Frank Büch:
Bild: Berliner Verkehrsbetriebe (BVG)
Seit diesem Monat hat Logistiker DB Cargo
einen neuen Chef für seinen neuen Bereich 'Marketing und Transport Policy': Martell Beck
. Er war bisher Marketing-Chef bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG
) - und als solcher verantwortlich für deren viel gerühmte Multichannel-Kommunikationskampagne "Weil wir dich lieben"
.
Im Interview bei Growthup
hatte Beck vor kurzem erzählt, wie alles angefangen hat: "In der BVG herrschte schon immer die Idee vor, dass in Richtung Emotionen etwas gehen könnte." Der wirkliche Auslöser sei dann die Kampagne der Berliner Stadtreinigung
gewesen "We kehr for you". Beck erinnert sich: "Die BSR hat es so mit witzigen Sprüchen geschafft, den herkömmlichen Müllmann in einen sexy Typen zu verwandeln. Das Unternehmen hat angefangen zu glänzen. Unser Ansatz war: Wenn es selbst die Stadtreinigung schafft, dann muss uns das auch gelingen. Allerdings waren unsere Voraussetzungen ungleich schwieriger."
Martell Beck:
Bild: BVG
Denn wenn auf der Mülltonne ein cooler Spruch stehe, sei der Müllmann ein cooler Typ - aber der Service werde nicht erlebt. Der BVG-Kunde hingegen "kommt morgens im Regen in den Bus, alle sind nass und stehen eng beieinander, der Fahrer drückt ihm einen Spruch. Da erlebt man das Produkt ganz anders - im Guten wie im Schlechten."
Damit sei die Kampagne geboren worden: "Weg von der Kommunikation über die Assets, die nur zeigt, was wir für tolle Sachen für die Fahrgäste gekauft haben. Auch die BSR-Kampagne erzählt nicht, dass sie den Müll am besten trennen oder die modernsten Fahrzeuge haben." Die Learnings waren:
- Zeige das, was die Menschen interessiert und nicht das, was dich interessiert.
- Humor emotionalisiert auf sehr positive Weise.
- Sei authentisch. Wenn du ändern willst, wie du wahrgenommen wirst, muss das neue Bild glaubhaft sein.
"Wir haben uns dann gefragt, wer wir eigentlich sind. Und Hand aufs Herz: Wir sind nicht so sauber, nicht immer pünktlich und haben teilweise sehr alte Fahrzeuge. 45 Prozent unserer Kunden mögen uns nicht. Das ist nicht Hochglanz, aber es ist ehrlich. Und schon hatten wir unsere Optik: Wir sind shabby - und leben damit. Dann kam die Frage nach unserer Tonalität. Und da blieb für uns nur die Berliner Schnauze. So sprechen unsere Fahrer, und so sprechen auch viele Berliner. Nicht übermäßig höflich, sondern vor allem schlagfertig. Und damit hatten wir die für uns richtige Mischung. Eine "Arm aber sexy"-Optik, die zu Berlin passt, aber zu München oder Düsseldorf nicht passen würde. Und dann haben wir eine Tonalität, wir haben ein Setting, und wir haben Humor. Das sind die Stilmittel, das sind die Elemente, das sind die Zutaten, die es augenscheinlich braucht, um eine Kampagne zu starten."
Operativ den Prügelknaben in eine coole Sau verwandeln
Martell Beck verantwortete als "Head of Sales Marketing Digitization" den Start der Kampagne. Als Leiter Marketing hat Frank Büch Frank Büch
und sein Team es operativ geschafft, das Bild der Berliner Verkehrgesellschaft komplett zu wandeln. Dafür war er von den ONEtoONE-Lesern im Frühjahr zum '
Marketingkopf des Jahres 2020' gewählt worden. Worauf der Erfolg der operativen Umsetzung basiert? Im ONEtoONE-Interview verrät er die ganze Geschichte:
"Ich denke, es ist zum einen die Offenheit gegenüber allen Kooperationspartnern und allen Ideen. Wir haben natürlich begonnen wie jeder: Niemand weiß ganz genau, wie so ein Imagewandel funktioniert. Am Anfang hat man eine Idee, aber ob das Ganze auch so funktioniert, weiß man nicht. Bei uns ging es mit einem Shitstorm los (Anm.: Die BVG hatte 2015 die Kampagne #weilwirdichlieben gestartet und die Community gebeten, ihre schönsten Erlebnisse mit der BVG zu teilen. Stattdessen hagelte es typisch Berliner Schnauze harte Kritik.) Dem haben wir nur eines entgegen gesetzt: Wir haben auf Augenhöhe geantwortet und das weitestgehend im Social Web. Und das hat einfach gut funktioniert. Daraus ist dann auch ein Stück weit die Tonalität entstanden, die die BVG heute ausmacht. Wenn man dann eine gewisse Bekanntheit hat, kommen Unternehmen, die sagen: Lasst uns doch mal was gemeinsam machen. Es ist ganz wichtig, mit diesen Menschen zu sprechen und ein Netzwerk aufzubauen. Und auch die verrückteste Idee einfach mal anzuhören und ein gewisses Maß an Enthusiasmus zu entwickeln. Das machen wir ein Stück weit anders als andere: Unsere Maßnahmen sind nicht von vorne bis hinten durchgestylt. Wir nutzen viele Ideengeber und kleine Dinge, die wir dann groß machen."
Wer sind die Ideengeber und was waren für schräge Ideen dabei?
Eine Idee war der Adidas-Schuh. Das Unternehmen war auf uns zugekommen und hatte gefragt, ob es unser Polstermuster verwenden dürfe, um einen Sneaker daraus zu machen. Dann haben wir überlegt, dass es doch schön wäre, wenn man gemeinsam etwas machen würde und nicht nur unser Muster zur Verfügung stellen würden. Also haben wir lange - auch mit unseren Agenturen zusammen - überlegt, wie man das Ganze ein bisschen größer macht. Eine limitierte Auflage allein erschien uns zu langweilig, davon bringt Adidas im Jahr über 60 heraus. Dann kam jemand aus unserem Team auf die Idee, eine Jahreskarte in den Sneaker zu integrieren. Das zieht Prozesse mit sich, wie: Was soll so ein Schuh dann kosten? Eine integrierte Jahreskarte bedeutet, dass die Einnahmen aufgeteilt werden müssen. Nachdem der Verkehrsverbund dagegen war, haben wir das auf die BVG beschränkt.
Es braucht viel Beharrlichkeit, bei so einem Projekt dranzubleiben. So viel Mühe macht sich nicht jeder. Wir erfinden uns damit ein Stückchen neu, das macht uns aus. Man muss zuhören können und offen sein, denn man weiß nie, wo sich Gelegenheiten ergeben. Diese Fähigkeit hat unser ganzes Team drauf. Manchmal kommen halt auch Dinge dabei heraus, die nicht funktionieren oder nicht zum Unternehmen passen.
Zum Beispiel?
"Wir wollten einen riesigen Synthesizer (2, 5 x 6 Meter), den die Red Bull Music Academy gebaut hatte, in eine U-Bahn einbauen und daraus ein Studio machen, wo jeder hätte spielen können. Letztlich ist es an Genehmigungen gescheitert. Wir haben es dann nur sehr klein realisieren können, was nicht den Inhalt hatte, den wir uns ursprünglich ausgedacht hatten. Aber auch damit muss man Leben. Rahmenbedingungen für solche Aktionen muss man schaffen. Und manchmal klappt es halt nicht."
Ihr Team ist offenbar sehr umtriebig. Allein, wenn man die Tweets betrachtet, scheint der Aufwand beträchtlich zu sein, den man betreiben muss, um eine solche Wirkung zu erzielen, oder?
"Wir haben dafür ein Team, das bei einer Agentur angesiedelt ist. Dieses Team wechselt auch mal durch. Es sind aber immer nur vier Leute, die Themen und Aufhänger für die Tweets ausfindig machen: Was ist los in der Stadt? Wer kommt uns besuchen? Oder wir twittern über Events, wie die Fußball-EM, in Zusammenhang mit der BVG. Die besten Geschichten schreibt eh das Leben selbst. Man muss sie nur hören und verdrahtet sein."
Der öffentliche Nahverkehr ist das pralle Leben und bietet jede Menge Themen fürs Marketing. Was kann man sich als Unternehmen abschauen, wenn man ein nicht ganz so lebensnahes Produkt vermarktet?
"Zu allen Dingen, die man tut, gehört Mut. Man muss sich trauen, Dinge offen anzusprechen. Wir sprechen ja auch nicht nur über positive Dinge, sondern auch über unsere Misserfolge. Solche Dinge gibt es in jedem Unternehmen. Jeder hat ein Beschwerde- bzw. Dialogmanagement und weiß genau, was die Kunden stört. Und mutig finde ich, darüber wirklich zu sprechen in Sinne von: Lieber Kunde, wir machen nicht alles richtig, aber wir tun unser Bestes und sind ein tolles Unternehmen. Und wenn Du Dich über uns ärgerst, sag uns das. Wir werden darauf reagieren. Mut ist essentiell für jede Marketingaktion. Und dass man genau weiß, wovon man spricht. Man muss sein Produkt und seine Stärken und Schwächen ganz genau kennen und dafür brennen."
Abgesehen vom Mut: Was muss, man im Marketing sonst noch mitbringen?
"Eine immer größere Rolle spielt das Thema Haltung. Wir haben im vergangenen Jahr zum Equal Pay Day eine Aktion gemacht (Anm: BVG-Ticktes waren für Frauen an diesem Tag 21 Prozent günstiger - 21 Prozent verdienen Frauen im Durchschnitt weniger als Männer in gleichen Positionen). Wenn man bekannter ist und eine gewisse Werbemacht als Marke hat, darf man sich durchaus auch mal gesellschaftspolitisch äußern. Große Unternehmen sollen sich einmischen und ruhig auch mal Stellung beziehen."
Der langfristige und nachhaltige Erfolg der Kampagne hat inzwischen dazu geführt, dass Frank Büch seit kurzem die Position seines Ex-Chefs Martell Beck übernommen hat. Vorerst provisorisch.