dabei alleine für die IT und Logistik bedeutete, berichtete Alexander Peters, Group Vice President Otto Group IT, im Januar bei der Pressekonferenz zur vorläufigen Bilanz. Er sprach vom "größten Lastentest, dem unsere Teams, Applikationen und Systeme bis dahin jemals standhalten mussten". Zusätzlich zum laufenden Betrieb musste die IT auch tausende Anwender und Anwenderinnen im Homeoffice betreuen und im März 2020 deshalb etwa die VPN-Kapazitäten aufstocken. Dies funktionierte jedoch gut, auch mit der bisherigen Personenstärke. "Da bemerken wir zur Präsenzarbeit kaum große Veränderungen - behalten uns aber Aufstockungen vor, sollte die Situation das erfordern", erklärt das Unternehmen.
Doch wie geht es weiter, wenn die Inzidenzwerte weiter sinken, die Impfungen voranschreiten und Corona irgendwann - hoffentlich - eingedämmt ist? Wie wollen die Otto-Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Zukunft arbeiten? Was hat sich bewährt, was wird sich verändern? Der Konzern wollte es genauer wissen und beauftragte das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO mit einer Umfrage unter den mehr als 5.000 Mitarbeitenden bei Otto und in der Otto Group Holding. Die Erkenntnisse liefern ein interessantes Stimmungsbild aus der Arbeitswelt eines Großkonzerns im Transformationsprozess, das Schule machen könnte.
Nur drei Prozent wollen wieder täglich ins Büro
Knapp ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland ist der Wunsch vieler Mitarbeitenden groß, auch künftig zeitweise mobil arbeiten zu können. Viele möchten zwar, sobald es möglich ist, wieder verstärkt ins Büro zurückkehren - allerdings nicht mehr jeden Tag.
- Rund elf von durchschnittlich 20 Arbeitstagen pro Monat planen die Befragten zukünftig mobil zu arbeiten.
- Mindestens einen Tag pro Woche von zuhause arbeiten wollen sogar 89 Prozent.
- Nur drei Prozent der Befragten beabsichtigen nach Ende der Pandemie wieder täglich ins Büro zu kommen.
Die Gründe dafür sind vielfältig:
- 76 Prozent der Befragten gaben an, zuhause konzentrierter arbeiten und ungestörter telefonieren zu können.
- 60 Prozent sehen durch mobile Arbeit eine bessere Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben gegeben und schätzen die flexiblere Tagesgestaltung.
- Entfallende Arbeitswege sind für 63 Prozent ein wichtiges Argument.
- Vier von fünf Beschäftigten gaben an, dass es ihre Arbeitsprozesse nicht oder nur teilweise erfordern im Büro zu arbeiten.
- Zwei Drittel stimmen zudem der Aussage zu, dass viele Prozesse und Arbeitsvorgänge bei Otto bereits soweit digitalisiert sind, dass die Arbeit vielfach nicht mehr die Anwesenheit auf dem Campus - der Firmenzentrale in Hamburg - erfordert.
Büros bleiben wichtig - aber nicht mehr jeden Tag:
- Durchschnittlich acht bis neun Arbeitstage pro Monat möchten die Befragten zukünftig auf dem Otto-Campus arbeiten.
- Dabei wurde der Dienstag unter allen Wochentagen am häufigsten als Wunsch-Campustag genannt (41 Prozent), freitags möchte gut die Hälfte mobil arbeiten.
Ganz verzichten auf das Büro wollen die wenigsten. Was die Otto-Mitarbeiter im Homeoffice am meisten vermissen und am Büro schätzen:
- Vor allem den informellen Austausch im Team (73 Prozent)
- Die Gesellschaft der KollegInnen (72 Prozent)
- Workshops und Events (67 Prozent)
- Die einfachere Vernetzung und gemeinsame Mittagspausen (62 Prozent)
- 45 Prozent gaben an, dass sie persönliche, emotionale oder sensible Gespräche dort besser führen können als remote
Auch nach Altersgruppen wurde geclustert, allerdings konnten hinsichtlich der Akzeptanz von mobilem Arbeiten keine signifikanten Unterschiede zwischen jüngeren und älteren KollegInnen festgestellt werden.
"Interessant ist allerdings, dass jüngere KollegInnen unter 35 häufiger angegeben haben, zumindest zeitweise wieder auf dem Campus arbeiten zu wollen. Als Gründe wurden bessere Vernetzung und sozialer Austausch angegeben", erklärt das Unternehmen auf Nachfrage.
Auch nach Führungskräften und 'normalen' Mitarbeitenden wurde geclustert, allerdings auch hier ohne signifikante Unterschiede.
"Nach Gründen für eine Rückkehr ins Büro gefragt, gaben Vorgesetzte jedoch häufig an, mit dem Arbeiten im Büro eine Art Vorbildfunktion für ein hybrides Arbeitsmodell ausüben zu wollen."
Hybrides Arbeitsmodell verbindet Präsenz- und Mobilarbeit
Blick in die geplante Firmenzentrale auf dem Otto-Campus.
Bild: Otto
Otto reagiert auf die neue Arbeitswirklichkeit und die Wünsche seiner Mitarbeiter mit ersten Richtungsentscheidungen. "Wir arbeiten bei Otto seit März 2020 sehr erfolgreich fast komplett remote und werden das so lange fortsetzen, wie es das Infektionsgeschehen erforderlich macht", sagt Katy Roewer, Otto-Bereichsvorständin für Personal und Service. Doch der Konzern rüstet sich für die Zeit nach Corona: "Zukünftig wollen wir ein aktivitätsbasiertes, hybrides Arbeitsmodell etablieren, bei dem Präsenz- und Mobilarbeit einander ergänzen. Unser Campus wird dabei weiterhin als Anker der Unternehmenskultur und für die Vernetzung untereinander eine zentrale Bedeutung haben. Die Umfrageergebnisse belegen, dass sich das Gros der KollegInnen genau das wünscht", so Roewer. Das hybride Arbeitsmodell hatte Otto als Konsequenz auf die Corona-Lehren bereits im Sommer 2020 vorgestellt
und fühlt sich nun bestätigt.
Ende der Festnetztelefone, mehr Arbeitsflächen für Teamarbeit
Aktuell stellt die Otto Holding die Weichen für das neue Arbeitsmodell: So erhalten in den kommenden Monaten alle Meetingräume eine erweiterte Videokonferenztechnologie, die virtuelle und hybride Besprechungen vereinfachen soll. Festnetztelefone schafft Otto zugunsten von mobiler Cloud-Telefonie komplett ab, die IT-Ausstattung der Mitarbeitenden soll vereinheitlicht und für mobiles Arbeiten weiter optimiert werden. Der Datenzugriff sei über Cloud-Dienste und VPN schon jetzt ortsunabhängig von überall möglich, per Laptop ebenso wie per Smartphone und Tablet. Mobil können die Mitarbeitenden künftig mobil von einem beliebigen, frei wählbaren Ort innerhalb Deutschlands arbeiten. Damit die Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz zuhause ergonomisch einrichten können, schafft Otto dafür ein eigenes Beratungsangebot. Mobiles Arbeiten ist bei Otto bereits seit 2017 möglich, entsprechende Regelwerke und Betriebsvereinbarungen werden aufgrund der sich verändernden Mobil- und Präsenzquoten überprüft und ggf. angepasst.
Konferenzraum im Otto-Campus.
Bild: Otto
Am Bau der neuen Firmenzentrale, die Anfang 2022 in Hamburg-Bramfeld eröffnet werden soll, hält Otto fest (erste Einblicke gibt es hier
). Das Multi-Space-Konzept kombiniert Einzelarbeitsplätze, Team- und Projektbereiche sowie Social Spaces. Allerdings wird die Anzahl von Team- und Kreativflächen im neuen Gebäude entgegen der ursprünglichen Planung erhöht, die Zahl der Einzelarbeitsplätze verringert. Damit will Otto mehr Raum für Zusammenarbeit schaffen und zugleich dem Wunsch der Mitarbeitenden nach mehr mobiler Arbeit gerecht werden.
"Ein Zurück zum Vorher wird es nicht geben"
"Dass die Corona-Pandemie unser Arbeiten verändern wird, steht für mich schon länger fest. Die aktuellen Umfrageergebnisse unterstreichen nun eindrucksvoll, dass es ein Zurück zum Vorher bei Otto nicht geben wird. An der Verknüpfung von Präsenzarbeit und mobilem Arbeiten führt kein Weg vorbei", meint Irene Oksinoglu, Head of FutureWork bei Otto. Allerdings müssten sich Unternehmen wie Otto auch fragen: Wie frei kann Arbeiten im Unternehmen sein, ohne die betrieblichen Arbeitsabläufe, das Sozialgefüge oder die Freiheit anderer einzuschränken? Und wie arbeitet man selbstbestimmt, aber trotzdem noch zusammen?
"Klar ist: Arbeiten ist viel zu vielfältig, als dass es eine pauschale Lösung für alle geben kann. Vielmehr müssen die Teams in den Dialog gehen und gemeinsam über die künftige Form der für sie bestmöglichen Zusammenarbeit sprechen. Wir werden mit Workshops sowie klaren Handlungsempfehlungen für virtuelle und präsente Meetings unterstützen", so Oksinoglu.
Remote als Argument im Employer Branding
Noch spielten Remote Work und zukünftig Hybrid Work für das Employer Branding von Otto eine nebensächliche Rolle,
"das könnte sich aber mittelfristig durchaus ändern, erklärt Ingo Bertram, Pressesprecher HR/CR/Logistik.
"Zum einen weil wir bereichsübergreifend (sowie noch einmal gesteigert in den Tech-Bereichen) ein wachsenden Interesse an Remote Work erleben. Inwieweit das mittel- bis langfristig ein Vorteil bleibt, ist abzuwarten - auch deshalb, weil noch schwer abzuschätzen ist, wie viele Unternehmen nach Ende der Pandemiesituation auf Präsenzkultur schielen werden."