"Wir brauchen keine Super-Apps, sondern neue Geschäftsmodelle"

Jörn Strehlau (Bild: netID)
Jörn Strehlau

07.07.2022 - Log-Ins sind ein wichtiges Zugangstor zum Endverbraucher. Hier dominieren einmal mehr die großen amerikanischen Portale. Europäische Gegengewichte zu schaffen, ist ein mühsamer und langwieriger Kampf - doch langsam nimmt er Fahrt auf. Jörn Strehlau, CEO der European netID Foundation und Anbieter des Login-Standards netID, spricht im Interview mit ONEtoONE über die Strategie, sich gegenüber US-Techriesen und als Tracking-Alternative in Stellung zu bringen.

von Christina Rose

Die netID Foundation   hat jüngst den Fachbeirat Advertising gegründet. Erklärtes Ziel: die Interessen der Werbungtreibenden, Technologiedienstleister sowie Agenturen bündeln und dafür sorgen, dass deren Marktsicht bei der netID-Weiterentwicklung Berücksichtigung findet.

Was haben Sie mit netID vor?
Mittlerweile haben recht viele Webseiten netID integriert. Und da wir den Anspruch haben, der Marktstandard für die Beziehung zu NutzerInnen und entsprechend auch für personenbezogene Werbung zu sein, müssen wir auch überlegen, wie das bei den Werbungtreibenden ankommt. Wir identifizieren gerade Use Cases für Werbungtreibende und an welcher Stelle sie netID in ihrer Marken- und Medienstrategie einsetzen können und sollten. Auf Vermarkterseite herrscht mittlerweile Konsens, dass netID eine der entscheidenden Lösungen für eine cookielose Zukunft ist.

Wie viele Unternehmen gehören inzwischen zum netID-Verbund?
Das ist kompliziert, weil wir in unterschiedlichen Systemen mit Unternehmen zusammenarbeiten. Wir haben vier Stiftungsmitglieder: Deutsche Telekom, Mediengruppe RTL Deutschland, ProSiebenSat.1 und United Internet. In den Beiräten, die uns inhaltlich unterstützen, sind sehr viele Unternehmen - von Banken über Werbungtreibende hin zu Publishern. Und dann haben wir noch Kunden, die netID als Service nutzen. Das sind mehrere Hundert Websites, die netID als Single-Sign-on nutzen.

Das Single-Sign-On-Prinzip ist schon eine Weile am Markt. Wie erfolgreich ist es inzwischen?
Es ist bei ECommerce-Angeboten schon recht erfolgreich, um NutzerInnen schnell auf ein Angebot zu holen. Der Vorteil ist, dass es den Funnel bei der Neukundengewinnung verkürzt. NutzerInnen müssen nicht ein einzelnes Nutzerkonto anlegen, sondern machen den im Markt bewährten Zwei-Klick-LogIn per netID. Und den Nutzer kostet dieser Komfort nichts. Entsprechend ist das System ziemlich erfolgreich.

Es kostet die NutzerInnen nichts, außer die eigenen Daten. Was heißt "ziemlich erfolgreich"?
Ein Indiz ist die Zahl der Websites, die es schon nutzen, Tendenz steigend. Dazu, wie erfolgreich es für die einzelnen Shops ist, haben wir keinen Einblick. Dadurch, dass die Nutzung von Single-Sign-on so unkompliziert ist und die Leute, die das in ihren Websites verbauen, gar nicht mit uns in Kontakt treten, gibt es selten konkrete Rückmeldungen. Ab und zu bekommen wir Feedback in Form von Änderungswünschen und Ansprüchen.

Ein kritisches Kriterium für den Erfolg von solchen Single-Sign-on-Systemen ist die Reichweite. Wie wollen Sie die steigern?
Seit Beginn des Jahres sind wir bei Axel Springer und Die Welt im Einsatz, was uns einen enormen Reichweitenschub auf eine sehr gute einstellige Millionenanzahl an aktiven netID-Nutzern verschafft hat.
Wir werden außerdem kommerzielle Use Cases aufbauen, um mit Werbungtreibenden konkret über Kampagnen sprechen zu können. Denn am Ende des Tages wollen Publisher den ROI ihrer netID-Investition sehen.
Und wir werden - wie in der Vergangenheit auch - Werbung schalten, um EndverbraucherInnen zu erreichen. Wenn man über Awareness und Produktwahrnehmung spricht, ist ein Massenmedium wie TV relevant. Und da wir ein prioprietäres Onlineprodukt vermarkten, ist dafür natürlich auch Online der richtige Ort.

In Bezug auf Reichweite einen Partner wie Axel Springer an seiner Seite zu haben, ist hierzulande schon eine Größe. International relativiert sich das allerdings. Wie stehen hierzulande die Chancen für Super-Apps, wie Line, Grab oder WeChat, die über Single-Sign-on hinaus noch andere zentrale Funktionen, wie beispielsweise Payment, bieten? Fürchten Sie die als Konkurrenz?
Die Geschäftsmodelle sind nicht vergleichbar. Wir stellen eine ID-Lösung für Publisher und Werbungtreibende zur Verfügung, die erlaubt User zu tracken und zu targeten. Und das ist ein sehr relevanter Use Case, auf den werden wir auch weiterhin fokussieren. Darauf aufbauend gibt es weitere Optionen im Bereich digitale Identität. Wir wollen für die NutzerInnen verständlich und transparent in der Nutzung sein und uns auf Identitätsmanagement konzentrieren. Hinzu kommt: Die genannten Apps treffen in Deutschland und Europa auf andere Bedingungen als in China, weil wir uns hier in einem ganz anderen regulatorischen Raum befinden. Unser Fokus liegt auf der Identität. Hier gibt es noch Entwicklungen wie Face ID, in deren Richtung sich auch netID entwickeln wird. Dazu gehören dann auch EGovernment-Funktionalitäten.

Es gibt eine komplexe "Bedrohungslage" für Initiativen wie netID. Diese setzt sich weniger zusammen aus "Wir allein gegen die Chinesen oder GAFA" als vielmehr aus einer Kombination von Regulatorik, Gesetzgebung, DSGVO und der Bedrohung durch GAFA. Wie sehen Sie Ihre Organisation und deren Chancen künftig in diesem Gefüge?
Es gibt vor allem zwei Themen, die uns beschäftigen: Das ist zum einen Regulatorik. Nutzer wollen weniger getrackt werden, wenn sie online unterwegs sind. Und wenn sie getrackt werden, wollen sie Transparenz, was mit welchen Daten gemacht wird. Das ist Ziel der europäischen Gesetzgebung (EU-DSGVO) wird für alle in diesem Raum gleich gelten und stellt für mich kein Problem dar. Die andere Seite ist eine technische: Third-Party-Cookies sind ein technisches Überbleibsel, das auch abgeschafft gehört, weil es niemandem wirklich einen Mehrwert liefert. Die Lebensdauer von Third-Party-Cookies liegt bei unter einem Tag und deren Abschaffung macht den Weg frei, sich Neues zu überlegen. Es geht also nicht um China oder die USA, sondern darum, sich als Publisher und Werbungtreibender neue Geschäftsmodelle aufzubauen. Und hier können wir gut unterstützen.

Für deutlich mehr Reichweite einer Single-Sign-on-Lösung bräuchte es eigentlich einen europäischen Schulterschluss. Wie hoch schätzen Sie die Chancen hierfür ein?
In Österreich beispielsweise starten wir jetzt, weil wir dort noch Gestaltungsmöglichkeiten sehen. Und ich bin optimistisch, dass in den nächsten Monaten auch noch andere Länder hinzukommen, wo wir mit netID starten werden.

Wie sehen Publisher und Werbungtreibende, mit denen Sie sprechen, diese Entwicklung? Geht ihnen die Marktdurchdringung mit Single-Sign-on schnell genug?
Aktuell sehen wir weder im europäischen, noch in anderen Märkten Entwicklungen zu ähnlichen Modellen. Wir sind unique in Europa, was uns attraktiv für Unternehmen macht. Und das Thema Identität steigt auf der Prioritätenliste der Unternehmen sehr stark. Denn spätestens, wenn Google in Chrome 2023 den Third-Party-Cookie abschafft, wird es für Targeting und Tracking Alternativkonzepte brauchen. Ich bin mir sehr sicher, dass wir es in diesem Jahr noch schaffen werden, eine Zahl von aktiven NutzerInnen in einem mittleren zweistelligen Millionenbereich zu erreichen. Und das ist erst der Anfang: Allein der deutsche und österreichische Markt umfasst ein Potenzial von 100 Millionen KonsumentInnen.

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